Streik stoppt alle Ferienflieger

von Redaktion

VON C. SCHIRMER, N. BAUTZ, R. MITTERMEIER UND D. GÖTTLER

München/Frankfurt – Am Mittwochnachmittag liegen bei einigen Passagieren am Flughafen München die Nerven blank. „Ich bin am Ende und will nur noch heim“, sagt Michael Jones. Der 79-Jährige ist in München gestrandet, er wartet am Service-Center, weil er seinen aufgegebenen Koffer nicht zurückbekommt. Technische Störung bei der Lufthansa, nichts geht mehr. Und zu seiner Frau, die am Gate auf ihn wartet, darf er auch nicht. Wenige Meter weiter steht Alasdair Harris, 42, der eigentlich von München nach Hause ins schottische Glasgow fliegen wollte. 15 Uhr planmäßiger Abflug. Doch auch da geht nichts mehr . Wann es für ihn weitergeht, weiß er nicht.

Eine Panne bei Bauarbeiten in Frankfurt hat am Mittwoch zu einem Flugchaos bei der Lufthansa geführt. Tausende Passagiere mit Verbindungen über das Drehkreuz Frankfurt waren von Verspätungen und Flugausfällen betroffen. Die Auswirkungen waren auch auf den bayerischen Flughäfen zu spüren. Sämtliche innerdeutschen Flüge wurden zunächst abgesagt. Passagiere wurden gebeten, auf die Bahn umzusteigen. Und die nächsten Flugausfälle drohen schon am Freitag – dann wegen eines Warnstreiks.

Das große Chaos vom Mittwoch wurde nach Angaben der Lufthansa durch Bauarbeiten an einer S-Bahn-Strecke zwischen Frankfurt und Kassel ausgelöst. Bauarbeiter hatten am Dienstagabend mit einem Betonbohrer vier Glasfaserkabel der Telekom durchtrennt. Das sorgte nicht nur bei vielen Telekom-Kunden im Großraum Frankfurt für schwarze Fernseher und tote Telefon- und Internetleitungen, sondern auch für massive IT-Probleme bei der Lufthansa. Die Reparaturarbeiten gestalteten sich schwierig, auch weil die Bauarbeiter die Leitungen offenbar nicht nur an- oder durchbohrten, sondern auch noch Beton darübergossen, wie ein Telekomsprecher dem Hessischen Rundfunk berichtete.

In Frankfurt erreicht die Passagiere die Hiobsbotschaft gegen 10.30 Uhr. Am Flugsteig A16 greift ein Lufthansa-Mitarbeiter zum Mikrofon und sagt: „Wir haben ein Problem.“ Das Computersystem des Konzerns sei ausgefallen. „Wir können nicht boarden.“ Nichts geht mehr. In Frankfurt werden bis zum Nachmittag gut 230 von rund 1000 geplanten Starts und Landungen gestrichen. Zwischenzeitlich untersagt die Flugsicherung die Landung weiterer Jets komplett, um zu verhindern, dass der Flughafen vollläuft. In Nürnberg landen mehrere Ausweichflüge aus Frankfurt. Und auch in München wirbelt die Panne den Flugplan durcheinander – wenn auch bei Weitem nicht so massiv wie in Frankfurt. Sogar die Fußballer des FC Bayern, am Dienstagabend noch siegreich beim Champions-League-Spiel in Paris, bekamen den IT-Ausfall zu spüren. Sie landeten mit deutlicher Verspätung in München. Bis zum Abend, betonte die Lufthansa gestern Nachmittag, sollte sich der Betrieb wieder stabilisieren.

Warum ein durchtrennter Kabelstrang das ganze IT-System der Lufthansa lahmlegen kann, blieb gestern offen. Bei Betreibern von kritischer Infrastruktur ist es eigentlich Standard, sich doppelt und dreifach abzusichern, sagt Rüdiger Trost, Experte der IT-Sicherheitsfirma Withsecure. „Fällt ein IT-System unerwartet aus, so gibt es ein Ersatzsystem, das die Arbeit übernimmt, vergleichbar mit einem Ersatzreifen im Auto.“ Warum das Umschalten auf die Ersatzleitungen am Mittwoch zu den Ausfällen führte, muss noch geklärt werden.

Schon am morgigen Freitag wird es für Fluggäste allerdings schon wieder ungemütlich. Denn die Gewerkschaft Verdi will trotz der Computerprobleme bei der Lufthansa an ihrem Plan festhalten, sieben deutsche Flughäfen zu bestreiken – darunter auch München. Man sehe keinen Grund, daran etwas zu ändern, sagte eine Gewerkschaftssprecherin. Für München hat Verdi die Beschäftigten zu einem ganztägigen Streik aufgerufen. „Die bisherigen Verhandlungen verliefen praktisch ergebnislos“, sagte Manuela Dietz von Verdi Bayern. „Im öffentlichen Dienst und bei den Beschäftigten der Luftsicherheit und der Bodenverkehrsdienste geht nichts voran. Um diese Situation zu ändern, erhöhen wir mit den Warnstreiks nun den Druck.“ Mit dem Ausstand wollen die Beschäftigten ihren Forderungen im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen Nachdruck verleihen.

In den Verhandlungen fordern Verdi und der Beamtenbund 10,5 Prozent mehr Einkommen. Kritik daran kommt vom Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. Die angekündigten Streiks hätten mit dem Instrument des Warnstreiks nichts mehr zu tun, sagte der BDL-Präsident und Chef des Flughafens München, Jost Lammers. „Hiermit überspannt Verdi den Bogen völlig und trägt den Tarifkonflikt auf dem Rücken der Passagiere aus.“ Der Konflikt müsse am Verhandlungstisch und nicht in den Terminals auf Kosten der Fluggäste geklärt werden.

Der Flughafen München kündigte gestern wie auch der Frankfurter Flughafen an, seinen regulären Passagierbetrieb am Freitag wegen der Streikankündigung vollständig einzustellen. Allein an diesen beiden Airports will die Lufthansa morgen rund 1200 Flüge streichen. Ausgenommen sind demnach alle Sonderflüge, darunter Hilfsflüge, Flüge für medizinische, technische und sonstige Notfälle sowie Flüge für die am Freitag beginnende Sicherheitskonferenz. Doch Passagiere, die zum Start der Faschingsferien eine Reise geplant hatten, müssen vorerst zumindest bis Samstag, 1 Uhr, am Boden bleiben.

Am Mittwoch steht derweil Carliyn van Vliet (26) in der langen Schlange vor dem Service-Center. Es wird noch zwei Stunden dauern, bis sie ihren Flug von München nach Düsseldorf auf den Nachmittag umbuchen kann. Und all das wegen ein paar Kabeln an einer Frankfurter Baustelle. Die Einzelhandelskauffrau nimmt es gelassen. „Ich versuche trotzdem, positiv zu bleiben.“  (mit dpa)

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