München – Albtraum Schlaganfall: In Deutschland fordert die lebensbedrohliche Erkrankung jährlich etwa 270 000 Opfer, vier von fünf Patienten gehören der Generation 60 plus an. Der GAU im Gehirn ist besonders gefürchtet. Er stellt das Leben der Betroffenen und ihrer Familien zumindest vorübergehend auf den Kopf – und schlimmstenfalls beendet er es sogar. Etwa 30 Prozent der Opfer sterben im ersten Jahr nach ihrem Hirninfarkt, 60 Prozent bleiben dauerhaft behindert. Allein in Deutschland leben derzeit nach Expertenschätzungen etwa 1,3 Millionen Patienten mit zum Teil verheerenden Folgen wie Sprach- und Bewegungsstörungen.
Um das erhöhte Risiko ihrer meist älteren Patienten zu verringern, verordnen Mediziner oft Medikamente. Dazu zählen beispielsweise Blutverdünner, Blutdrucksenker oder Statine gegen kritische Cholesterinwerte. All diese Mittel sollen helfen, Durchblutungsstörungen im Gehirn zu verhindern. Denn diese sogenannten Ischämien sind für vier von fünf Schlaganfällen verantwortlich.
Die Vorboten werden häufig unterschätzt
Mindestens genauso wichtig ist es allerdings, mögliche Vorboten eines Schlaganfalls zu erkennen. Genauer gesagt sogenannte transitorische ischämische Attacken (TIA). Sie lösen – vereinfacht erklärt – eine Art Mini-Schlaganfall aus. Das Tückische daran: Ihre Symptome verschwinden schnell wieder, meist binnen Minuten oder gar nur Sekunden. „Deshalb werden sie oft unterschätzt. Das kann fatale Folgen haben. In bis zu zehn Prozent der Fälle folgt auf eine TIA innerhalb der nächsten sieben Tage ein schwerer Schlaganfall“, warnt Professor Wolf-Rüdiger Schäbitz. Hier erklärt der erfahrene Neurologe und Sprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), wie man die Mini-Schlaganfälle erkennt und im Notfall richtig handelt.
Wenn plötzlich ein Mundwinkel herabhängt oder sogar eine ganze Körperhälfte gelähmt ist, jemand kaum noch sprechen kann und noch dazu Doppelbilder sieht, dann denken die meisten Menschen: Das könnte ein Schlaganfall sein! Aber es gibt auch weitaus undramatischere Vorboten: kurzzeitige Seh- und Sprachprobleme, Gefühls- oder Koordinationsstörungen, beispielsweise beim Kaffeetrinken, oder flüchtiger Schwindel.
Bei Symptomen: Immer den Notruf wählen!
Die gute Nachricht: Eine TIA verursacht keine bleibenden Schäden. Trotzdem wird sie – auch mit Blick auf das erhöhte Risiko für einen schweren Schlaganfall – als medizinischer Notfall eingestuft. Wer mögliche Symptome einer TIA verspürt, sollte rasch handeln und den Notruf unter der Nummer 112 wählen.
Der Sanka bringt die Betroffenen in der Regel in eine Stroke Unit. Das sind spezielle Schlaganfall-Ambulanzen, die in mehreren Kliniken in München und Oberbayern zur Verfügung stehen. Dort können die Mediziner unter anderem mithilfe einer Computertomographie (CT) schnell feststellen, ob die Durchblutung des Gehirns gestört ist. Eine rasche Diagnostik ist bei Verdacht auf einen Hirninfarkt eine doppelte Investition in die Gesundheit, weiß Neurologe Schäbitz: Denn zum einen zählt bei einem Schlaganfall jede Minute, um möglichst viel Hirngewebe zu retten. Zum anderen lässt sich im Falle einer TIA die Gefahr, dass es zu einem GAU im Gehirn kommt, um etwa 80 Prozent verringern.
Im Ernstfall: Nicht bis zum Morgen warten!
Um Schlimmeres zu verhindern, verabreichen die Ärzte blutverdünnende Medikamente, der Fachbegriff für die Therapie heißt Lyse. Wichtig: Man sollte bei Symptomen beispielsweise in der Nacht keinesfalls bis zum nächsten Morgen warten, bevor man den Arzt ruft oder sich in die Notaufnahme einer Klinik fahren lässt. Denn der Medikamentencocktail, der das Blutgerinnsel im Gehirn auflösen soll, kann nur innerhalb der ersten sechs Stunden nach dem Schlaganfall etwas bewirken.
In manchen Fällen behandeln die Mediziner auch die Grunderkrankungen, die einen Schlaganfall auslösen können. Dazu zählen beispielsweise das Vorhofflimmern, die häufigste Herzrhythmusstörung, oder verengte Halsschlagadern, in der Fachsprache Carotisstenosen genannt (siehe Text unten).
„Doch nicht immer sind die Vorboten eines Schlaganfalls zu erkennen“, erläutert Spezialist Schäbitz. Während bei einer TIA zumindest flüchtige Symptome auftreten, bemerkt der Patient eine weitere Art von Mini-Schlaganfällen überhaupt nicht. Mediziner sprechen in solchen Fällen von „stummen Hirninfarkten“.
Täglich fließen 1000 Liter Blut durchs Gehirn
Der medizinische Hintergrund: Täglich fließen mehr als 1000 Liter Blut durch das Gehirn. Sie versorgen es mit Sauerstoff, damit die Schaltzentrale des menschlichen Körpers alle wichtigen Aufgaben erledigen kann. Wird die Durchblutung in wichtigen Hirnarealen gestört, spürt der Patient unmittelbar die Konsequenzen.
Ist beispielsweise das Sprachzentrum betroffen, kann er sich nicht mehr richtig ausdrücken. Passiert der Schlaganfall in jenem Hirnareal, das für Bewegung verantwortlich ist, kommt es zu Ausfällen in Form von Lähmungserscheinungen.
Dagegen können die Beschwerden vergleichsweise harmlos ausfallen, wenn die Durchblutung in einem weniger wichtigen Bereich des Gehirns eingeschränkt wird. „Dann sind die Symptome oft viel unspezifischer und können als solche nicht bemerkt werden. Dazu gehören etwa diffuser Schwindel, Kribbel-Missempfindungen und Koordinationsstörungen“, weiß Schäbitz.
Solche sogenannten „klinisch stummen Hirninfarkte“ kommen oft per Zufallsbefund ans Licht – etwa bei einer Magnetresonanztomografie (MRT) des Gehirns. „Doch auch diese Schlaganfall-Variante sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn in der Folge verlieren die Patienten mitunter an intellektueller Leistungsfähigkeit. Im schlimmsten Fall kann es sogar zu einer vaskulären, also durchblutungsbedingten Demenz kommen“, erklärt Wolf-Rüdiger Schäbitz. Die Folgen können ähnlich wie Alzheimer ein Abbau der Hirnleistung und Konzentrationsschwierigkeiten sein.