München – Der 50 Meter hohe Schornstein aus Backsteinziegeln ragt aus der Mitte des Gebäudes empor, die Fassaden mit ihren hohen Aluminiumfenstern sind jedoch hochmodern. Im ehemaligen Kesselhaus im Münchner Stadtteil Allach trifft nicht nur optisch Tradition auf Moderne. Früher gehörte das Gebäude zur Diamalt AG, die auf dem Gelände unter anderem Backhilfsmittel, Malzpräparate oder Suppenwürze herstellte. Jetzt betreibt Eigentümer Matthias Mertmann (58) eine Dentalfirma und sein Ingenieurbüro, wo bis Mitte der 80er-Jahre noch Strom und Dampf fürs Werk erzeugt wurden. Mit seiner Frau Andrea Wichelhaus (62) und ihren Kindern wohnt Mertmann im Kesselhaus – und hat dem denkmalgeschützten Gebäude neues Leben eingehaucht.
2009 kauften Mertmann und seine Frau das Haus von einem Immobilienfonds. Sie wollten unbedingt in ein Industriedenkmal ziehen, „denn davon gibt es in München nicht so viele“. Das Ehepaar musste alle Altlasten des heruntergekommenen Hauses übernehmen – beispielsweise Salzsäure aus dem Gebäude entfernen. Sie verließen ihre 120 Quadratmeter-Wohnung in Basel und besaßen schlagartig mehrere tausend Quadratmeter. Als Wohnraum dürfen sie aber nur bis zu 14 Prozent der Gesamtfläche nutzen.
„Wir hatten eine Eingewöhnungszeit, man fremdelt am Anfang schon ein bisschen mit den großen Räumen“, erzählt Mertmann. Zumal damals die Nachbarschaft noch Brachland war – heute stehen dort über 700 Wohnungen. „Als wir noch alleine hier waren, haben die Freundinnen meiner Tochter gesagt: ,Ihr habt ja einen eigenen Stadtteil, den nennen wir jetzt Wichelhausen‘“, sagt Mertmann und lacht.
„Alles, was früher mit dem Energiefluss des Kraftwerks zu tun hatte, muss erhalten werden und ist unantastbar – zum Beispiel der Kessel oder die Kohleförderanlage“, erklärt der Eigentümer. Sonst habe das Ehepaar aber weitestgehend freie Hand bekommen: „Die haben gemerkt, dass wir wirklich Interesse an dem Denkmal haben und nicht rein profitorientiert sind.“ Dennoch müssen geplante Veränderungen an den Fassaden oder auf dem Dach von der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt München genehmigt werden. „Die Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt war eigentlich immer sehr gut“, berichtet der 58-Jährige. Und insgesamt 90 Prozent der denkmalrelevanten Kosten konnte das Ehepaar steuerlich abschreiben – beispielsweise alles, was den Rohbau, die Heizung oder die Elektro-Installation angeht. Mertmann schätzt, dass jene denkmalrelevanten Kosten 80 bis 85 Prozent des Gesamtbetrags ausmachen, den die Familie in das Gebäude investiert hat. Der Unterschied bei den Instandhaltungskosten zwischen einem sanierten Denkmal und einer „normalen“, älteren Immobilie sei gar nicht so groß.
Überraschungen gibt es im Austausch mit dem Amt allerdings auch immer wieder: In die 450 Quadratmeter große Maschinenhalle soll ein dreistöckiger Glaskubus kommen. Zu Mertmanns Verwunderung will der Denkmalschutz die Fliesen an der Wand erhalten, obwohl viele stark beschädigt sind. „Das sieht ein bisschen nach Hallenbad aus“, sagt der Maschinenbauingenieur. „Hin und wieder muss man mit dem Amt in Clinch gehen – das gehört aber dazu.“
„Meine Frau und ich genießen das sehr“, sagt der Eigentümer über das Leben im Denkmal. Er weiß aber auch: „Das ist speziell und nicht für jedermann.“
Weniger modern, aber umso kunstvoller ist der Anblick des Hauses von Rainer Hiemer (59) und seiner Frau Katrin (56) in Gräfelfing. Dort führt die erste Tür in die Holzstube – neben vielen alten Einrichtungsstücken steht ein grüner Kachelofen. Der 59-Jährige erzählt, dass seinem Nachbarn zu dessen Verärgerung seine Holzheizung abgesprochen wurde. „Unser Ofen wird aber bleiben, egal, wie viel CO2 er ausstößt.“ Denn: „Der Denkmalschutz steht über allem.“ Und der Ofen macht den Charme des denkmalgeschützen Hauses mit aus.
Die beiden wohnten zuvor bereits in der Gemeinde im Landkreis München und kannten das auffällige gelbe Haus. 2015 stand das Gebäude dann zum Verkauf, diese Chance nutzten die Hiemers. Gebaut wurde das Denkmal 1903 von einer Schirmfabrikantin aus München, die es als Sommerdomizil nutzte.
Für ihr neues Heim bezahlten die Hiemers zwar zunächst „nur“ den Grund und Boden. Aber: „Im Gebäude war hoher Reparaturstau. Den mussten wir erst mal abbauen.“ Überraschungen gehören zum Leben im Denkmal dazu. Als die Hiemers ihren Holzbalkon sanieren wollten, mussten sie feststellen, dass sich Wespen darin heimisch gemacht und das Holz von innen ausgehöhlt hatten. „Eigentlich waren für die Sanierung 4000 Euro veranschlagt – so waren es am Ende 12 000“, berichtet der Steuerberater. „Solche Überraschungen hat man ständig.“ Der 59-Jährige erzählt, dass jährlich eine Summe im fünfstelligen Bereich für Sanierungen nötig ist. Die Hiemers können über zwölf Jahre insgesamt 100 Prozent der denkmalrelevanten Investitionskosten steuerlich abschreiben. Er spricht ebenfalls von einem stets sehr guten Austausch mit der Denkmalschutzbehörde.
Die kunstvollen Verzierungen an den eindrucksvollen Fassaden fertigte ein Vorbesitzer an, der Schreiner war. Er brachte zudem die Madonna oberhalb der Haustür am Gebäude an. Für viele Maßnahmen am und im Haus müssen die Hiemers einen Restaurator beauftragen, der sich mit den alten Materialien und besonderen Schleiftechniken auskennt.
Dass sie für fast alle Umbaumaßnahmen Sonderanfertigungen benötigen und die Räume sehr kompakt und aus heutiger Sicht ungeschickt aufgeteilt sind, macht den Hiemers nichts aus. Um etwas mehr Wohnraum zu bekommen, ließen sie sich einen Wintergarten an der Rückseite des Hauses genehmigen. Sie haben die Eigenheiten ihres Heims ins Herz geschlossen und wollen daran nicht viel ändern. „Das Haus hat etwas Besonderes – es ist sehr bunt, eigenwillig und einzigartig“, sagt Rainer Hiemer. „So etwas findet man kein zweites Mal.“