München – Der Tod eines 26-jährigen Joggers im Trentino nach einem Bärenangriff schlägt hohe Wellen – nicht nur im Italien. Auch in Bayern weckt der Fall Erinnerungen. Zumal es sich bei dem schon mehrfach auffälligen Bärenweibchen um die Schwester des ehemaligen bayerischen „Problembären“ Bruno handelt, wie ein DNA-Abgleich ergab. Im Gespräch erinnert sich Bayerns früherer Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) an die giftige Debatte im Freistaat, nachdem Bruno zum Abschuss freigegeben wurde.
Herr Stoiber, welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf, als Sie gehört haben, dass es Brunos Schwester war, die in Südtirol einen jungen Jogger getötet hat?
Die Nachricht hat mich berührt, weil es ein schreckliches Unglück ist, das dem jungen Mann widerfahren ist. Und ich habe natürlich sofort an die enorme Aufregung gedacht, die es im Mai 2006 bei uns in Bayern gab, als zum ersten Mal seit 170 Jahren wieder ein Bär in freier bayerischer Wildbahn auftauchte.
Sie haben viele Anfeindungen erlebt, als die Staatsregierung nach Wochen der Beobachtung im Juni Brunos Tötung anordnete.
Experten haben uns damals dringend gewarnt, dass von Bruno höchste Gefahr für Leib und Leben von Menschen ausgeht. Mein Umweltminister Werner Schnappauf hat mir berichtet, das Tier sei außer Rand und Band. Er hat deshalb den Abschussbefehl erteilt, und ich habe diese Entscheidung aus tiefer Überzeugung mitgetragen, auch wenn sie uns schlimme Anfeindungen von Tierschützern eintrug.
Wenn Sie heute auf die Tragödie in Südtirol blicken, dann haben Sie in der Rückschau richtig entschieden….
Es gab dazu keine Alternative. Das Leben eines Menschen steht über allem. Und Experten haben uns sehr eindringlich klargemacht: Dieser Bär ist eine tödliche Gefahr, weil er ein auffälliges und für einen wilden Bären völlig ungewöhnliches Verhalten zeigte. Er hat sich ohne Scheu menschlichen Siedlungen genähert, und auch alle Bemühungen, ihn zu vergrämen, sind leider erfolglos geblieben.
Offenbar hatte er dieses Verhalten von seiner Mutter gelernt, so wie anscheinend auch die Schwester.
Der schlimme Vorfall in Südtirol zeigt leider auf furchtbare Weise, wie richtig die Experten damals lagen.
Um die Identität der Jäger hat die Staatsregierung ein Riesengeheimnis gemacht.
Natürlich, das ging gar nicht anders, es gab ja sogar Morddrohungen sogenannter Tierschützer. Versuche, Bruno einzufangen, sind damals leider gescheitert. Wir haben sogar finnische Jäger gebeten, uns zu helfen, aber sie konnten ihn nicht fangen. Also hat die Untere Naturschutzbehörde ein Spezialteam zusammengestellt, um ihn zu stellen, das aber, um die Beteiligten zu schützen, anonym bleiben musste. An der Kümpflalm, unweit der Rotwand, haben sie den Bären aufgespürt.
Vermutlich hatten Sie sich als Ministerpräsident nicht mal in Ihren kühnsten Fantasien vorstellen können, wegen einer solchen Entscheidung mal so hergewatscht zu werden…
In der Politik wird man bisweilen vor atypische Entscheidungen gestellt. Diese war so eine. Diese Entscheidung nimmt einem am Ende auch keiner ab. Und wenn der zuständige Minister und alle Experten sagen, dass Lebensgefahr herrscht, dann gibt es auch keinen Abwägungsspielraum mehr. Dann müssen Sie tun, was zu tun ist. In diesem Fall hieß das: Der Bär Bruno musste erlegt werden.
Aber mit Ihrer Popularität in Bayern ging es bergab.
Ich wollte nicht beliebt sein, ich wollte eine Gefahr abwenden. Vielleicht sieht mancher, der uns damals so hart kritisiert hat, die Sache heute anders.
Interview: Georg Anastasiadis