Von Adenauer bis Scholz: 68 Jahre deutsche Atomgeschichte

von Redaktion

München – Am Samstag endet in Deutschland die Atom-Ära. Als letzte Meiler gehen Emsland (Niedersachsen), Neckarwestheim 2 (Baden-Württemberg) und Isar 2 (Bayern) vom Netz. Vom ersten Atomminister über die Straßenschlachten in Brokdorf und Wackersdorf bis zum Aus dauerte es 68 Jahre. Eine Zeitreise.

. Beginn unter Adenauer

Unter CDU-Kanzler Konrad Adenauer begann die Bundesrepublik 1955, Reaktoren für den zivilen Gebrauch zu entwickeln. Adenauer schuf ein Ministerium für Atomfragen. Erster Atomminister: Franz Josef Strauß.

. Warum werden die Kraftwerke abgeschaltet?

Vor allem nach dem Atomunfall in Tschernobyl 1986 wandelte sich die Stimmung. In Tschernobyl, damals Teil der Sowjetunion, explodierte der Reaktorblock 4, Radioaktivität verteilte sich über die Nordhalbkugel. Große Flächen im Norden der heutigen Ukraine wurden unbewohnbar. Bis zum Atomausstieg dauerte es dennoch. Die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) beschloss ihn 2002. Acht Jahre später stoppte die CDU-FDP-Regierung unter Angela Merkel den Ausstieg. 2011, als ein Tsunami eine Kernschmelze im japanischen Fukushima auslöste, beschloss die schwarz-rote Merkel-Regierung das endgültige Aus bis Ende 2022. Aus Angst vor einer Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs verlängerte die Koalition aus SPD, Grünen und FDP unter Olaf Scholz (SPD) die Laufzeit bis zum 15. April 2023.

. Das erste Kraftwerk

Der erste funktionsfähige Reaktor startete am 31. Oktober 1957 an der Technischen Universität München. Die wegen ihrer Form Atom-Ei genannte Forschungsanlage wurde bis Juli 2000 genutzt. Sie wird derzeit abgerissen. Erste Versuche, einen Reaktor zu bauen, gab es bereits Anfang der 1940er-Jahre. Die Anlagen konnten aber keine sich erhaltende Kettenreaktion auslösen, also keinen Strom erzeugen. Den ersten Strom speiste die Versuchsanlage Kahl am Main im nordwestlichsten Zipfel Bayerns 1962 ins deutsche Netz ein. Als letztes startete am 1. November 1989 Neckarwestheim 2.

. Wie viele Anlagen waren in Deutschland in Betrieb?

Der World Nuclear Industry Report listet 36 Reaktorblöcke in Deutschland auf. Allein in Greifswald an der Ostsee, dem wichtigsten AKW-Standort der DDR, standen fünf. Bei sechs weiteren begann der Bau, sie gingen aber nie ans Netz, darunter drei in Greifswald, zwei in Stendal (Mecklenburg-Vorpommern) und der Schnelle Brüter in Kalkar am Niederrhein. 18 weitere Blöcke wurden geplant, aber nie gebaut. Am längsten liefen Biblis A und Obrigheim in Baden-Württemberg, Gundremmingen C in Bayern sowie Grohnde in Niedersachsen mit je 37 Jahren. Am kürzesten lief Greifswald 5: 23 Tage im November 1989. Im Rekordjahr 1997 lieferten die Kraftwerke 30,8 Prozent des Stroms in Deutschland. 2022 waren es noch 6,5 Prozent.

. Wie viele Störfalle gab es?

Der erste ereignete sich 1942 in Leipzig, als sich während eines Versuchs Wasserstoff bildete und explodierte. Insgesamt verzeichnete das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base) fast 6600 meldepflichtige Störfälle. Am anfälligsten war der Thorium-Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop in Nordrhein-Westfalen mit 125 Störfällen in fünf Jahren. Große Mengen radioaktiver Strahlung wurden jedoch nie freigesetzt.

. Was bleibt an Atommüll?

Rund 27 000 Kubikmeter Kernbrennstoffe müssen entsorgt werden. Derzeit lagert der stark strahlende Atommüll in Spezialbehältern an 16 Orten, meist auf dem Gelände ehemaliger Atomkraftwerke. Ein Endlager-Standort fehlt, er wird wohl nicht vor 2068 festgelegt.

. Wie lange dauert der Rückbau der Kraftwerke?

Die meisten Kraftwerke werden bereits zurückgebaut. Vier Anlagen stehen vor dem Abriss, drei sind voll beseitigt. Eine Kuriosität ist das Schiff Otto Hahn, benannt nach dem Entdecker der Kernspaltung. Es war ab 1968 mit Atomantrieb unterwegs. Der wirtschaftliche Durchbruch blieb aus, auch wegen Sicherheitsbedenken in Häfen. 1979 wurde der Reaktor ausgebaut. Bis die letzten Meiler abgebaut sind, dauert es, weil das Innenleben sorgsam dekontaminiert werden muss. Große Anlagen brauchen dafür teils mehr als 20 Jahre. Manche Gebäude können weiter genutzt werden, etwa als Technologiepark. Gebäude und Kühlturm des Schnellen Brüters in Kalkar sind heute ein Freizeitpark. BJÖRN HARTMANN

Artikel 4 von 4