Typ-1-Diabetes: Früherkennung bei Kindern besonders wichtig

von Redaktion

Große Studie hat bisher 170 000 Buben und Mädchen auch aus Bayern getestet – Neues Medikament womöglich schon Ende des Jahres

München – Im Kampf gegen Typ-1-Diabetes haben Wissenschaftler spektakuläre Fortschritte erzielt. So lässt sich diese seltenere Form der Zuckerkrankheit, bei der der Körper kaum oder gar kein Insulin mehr produziert, inzwischen bereits im Kindesalter in einem frühen Stadium enttarnen – noch bevor sie überhaupt ausgebrochen ist. Dazu sind nur ein paar Tropfen Blut erforderlich, die der Arzt mit einem kleinem Pieks in die Fingerkuppe abnimmt. Dank dieses einfachen und kostenlosen Tests gewinnen die kleinen Patienten und ihre Familien wertvolle Zeit, um sich für den Umgang mit der chronischen Erkrankung zu wappnen.

Mindestens genauso wichtig ist die Information für die Ärzte. Sie können Diabetes Typ 1 zwar nach wie vor nicht heilen, aber die Blutzuckerwerte dann bereits im noch symptomlosen Frühstadium überwachen. Falls erforderlich, können die Mediziner direkt Medikamente verabreichen, um schlimmstenfalls lebensgefährliche Komplikationen zu vermeiden. Der medizinische Hintergrund: In Deutschland erkranken immer mehr Kinder an Diabetes. Etwa 3700 Mädchen und Buben kommen jedes Jahr dazu.

Die Autoimmunerkrankung richtet schwere Schäden in der Bauchspeicheldrüse an. Sie zerstört die Zellen, die das Hormon Insulin produzieren. Dadurch steigt der Blutzuckerspiegel an. Die Betroffenen müssen lebenslang Insulin bekommen, um möglichst normale Blutzuckerwerte zu erreichen. Das ist eine große Herausforderung.

In vielen Fällen wird die Zuckerkrankheit bei den Kleinen allerdings erst entdeckt, wenn sie bereits mit schweren Komplikationen in der Klinik liegen. „Durch den Insulinmangel kann es unbemerkt zu einer Übersäuerung des Bluts kommen, das nennt man in der Fachsprache Ketoazidose. In seltenen Fällen bekommen die Kinder Hirnödeme, fallen ins Koma. Ohne rechtzeitige Therapie können sie sogar daran sterben“, erklärt Prof. Peter Achenbach, stellvertretender Direktor des Instituts für Diabetesforschung von Helmholtz Munich. „Diese Notfälle lassen sich durch die gezielte Früherkennung vermeiden. Sie ermöglicht es zudem, dass bei Ausbruch der Erkrankung zumindest ein Teil der insulinproduzierenden Zellen noch funktionstüchtig erhalten ist. Dadurch lässt sich der Diabetes im Laufe des Lebens oft besser behandeln.“

Um möglichst viele Kinder auf Diabetes Typ 1 im Frühstadium zu testen, läuft in Bayern, Sachsen, Niedersachsen und Hamburg eine große Studie, die von Helmholtz Munich kontrolliert wird. In Bayern beteiligen sich 663 Kinderärzte und 17 Partnerkliniken. Seit 2015 sind im Rahmen der „Fr1da-Studie“ bereits über 170 000 Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren untersucht worden. „Bei etwa 0,3 Prozent der Kinder – immerhin mehr als 500 kleine Patienten – wurde ein Frühstadium des Diabetes-Typs 1 festgestellt. Durch Schulung der Familien und Verlaufskontrollen hatten sie bei Ausbruch der klinischen Erkrankung viel seltener Ketoazidosen als Kinder mit zuvor unentdecktem Diabetes“, weiß Achenbach. Eltern können ihre Kinder in Praxen, die an der „Fr1da-Studie“ teilnehmen, kostenlos testen lassen. Wenn der Arzt die Tests nicht durchführt, können sich Interessenten direkt an das Institut für Diabetesforschung in München wenden. Die Mailadresse: diabetes.frueherkennung@helmholtz-muenchen.de.

Besonders rasch sollten sich Eltern dann um einen Test bemühen, wenn sich bei ihren Kindern mögliche Diabetes-Symptome zeigen. „Ganz typisch ist ein extrem starkes Durstgefühl und häufiges Wasserlassen. Die Kinder verlieren auch oft Gewicht und sind nicht mehr so leistungsfähig“, erläutert Achenbach. „In solchen Fällen sollte man unbedingt zu einem Arzt gehen und den Blutzucker messen lassen.“

Nicht nur in der Früherkennung, sondern auch bei der Behandlung von Diabetes Typ 1 kommen die Forscher immer weiter voran. So ist jetzt erstmals ein Medikament in Sicht, das die Entstehung der Erkrankung zumindest hinauszögern kann. Das neue Mittel ist in den USA bereits zugelassen und könnte Ende des Jahres auch in Deutschland verabreicht werden. Es beinhaltet den Wirkstoff Teplizumab und wird unter dem Markennamen Tzield vertrieben. „Teplizumab ist ein Meilenstein bei der Behandlung von Typ-1-Diabetes. Weitere Immuntherapien werden bereits in Studien getestet. Sie zeigen erste Erfolge und könnten in Zukunft die Behandlungsmöglichkeiten weiter verbessern“, erklärte Achenbach anlässlich eines wissenschaftlichen Symposiums im Münchner Isarklinikum.

Bei der hochkarätigen Ärztetagung berichtete der Stoffwechselexperte von den bahnbrechenden Forschungserfolgen: „Die Zulassung des neuen Medikaments hat in Wissenschaftlerkreisen noch mal einen zusätzlichen Motivationsschub gebracht.“

Tzield wird als Infusion verabreicht – über zwei Wochen einmal täglich. Vereinfacht erklärt, handelt es sich um Antikörper, die bestimmte Autoimmunangriffe auf die Zellen der Bauchspeicheldrüse hemmen. Dadurch kann das neue Mittel den Ausbruch der Zuckerkrankheit im Schnitt um etwa 25 Monate hemmen. Es darf zunächst allerdings nur bei Kindern ab acht Jahren eingesetzt werden und ist sehr teuer: Ein 14-tägiger Behandlungszyklus kostet in den USA umgerechnet knapp 200 000 Euro.

ANDREAS BEEZ

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