Berlin – Die Lieferung von 14 Leopard-2-Panzern war noch nicht bestätigt, da meldete sich der frühere ukrainische Botschafter Andrij Melnyk zu Wort. Mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein erklärte der jetzige Vize-Außenminister im ntv-Interview, dies könne nur „der erste Schritt“ sein. Die Ukraine benötige jetzt eine Verstärkung ihrer Luftwaffe, nämlich moderne Kampfjets, Tornados sowie Kriegsschiffe und U-Boote. Mit seinen Aussagen schien Melnyk die schlimmsten Befürchtungen aller Waffen-Skeptiker zu bestätigen: Egal wie viel Deutschland liefert, die Ukraine will immer noch mehr.
Bis „Ende März, Anfang April“, sollen die ersten deutschen Kampfpanzer in der Ukraine einsatzbereit sein, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Donnerstag. Aber nach der Waffenlieferung ist vor der Waffenlieferung. Seit Beginn des Krieges diskutiert Deutschland in Dauerschleife darüber, wie stark es die Ukraine unterstützen will und wo die Grenze sein soll. Wie Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch im Bundestag ausführte, verläuft die rote Linie nun bei Kampfjets. Und selbst die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, eine der lautesten Leopard-Mahnerinnen, lehnt die Lieferung von Kampfflugzeugen ab. Das komme für sie „nicht infrage“. Aber wenn man bedenkt, wie sich die Dinge seit der berühmten Ankündigung von Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), 5000 Helme zu liefern, entwickelt haben, ist das letzte Wort vielleicht noch nicht gesprochen.
Befragungen zeigen, dass die Bevölkerung beim Waffen-Thema gespalten ist. So halten nach einer am Donnerstag veröffentlichten Forsa-Umfrage für RTL 53 Prozent die Panzerlieferung an die Ukraine für richtig und 39 Prozent für falsch. Vor allem im Osten ist die Missbilligung groß: Dort sind 65 Prozent dagegen. Eine Lieferung von Kampfflugzeugen lehnt die große Mehrheit der Befragten – 63 Prozent – ab.
Die entschlossensten Befürworter von Waffenlieferungen plädieren dafür, dass Deutschland der Ukraine einfach alles geben soll, was sie haben will. Verteidigungsexperte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik hält diese Haltung für zu schlicht. „Mit dieser Begründung könnte man gleich auch – ich überspitze jetzt bewusst – Atomwaffen liefern“, sagt er. „Die Ehrlichkeit gebietet es zu sagen, dass deutsche und ukrainische Interessen nicht immer deckungsgleich sind. Es mag im Interesse der Ukraine sein, auch noch die Krim zu befreien – aber vielleicht nicht im deutschen, weil wir auch in Zukunft noch mit Russland zusammenleben müssen.“
Der Kern des Problems liegt für Kaim darin, dass Deutschland seine eigenen Kriegsziele bisher nicht ausreichend klar definiert habe. Die Linie der Bundesregierung ist, dass sie die Ukraine nach Kräften unterstützt und die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj völlig unabhängig entscheidet, bis zu welchem Punkt sie gegen Russland weiterkämpfen will. Selenskyj betonte gestern, Verhandlungen seien erst möglich, wenn Russland seine Soldaten abziehe, Fehler eingestehe und es vielleicht eine neue Führung in Moskau gebe.
Zugleich bat der Präsident im Gespräch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg um Kampfjets, etwa die amerikanischen F-16. Polen, das in der Panzer-Frage massiv Druck auf Berlin ausübte, zeigte sich prinzipiell offen. „Ich glaube, wir, die Nato, müssen mutiger sein“, sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki dem französischen Sender LCI. Sein Land würde jedenfalls dafür stimmen. Der stellvertretende nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jon Finer, sagte in einem TV-Interview, die USA würden das Kampfjet-Thema „sehr vorsichtig“ mit der Ukraine und anderen Partnern diskutieren.
Moskau reagiert unterdessen mit scharfer Kritik auf die angekündigte Kampfpanzer-Lieferung – und sieht den Westen zunehmend als Kriegspartei. Dessen Agieren werde „in Moskau als direkte Beteiligung am Konflikt aufgefasst“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Für Kiew gab es am Donnerstag indes noch mal gute Nachrichten: Auch Kanada will Leopard-Panzer schicken. Vier Modelle würden „in den kommenden Wochen“ geliefert, sagte Verteidigungsministerin Anita Anand in Ottawa. CHRISTOPH DRIESSEN