Beichtväter, Kneipenschläger, Menschenfänger

von Redaktion

München – Die Profession des Talkshowmasters ist älter als elektronische Medien und von jeher war der Moderator eine kontroverse Figur, der es niemandem recht machen kann. Genau genommen könnte man Sokrates als ersten Talkshowmaster bezeichnen, der mit endlosen Fragenspiralen den Unmut seiner Zeitgenossen auf sich zog.

Im deutschen Fernsehen präsentierte sich 1973 Dietmar Schönherr mit leicht selbstgefälliger, wenn auch nicht unsympathischer Grandezza als erster deutscher Talkshowmaster (siehe Artikel oben). In der Folge dominierte der Typ des leicht gönnerhaften Beichtvaters, der in erster Linie respektiert werden wollte. Der Gast musste vor dem Gastgeber bestehen, an die Zuschauer wurde eher selten gedacht. Alfred Biolek etablierte später den Typ harmoniesüchtiger Padrone, der wie nebenbei interessante Geschichten an Land zog. Und Joachim Fuchsberger gab Pfeife schmauchend den Versteher, der mit jedem klarkam.

Als in den 1980ern das Privatfernsehen das Format okkupierte, tauchten andere Gestalten auf – es ging darum, möglichst viel Rabatz zu machen. Da brauchte man eher den Typ Kneipenschläger, wie ihn Olaf Kracht, Moderator der Freakshow „Der heiße Stuhl“, hingebungsvoll gab. Andere wie Hans Meiser machten auf Heizdeckenverkäufer und ließen ihre Gäste ins offene Messer laufen. Arabella Kiesbauer war da fast schon eine Offenbarung. Folgerichtig floh sie, als man ihr „gescriptete Storys“ unterjubeln wollte – ihre Gäste sollten frei erfundene Schicksale darstellen.

Das Problem hatten die Polittalks der öffentlich-rechtlichen Sender nie. Die immer gleiche Schar an Politikern und „Experten“ zieht einem Wanderzirkus gleich von Sendung zu Sendung. Ob Sandra Maischberger, Anne Will oder sonst wer die immer gleichen Fragen stellt, ist egal. Der Erkenntnisgewinn ist gering, das ist der Fluch von Medienprofis, die wissen, wie diese Formate funktionieren. Mitunter wird der Ruf nach mehr Diversität laut, es sollen nicht nur alte weiße Männer und Frauen zu Wort kommen. Das Problem: Die Repräsentanten oft übersehener Gruppierungen lernen das Spiel auch schnell und spielen ihre Rolle. Man wird nicht als Mensch eingeladen, sondern als Vertreter einer Gruppe, politischen Strömung oder als stolzer Eigentümer einer Meinung. Talkshows sind im Grunde Castingshows, um jede Woche einen Kessel Buntes herzeigen zu können. Wer das besser als andere verstanden hat, ist Markus Lanz, dem es gelingt, Freakshow und angelegentlich wirklich interessanten Meinungsaustausch zu verbinden, weil er das Gespräch durchaus meinungsfreudig leitet. In unübersichtlichen Zeiten, etwa während der Corona-Pandemie, fiel das auf, während sich Kolleginnen und Kollegen souverän wegduckten. Den Willen und die Verve, Komfortzonen zu verlassen, haben heute nur wenige, was natürlich auch an der gewachsenen Gnadenlosigkeit der Öffentlichkeit liegt.

Es ist die Frage, ob begnadete Menschenfänger wie der 2016 verstorbene Roger Willemsen (er moderierte auf Premiere bis 1994 die Talkshow „0137“) die ununterbrochenen Shitstorms in den sozialen Medien überstehen könnten. Die Zeiten, in denen sich junge Moderatoren wie Amelie Fried, Giovanni Di Lorenzo oder Günther Jauch in Formaten wie „Live aus dem Alabama“ auch an sperrige Themen und schwierige, weil ungeübte Gäste wagten, sind vorbei.

In Zeiten der Nonstopüberwachung durch selbst ernannte Sittenwächter des Internets kann man keinem Moderator die Unlust verdenken, ständig seziert zu werden. Das waren noch Zeiten, als Leute wie „Ricky“ auf Sat.1 unbeschwert vor sich hin quatschen konnten und nachher niemand genau wusste, was er überhaupt gesagt hatte. War auch egal, weil gute Laune war immer. Und überhaupt: Wieso sollen ausgerechnet Talkmaster die Welt retten? ZORAN GOJIC

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