„Ich habe Respekt vor der Gefahr“

von Redaktion

INTERVIEW ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf berichtet seit einem Jahr aus dem Kriegsgebiet

München – Sie war im Februar 2022 eine der Ersten vor Ort und berichtet seitdem immer wieder aus der Ukraine: ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf. Kurz vor dem Jahrestag des russischen Angriffs ist die 60-Jährige wieder im Kriegsgebiet. Wir erreichen Sie telefonisch, die Verbindung ist einwandfrei. Ein Gespräch über Putin, die Chancen der Ukrainer, diesen Krieg zu gewinnen, über Angst bei der Arbeit und einen persönlichen Schicksalsschlag.

Hätten Sie im Februar 2022 gedacht, dass dieser Krieg so lange dauert?

So konkret habe ich mir die Frage damals nicht gestellt. Aber man hat sich schon ausmalen können, dass dieser Krieg nicht schnell enden wird. Diejenigen, die geglaubt haben, dass Russland ihn schnell gewinnt, haben aus einer Unkenntnis der Verhältnisse in der Ukraine heraus argumentiert.

Wie meinen Sie das?

Dass dieses Land sich nicht von Russland überrollen lassen würde und dass es erbitterten Widerstand der Ukrainer gegen den Angriff geben würde, war für mich immer klar. Schließlich ist die Ukraine – abgesehen von den baltischen Staaten – das Land im postsowjetischen Raum, das sich sehr früh und vor allem am allerklarsten von Russland abgekoppelt hat. Mich hat deswegen auch erstaunt und tatsächlich überrascht, dass Russland die Ukraine in der Form überhaupt angegriffen hat. Aber auch Putin hat die Verhältnisse hier im Land schlicht falsch eingeschätzt.

Sie waren auch Korrespondentin in Moskau. Haben Sie Putin je persönlich kennengelernt?

Nein, ich habe ihn immer nur bei Pressekonferenzen oder öffentlichen Auftritten erlebt, nie persönlich in einem 1:1-Gespräch. Die Interviews, die ich mit ihm gesehen habe, haben allerdings auch nie das gebracht, was meiner Meinung nach ein Interview als Ziel haben sollte: dass ich etwas lerne, etwas erfahre über diese Person und ihre Motivation. Putin ist ein KGB-Mann durch und durch, ein Meister der Manipulation. Da ist der Wert eines Interviews von vornherein eingeschränkt. Ein Bild kann man sich von ihm natürlich trotzdem machen.

An welchem Punkt ist der Krieg in der Ukraine?

Ich erlebe das Land am Tiefpunkt dieses Krieges. Wir sehen, dass die Waffenunterstützung aus dem Westen einfach zu spät kommt. Dass die Armee mit dem Rücken zur Wand steht. In Bachmut, aber nicht nur dort. Die Luftabwehr funktioniert ziemlich gut, immerhin. Aber nichtsdestotrotz erleben wir gerade die befürchtete und erwartete Offensive der Russen. Und die ist verheerend. Wenn man den Zahlen der ukrainischen Regierung glaubt, haben wir in den vergangenen Tagen die höchsten Opfer-Zahlen in der Ukraine seit Beginn des Krieges.

Haben Sie Zweifel an der Richtigkeit der Angaben?

Ich betrachte generell alle Angaben zu Opferzahlen kritisch, vor allem natürlich, wenn sie zu „positiv“ ausfallen. In diesem Fall habe ich aber keine Zweifel. Denn die Zahl korrespondiert mit dem Bild, das ich mir hier vor Ort mache, und mit dem, was ich von meinen Gesprächspartnern höre, die etwa im Bereich der Versorgung von verletzten Soldaten arbeiten oder in der Prothesen-Herstellung. Die gezielten Angriffe auf die kritische Infrastruktur, auf Wärmekraftwerke und Stromversorger haben einfach einen Effekt gehabt. Diese Situation zermürbt die Menschen.

Wagen Sie eine Prognose? Wie wird es in zwei, drei Monaten aussehen?

Ich gehe davon aus, dass die Ukraine in absehbarer Zeit noch deutliche, bittere Verluste erleben wird. Es fehlt hier einfach an den Ressourcen, um gegen die Angriffe zu bestehen. Ich sehe aber mit der Unterstützung durch westliche Waffen und der Ausbildung ukrainischer Soldaten an diesen Waffen durchaus eine Perspektive dafür, die Situation zu drehen. Das hängt aber natürlich auch davon ab, was die russische Seite noch mobilisieren kann.

Ihre Einschätzung dazu?

Russland ist der Ukraine in zwei Dingen überlegen: was die Anzahl an Waffen und an Soldaten angeht. Unterlegen ist Russland allerdings hinsichtlich der Qualität der Technik und der Moral der Kämpfenden.

Kann die Ukraine also diesen Krieg gewinnen?

Ja, meiner Meinung nach werden die Ukrainer diesen Krieg gewinnen – aber es muss schnell gehen. Dieses Land kann nicht Soldaten in der Zahl rekrutieren, wie Russland es kann. Das heißt, zu lange kann die Ukraine das nicht mehr durchhalten. Sie muss diesen Krieg eigentlich in diesem Jahr gewinnen.

Wie geht es Ihnen persönlich? Wie viel Angst haben Sie bei der Arbeit?

Angst ist kein guter Ratgeber. Ich habe Respekt vor der Gefahr. Und es hat auch schon Situationen gegeben, in denen ich dachte: Ui, das wird jetzt richtig gefährlich. Aber mein Team und ich haben viel Erfahrung und sind eingespielt genug, um zu wissen, was wir tun. Vor allem muss man einen klaren Kopf behalten und nicht ins Feuer rennen.

Wie schwierig ist denn der Balance-Akt: Einerseits wollen Sie nah dran sein. Auf der anderen Seite will und darf das ZDF Ihr Leib und Leben nicht riskieren.

Ich entscheide nichts im Alleingang. Wir entscheiden alles im Team. Zum einen mit meinen Kollegen hier vor Ort. Wenn einer Bedenken hat, fahren wir nicht. Zum anderen sind wir stets in enger Abstimmung mit der Chefredaktion in Mainz. Das letzte Wort liegt dort.

Ist der Druck größer geworden angesichts der Konkurrenz von „Bild“ zum Beispiel? Paul Ronzheimer geht, salopp gesagt, ja überall hin.

Ich sehe die „Bild“-Zeitung nicht als unsere Konkurrenz. Paul Ronzheimer kann natürlich, weil er in einem sehr kleinen Team arbeitet, die sind drei Leute, viel agiler vorgehen und ist da, glaube ich, freier und unabhängiger in seinen Entscheidungen. Ich arbeite für einen riesigen öffentlich-rechtlichen Sender. Das ist ein Unterschied.

Werden Sie bei der Verarbeitung des Erlebten vom ZDF unterstützt?

Das ZDF bietet das an, ja. Jeder Reporter, der traumatischen Erfahrungen ausgesetzt ist – und das betrifft nicht nur Kriegsberichterstatter –, kann das Angebot nutzen. Es gibt auch psychologische Betreuung. Ich habe das aber noch nicht genutzt. Ich brauchte es noch nicht.

Sie sind aus einem besonderen Holz geschnitzt?

Ja, vielleicht. Natürlich macht das auch etwas mit einem, wenn man aus einem Kriegsgebiet berichtet. Ich denke, jeder hat seine eigene Methode, mit Dingen umzugehen. Ärzte, die krebskranke Kinder behandeln, sehen auch unglaublich viel Leid. Meine Einstellung ist: Das gehört zum Leben dazu. Man darf und kann sich dem nicht entziehen, sondern muss vielmehr hingucken. Ich sehe meine Aufgabe darin, das Leben in der Ukraine, wie es gerade ist, zu transportieren. Und man darf dabei eines nicht vergessen: Anders als die Menschen dort kann ich wieder nach Hause fahren, in mein Land, in Sicherheit, und für meine gute Work-Life-Balance sorgen. Eine gute Familie, Freunde, ein funktionierendes Netzwerk an menschlichen Beziehungen ist da natürlich sehr wichtig. Das trägt mich die ganze Zeit.

Sie haben selbst einen Schicksalsschlag erlitten, als Ihr Sohn, der schwer krank auf die Welt kam, im Alter von 17 Jahren gestorben ist. Hat diese Erfahrung auch damit zu tun, dass Sie Menschen Gesicht und Stimme geben, die sonst nicht gesehen und gehört werden?

Mein Sohn hat mein Leben sehr geprägt, ja. Dadurch, dass er selbst nicht sprechen konnte, hat er mich tatsächlich wohl darin geschult, Antennen für andere Menschen zu haben. Es hat mich auch ein Stück weit geerdet. Wir leben ja heute in einem Kontext, wo jeder sein Leben optimieren will. Als läge das Glück in der Optimierung! Es liegt doch vielmehr darin, Dinge zu machen, die einen Sinn ergeben. Und was ich hier tue, ergibt für mich Sinn.

Das Gespräch führte Stefanie Thyssen

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