Wölfe in Garmisch: „Sieben Risse in acht Tagen“

von Redaktion

Abschuss-Debatte in der Alpenregion reißt nicht ab: Erste Almbauern wollen ihre Tiere nicht mehr auftreiben

Garmisch-Partenkirchen – Eine Hirschkuh liegt tot im Gras. Ein Wolf hat ihr den Bauch aufgebissen, da ist sich Landwirt Klaus Solleder aus Unterammergau sicher. Es ist der siebte Riss binnen acht Tagen, sagt er. Den ganzen Winter lang hätten Jäger und Landwirte hier immer wieder tote Wildtiere entdeckt. „In vier Wochen sind unsere Tiere dran, dann beginnt die Almsaison“, sagt er. „Ein Almbauer aus Unterammergau hat schon angekündigt, dass er nicht auftreiben wird.“ Zu groß sei die Sorge um seine Tiere. Auch in Farchant und Partenkirchen hätten bereits zwei Bauern abgesagt.

Im Kreis Garmisch-Partenkirchen sind offiziell vier Wölfe sesshaft, darunter ein Paar. Solleder, der auch Vizepräsident beim Bauernverband Oberbayern ist, sagt: „Das sind nicht nur vier. Es ziehen Wölfe in einer zweistelligen Anzahl durch die Region. Daher haben wir so viele Risse – und so wie manches Rotwild zerfetzt ist, müssen zwei Wölfe von zwei Enden aus daran ziehen.“ Ein Gemetzel, findet er – und meist würde die Beute nicht mal zu zwei Dritteln vertilgt.

„Angst haben aber nicht nur Viehhalter“, sagt Solleder. „Am Karfreitag gehen die Ministranten mit Lichtern auf den Steckenberg – dieses Jahr haben es die Mütter verboten.“ Längst sei allen klar, dass der Wolf den Respekt vor Menschen verloren habe. „Zwei der letzten Funde sprechen wieder dafür: Ein Riss fand direkt an der Bundesstraße statt, einer in Sichtweite zu einem Altenheim.“

Trotz der Angst vor Rissen bleibt vielen Almbauern keine andere Wahl als ihre Tiere aufzutreiben. 60 Mutterschafe und 15 Lämmer sind es bei Joseph Grasegger aus Partenkirchen, dem Vorsitzenden des Landesverbands Bayerischer Schafhalter. „40 Nutztier-Risse sind vergangenes Jahr dokumentiert, dieses Jahr werden es mit Sicherheit mehr“, sagt der 70-Jährige. „Wir haben aber nicht genug Weideflächen, um die Tiere das ganze Jahr im Tal zu lassen. Wir sind auf die Almen angewiesen.“

Dass der Wolf die Tiere von der Weide in den Stall verdrängt, befürchtet auch Theresa Lödermann, Grünen-Politikerin, leidenschaftliche Tierschützerin und dritte Landrätin in der Region. „Der Wolf kommt, der Bauer geht: Das darf nicht passieren“, sagt sie und fordert nach unzähligen Unterhaltungen mit Almbauern anders als viele ihrer Parteikollegen eine geregelte Bestandsbejagung. Auch, damit Wölfe nicht bald illegal geschossen oder vergiftet werden. „Für die Betroffenen stehen nicht nur ihre Tiere auf dem Spiel – auch ihre Heimat“, so Lödermann. Fällt die Bewirtschaftung der Almen weg, werde die einzigartige Biodiversität in der Region verschwinden. „Außerdem: Als Art ist das Schaf genauso schützenswert wie der Wolf.“

Vor falschen Hoffnungen warnt Andreas von Lindeiner vom Landesbund für Vogelschutz. Prophylaktische Abschüsse und eine quasi wolfsfreie Zone im gesamten Landkreis, wie jüngst vom Kreistag gefordert, widersprächen EU-Recht. Ein Abschuss müsse immer die letzte Lösung bleiben, sofern möglich, müssten zuerst alle Schutzmaßnahmen vom Zaun bis zum Herdenschutzhund ausgeschöpft werden. Mit der Bärenattacke im Trentino sei die Situation in Garmisch jedenfalls nicht zu vergleichen. „Dort gibt es keine Alternative zur Entnahme.“ Tiere wie Brunos Schwester seien nicht „kulturlandschaftskompatibel“. C. SCHRAMM/D. GÖTTLER

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