Lenggries – Tanja Hiemer (Name geändert) und ihr Mann Markus verstehen die Welt nicht mehr. Sie wollten einen Beitrag zum Klimaschutz leisten und CO2 einsparen. Deshalb haben sie im Herbst in eine Solaranlage investiert, die sie an den Balkon ihrer Doppelhaushälfte in Lenggries im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen montierten. Diese Anlagen sind genehmigungsfrei. Die Vermieter waren damit sofort einverstanden.
Der Balkon ist von drei Seiten mit Gärten umgeben, das Balkonkraftwerk ist deshalb von der Straße aus nicht zu sehen. Außerdem wohnen die Hiemers in einer kleinen Siedlung am Ortsrand. Sie haben nicht eine Sekunde für möglich gehalten, dass ihre Solaranlage das Ortsbild von Lenggries stören könnte.
Tut es aber, wie der Gemeinderat vor Kurzem festgestellt hat. Die Debatte drehte sich im Gremium um Paragraf 14 der Ortsgestaltungssatzung. Demnach sind Solar und PV-Anlagen nur auf Dächern zulässig.
Der Gemeinderat hätte diese Regelung so abändern können, dass bei Balkonkraftwerken Ausnahmen zugelassen werden können. Doch letztendlich gab es mehr Gegner als Befürworter. Derartige Anlagen würden nicht nur das Ortsbild verschandeln, sondern auch nicht viel bringen, argumentierten die meisten Gemeinderäte.
Tanja und Markus Hiemer können diese Entscheidung nicht verstehen. Natürlich könne man sich durch Balkonkraftwerke nicht energieautark machen, räumen sie ein. An trüben Wintertagen haben sich bis zum Abend manchmal gerade 400 Wattstunden angesammelt. „An schönen Tagen waren es aber auch schon 1,2 Kilowattstunden“, sagen sie. Auch das deckt natürlich nicht den Haushaltsverbrauch von täglich durchschnittlich fünf Kilowattstunden. Aber es reduziert die Stromrechnung. „Und wenn jeder der 83 Millionen Deutschen einen kleinen Beitrag leisten würde, um Kohlendioxid zu sparen, wäre viel gewonnen“, sagt Tanja Hiemer. Doch dann kam der Bescheid von der Gemeinde, dass die Anlage wieder abmontiert werden muss.
Streitfälle wie diese gibt es bislang nur vereinzelt in Bayern, wie Wilfried Schober, Sprecher des Bayerischen Gemeindetags, berichtet. Er kann sich aber vorstellen, dass Balkon-Solaranlagen in naher Zukunft mehr und mehr zum Thema werden – ähnlich wie die Debatte um Schottergärten. „Vor allem Tourismus-Gemeinden legen auf das Ortsbild viel Wert und verbieten die Balkon-Solaranlagen deshalb in ihren Satzungen“, berichtet Schober. Das sei ihr gutes Recht, erklärt er weiter. Denn Ortsgestaltungssatzungen betreffen das Baurecht. „Umweltbelange sind dabei erst mal kein Thema.“ Deshalb müsse die Gemeinde laut Schober auch nicht begründen, warum sie Balkonkraftwerke ablehnt.
Das Klimaschutzgesetz, das die Zielvorgaben für weniger CO2-Emissionen anhebt, ist nicht für die Gemeinden, sondern für den Staat verpflichtend. „Er kann den Gemeinden nur Maßnahmen auferlegen, wenn er sie dafür mit Geld ausstattet – wie zum Beispiel bei der Kinderbetreuung“, sagt Schober. Es handle sich also für die Kommunen um einen unverbindlichen Appell, CO2 einzusparen. „Das passiert vielerorts aber“, sagt Schober. Beispielsweise bei der Umstellung der Beleuchtung auf LED.
Die Stadt Wolfratshausen zum Beispiel geht noch einen Schritt weiter: Sie setzt einen Anreiz für alle Bürger, in erneuerbare Energien zu investieren. Seit Oktober wird dort die Anschaffung von Balkonkraftwerken und innovativen Batteriespeichersystemen für Wohngebäude finanziell unterstützt. Die Stadt rechnet damit, dass das kommunale Förderprogramm gut angenommen wird und verweist auf die Verbraucherzentrale Bayern, die die Mini-Photovoltaikanlagen als wirtschaftlich bewertet. Die Anlagen würden in der Regel genug Strom erzeugen, um an sonnigen Tagen einen wesentlichen Teil des Strombedarfs für einen Haushalt abzudecken.
Davon waren auch die Hiemers überzeugt, als sie im Herbst in ihr Balkonkraftwerk investierten – noch bevor es dafür eine staatliche Förderung gab. Würden sie in einer anderen Gemeinde leben, dürften sie ihre Balkon-Solaranlage vermutlich behalten. Ganz haben sie die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben. Wie sie vor wenigen Tagen erfahren haben, will die Gemeinde noch einmal in Klausur gehen und über die Ortsgestaltungssatzung beraten. „Ich gehe davon aus, dass wir Ausnahmen für Balkon-Solaranlagen möglich machen können“, sagt Bürgermeister Stefan Klaffenbacher. Bis dahin dürfen die Hiemers ihre Anlage nun erst mal weiter nutzen.