München – Judith Gerlach (CSU) ist Bayerns erste Digitalministerin. Im Interview erklärt sie, warum sie sich von ChatGPT keine Rede schreiben lassen würde – und warum Europa bei der Künstlichen Intelligenz nicht den Anschluss verlieren darf.
Frau Gerlach, welche Frage haben Sie ChatGPT als Erstes gestellt?
Ich habe gefragt: Was macht einen guten Politiker aus? Die Antwort: Man solle vertrauenserweckend sein, ethische Grundsätze haben und die Interessen der Menschen vertreten. Wenig überraschend, aber ChatGPT hat gleich eingeräumt, dass dies nur der Ausschnitt einer Antwort ist.
Waren Sie überrascht, wie viel ChatGPT kann?
Der Wissensumfang hat mich nicht überrascht. Aber beeindruckend finde ich die Eloquenz, mit der ChatGPT durch seine Formulierungen suggeriert, hinter den Antworten stecke tatsächlich ein Mensch.
Würden Sie sich von der KI eine Rede schreiben lassen?
Ich habe das tatsächlich anfangs einmal überlegt. Aber ich wage zu behaupten: Ich halte immer noch bessere Reden, als sie ChatGPT je schreiben könnte. Die Leidenschaft, die Überzeugungskraft und die ein oder andere Spitze, die eine politische Rede braucht – all das kommt nur zusammen, wenn Herz und Emotionen in der Rede stecken. Hinzu kommt, dass die Trainingsdaten von ChatGPT nur bis ins Jahr 2021 reichen. Die Rede wäre also veraltet.
Wie sollen Schulen und Unis mit der neuen Entwicklung umgehen? In den USA hat eine Schulbehörde ChatGPT verbannt.
Ich halte nichts davon, gleich mit Verboten zu kommen, wenn es um Innovationen geht. ChatGPT könnte ja auch die Arbeit für Lehrkräfte erleichtern, etwa wenn es darum geht, Prüfungen zu erstellen oder den Unterricht zu gestalten. Das Angebot wird nicht verschwinden, wenn wir es aus den Klassenzimmern verbannen. Wir müssen lernen, sinnvoll damit umzugehen. Aber vielleicht bedeutet es auch, dass wir irgendwann unsere Prüfungsformate überdenken und hier und da anpassen werden müssen.
Die Plagiatsfrage wird man aber diskutieren müssen.
Unser Lernen wird sich durch Künstliche Intelligenz sehr grundsätzlich verändern. Es wird in der Bildung künftig viel mehr darum gehen, Sachzusammenhänge auf den Punkt zu bringen und Informationen kritisch zu hinterfragen, statt nur Inhalte wiederzugeben oder über Themen zu referieren. Zudem zeigt ChatGPT noch nicht verlässlich die Quellen für die präsentierten Informationen an. Deswegen wird die Angabe von Zitaten wichtiger denn je bei wissenschaftlichen Arbeiten.
Viele der neuesten KI-Entwicklungen kommen aus den USA oder aus Asien. Hängt Europa hinterher?
Ja, wir haben zu wenig Angebote in Europa. Wir müssen hier stärker in Know-how und in Forschung investieren. Wir müssen KI nicht nur verstehen, sondern auch gestalten. Deswegen war es goldrichtig, mit der bayerischen Hightech-Agenda viel Geld zu investieren, 100 neue KI-Lehrstühle aufzubauen und den Transfer von KI in die Wirtschaft aktiv zu gestalten.
Wo klappt das schon?
Wir arbeiten im Rahmen unseres Pilotprogramms „KI-Transfer Plus“ zum Beispiel mit einem Landmaschinenhersteller zusammen, dessen Maschinen dank KI punktgenau erkennen, ob es sich auf dem Acker um die angebaute Pflanze oder um Unkraut handelt. So lassen sich Pestizide sparsamer und zielgenauer einsetzen. Anderes Beispiel: Ein Unternehmen für 3D-Druck, das viele kleine Bauteilchen hat, die sich nur minimal unterscheiden. Mit KI können diese schnell und effizient sortiert werden. Das hat früher ein Mensch gemacht – und nein, der hat nicht seinen Job verloren. Es gibt die Leute schlichtweg nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt, die diese Aufgaben übernehmen wollen.
Verstehen Sie, wenn da jemand skeptisch ist angesichts der Entwicklung?
In der Debatte werden schnell Horrorszenarien entwickelt, die mit der Realität nichts zu tun haben. Der Einsatz von Robotern in der Pflege ist sinnvoll, das heißt aber nicht, dass jetzt nur noch Roboter in Seniorenheimen eingesetzt werden. Das will niemand! Wenn wir uns bei einigen Aufgaben in der Pflege aber von Robotern unterstützen lassen, dann haben die Pflegekräfte, die wir ja händeringend suchen, mehr Zeit für das eigentlich Menschliche. Wir haben doch die Freiheit, zu entscheiden, wo wir KI einsetzen und wo eben nicht. Aber klar ist: Wir können uns nicht wegducken, wir müssen den digitalen Wandel aktiv mitgestalten. Sonst zieht der Rest der Welt an uns vorbei, während wir in Deutschland nur Bedenken haben. Niemand wird auf uns warten. Jetzt ist die letzte Chance, im Wettstreit um die technologische Entwicklung noch eine Rolle zu spielen. Sonst droht die Abhängigkeit von Staaten wie China, die unser Wertesystem nicht teilen.
Interview: Dominik Göttler