„Wir dürfen den Bogen nicht überspannen“

von Redaktion

INTERVIEW Der Beauftragte für Bürokratieabbau über sinnlose Verordnungen und seinen Wunsch nach mehr Eigenverantwortung

München – In Walter Nussels Büro im Finanzministerium hängt Artikel 153 der bayerischen Verfassung an der Wand. Darin heißt es, selbstständige Klein- und Mittelstandsbetriebe seien in der Gesetzgebung zu fördern „und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen“. Nussel ist seit sechs Jahren Beauftragter der Staatsregierung für Bürokratieabbau. Im Gespräch erklärt er, welche Themen bei ihm aufschlagen. Und warum die Gesellschaft nicht ganz unschuldig ist an der ausufernden Bürokratie.

Herr Nussel, sind Sie als Abgeordneter und Unternehmer schon mal an der Bürokratie verzweifelt?

Natürlich, es gibt schon Verordnungen, bei denen man schnell spürt: Hier wiehert der Amtsschimmel. Bei der Förderung in der Forstwirtschaft zum Beispiel. Um die zu bekommen, muss ein Förster den Antrag des Waldbesitzers kontrollieren. Danach leistet sich der Freistaat einen zweiten Beamten, der noch mal kontrolliert, ob sich jemand um einen Meter vermessen hat. Das alles für Rückforderungen von jährlich 30 000 Euro bei einem Gesamtfördervolumen von 95 Millionen Euro. Ist das den riesigen Aufwand wert? Da sollten wir die Kirche im Dorf lassen.

Als Beauftragter sind Sie Ansprechpartner für Bürger, Verbände und Unternehmen. Mit welchen Anliegen kommen die Menschen zu Ihnen?

Das ist breit gefächert. Es gibt den Bäcker, der wegen der Statistikpflichten stöhnt und über dem immer das Damoklesschwert der nächsten Abgabefrist hängt. Auch ein Klassiker: Die A1-Bescheinigung. Wenn ein bayerischer Schreiner seinen Trupp nach Tirol zum Arbeiten schickt, müssen seine Angestellten tagesgenau bei der Kreisbehörde für den Arbeitseinsatz im Ausland gemeldet sein. Wird ein Mitarbeiter nachts krank, kann der Schreiner nicht einfach jemand anderen schicken, weil der so schnell nicht nachgemeldet werden kann. Wir kämpfen immer noch, das zu vereinfachen.

Zum Inbegriff für Bürokratie-Wahnsinn ist der Brandschutz geworden.

Ja. Aber nicht immer liegt das an den staatlichen Vorschriften. Beispiel: Eine Gemeinde will einen Kindergarten bauen, der Planer schlägt bestimmte Brandschutztüren vor, die das Bauprojekt um ein Vielfaches teurer machen. Dann stellt sich heraus: Diese teure Türe wäre gar nicht vorgeschrieben gewesen. Da muss man schon genau schauen, wer nur Profit machen will. Aber es gibt auch unnötige Vorgaben: Die Stadt München wollte bei einem Neubauprojekt eigene Stellplätze für die Feuerwehr, um im Notfall deren Drehleiter als zweiten Rettungsweg nutzen zu können. Ich war selber Feuerwehrkommandant. Wenn es um Leib und Leben geht, kann man auch mal eine Straße sperren für die Feuerwehr, da braucht man keinen teuren und platzraubenden Stellplatz. Das haben wir abwenden können.

Sie können nur beratend eingreifen. Lässt sich Bürokratie so eindämmen?

Da gibt es schon Möglichkeiten. Wir haben zum Beispiel für die Gastronomie einen Leitfaden zur Kassenführung erstellt. Das Finanzamt hat Wirten wegen Mängeln bei der Kassenführung immer wieder die Betriebseinnahmen erhöht. Das kann ganz schön ins Geld gehen. Viele Gastronomen wussten überhaupt nicht, auf was der Staat bei der Prüfung wirklich Wert legt – und schimpften über die Bürokratie. Seit es den Leitfaden gibt, habe ich keine Beschwerden mehr gehört. Oft hilft es schon, Dinge einfach mal klarzustellen. Im Kabinett habe ich dafür geworben, dass wir in jedem Bereich einen Praxischeck machen, wenn bei uns Themen aufschlagen, wo die Bürokratie überhandnimmt. Das passiert auch.

Trotzdem wird die Bürokratie immer mehr…

Das ist so. Auch, weil Lebenssachverhalte immer komplexer werden. Ein Beispiel sind Förderprogramme. Bis zu einem gewissen Grad ist klar, dass auch kontrolliert werden muss, wofür man Steuergeld hergibt. Aber wir dürfen den Bogen nicht überspannen.

Wo passiert das?

Muss es wirklich sein, dass beim Faschingsumzug neben jedem Reifen eine Begleitperson mitläuft? Ich sage, wir müssen wieder zu mehr Eigenverantwortung kommen und nicht alle Verantwortung auf Dritte abwälzen. Der Aufwand solcher Regeln macht Kulturgut kaputt. Als Gesellschaft muss uns klar sein: Hundertprozentige Sicherheit können wir nie haben. Wenn aber immer sofort eine Klage droht, dann wird die Bürokratie nicht weniger.

Interview: Dominik Göttler

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