München – Luitpold Prinz von Bayern (72) führt seit 1976 die Geschäfte der König Ludwig Schlossbrauerei Kaltenberg, die für ihr dunkles Bier berühmt ist. Zum Tag des Bieres am Sonntag spricht er über die Geschichte des Volksgetränks der Bayern, die Bedeutung des Reinheitsgebots und König-Ludwig-Bier aus der Ukraine.
Prinz Luitpold, was macht ein Bier perfekt?
Ein perfektes Bier macht Durst auf ein zweites (lacht).
Bier ist ja schon lange das Volksgetränk in Bayern…
Getränke waren im Mittelalter völlig anders. Nur wer Bier und Wein trank, blieb gesund. Wer reines Wasser trank, konnte sich leicht Typhus oder Cholera einfangen. Bier wurde zum wichtigsten Volksnahrungsmittel. Wegen seiner vier bis fünf Prozent Alkohol hatten Keime keine Chance. Es konnte sauer werden, aber niemals giftig.
Wann hat Bier Wein den Rang abgelaufen?
Vor 1430 hat man auch in Bayern nur Wein getrunken, bis ins Berchtesgadener Land wurde er auch angebaut. Ein Kälteeinbruch, der Jahrzehnte dauerte, hat den Anbau ausgelöscht. Meine Familie hatte 1260 die erste Brauerei in der Alten Residenz – bedeutend wurde Bier aber erst zwischen 1450 und 1500.
1516 haben Ihre Vorfahren das Reinheitsgebot ausgerufen. Wieso?
Erste Verordnungen gab es schon um 1300. Sie galten aber nur regional. Das allgemeingültige Gebot ist eine Folge des Primogeniturgesetzes, das Albrecht der Weise erließ, um das Herzogtum vor der Zersplitterung zu retten. Nach der Fusion von Ober- und Niederbayern wurden alle Landesgesetze neu gefasst. Das Gesetzbuch ist noch im Familienbesitz. Da steht: „Zum Bier darf nichts genommen außer Gersten, Hopfen und Wasser.“
Warum ist die Zutatenliste so limitiert?
In der Zeit reihte sich eine Hungersnot an die andere. Um das Getreide, das für die Brot-Herstellung benötigt wurde, zu schützen, war zum Brauen nur Gerste erlaubt. Auch der Hopfen war ein Verbraucherschutz-Thema: Es gab vorher oft Tote, weil giftige Zutaten wie Tollkirsche oder Binsenkraut verwendet wurden. Hopfen dagegen war schon damals eine altbewährte medizinische Pflanze. Und: Seine beruhigende Wirkung dimmt die eher aufputschende Wirkung des Alkohols.
Lebten die Menschen damals im Dauerrausch?
Jeder hat Bier getrunken – auch Kinder. Sein Alkoholgehalt war aber niedriger, weil die Vergärung noch nicht so optimiert war. Zudem haben die Menschen körperlich hart gearbeitet und konnten sich nur zu Fuß fortbewegen. Sie haben sich nicht besoffen, sondern über den Tag verteilt mehrere Biere getrunken. Bis zum nächsten Schluck war der letzte schon abgebaut.
Wie hoch war wohl der Pro-Kopf-Verbrauch?
Die historische Datenlage ist nur bei wenigen Produkten so ergiebig wie beim Bier. Im Staatsarchiv in München gibt es die Abteilung Hofküche. Von 1600 bis 1900 sind alle Dokumente erhalten. An der Residenz mussten um die 500 Leute verpflegt werden. Für Getränke wurden Strichlisten geführt. Im Durchschnitt trank jeder 2,2 Liter am Tag, also vier Halbe Bier.
Das wären über 800 Liter im Jahr. Heute liegt der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch bei knapp 100 Litern. Wie viel trinken Sie?
Ein, zwei Bier am Tag. Der Konsum in Bayern ist ja nicht so stark auf die Abendstunden fokussiert wie im Norden. Hier wird Bier als Begleitung zur Mahlzeit getrunken. So halte ich das auch: Dunkles trinke ich abends zum Schweinebraten. Dunkles Weißbier zu leichterem Abendessen. Nach dem Sport – ich segle, reite oder fahre Ski – trinke ich Weißbier.
Trinken Sie selbst nur König-Ludwig-Biere?
Nein, ich muss mich auch regelmäßig durch die Konkurrenz probieren. Ich teste sogar internationale Getränke, die sich gerne Bier nennen wollen würden… (lacht)
Also die, die nicht nach Reinheitsgebot gebraut sind?
Das Reinheitsgebot ist mein Familienrezept und für mich Garant für Sicherheit. Vor zwanzig Jahren wurde etwa in Frankreich und Dänemark noch Formaldehyd zur Stabilisierung eingesetzt. In Skandinavien wird Glycerin eingesetzt, damit während der Gärung kein Schaum entsteht und die Tanks voller gemacht werden können. Ziel ist: möglichst billig produzieren.
Steht das Reinheitsgebot einer Biervielfalt im Weg?
Das Reinheitsgebot lässt extremen Varianten-Reichtum zu – die Fantasie ist nicht eingeschränkt. Zum Vergleich: Ein Braumeister lernt in Bayern fünf Jahre. Ein Brewmaster besucht in den USA einen vierwöchigen Schnellkurs und stellt mit einem Rezept aus dem Internet ein Gebräu her. Das ist kein Bier – und Johannesbeersaft mit Zucker gestreckt auch kein Bordeaux. Aber fernab der Craft-Brauer: Traditionen wie englisches Ale akzeptiere ich.
Das Reinheitsgebot halten Sie also für zeitlos?
Wieso sollten wir nicht nach einem Lebensmittelrecht arbeiten, das ohne zusätzliche Chemie und Rohstoffe funktioniert? Dass ein getreidebasiertes Brauerzeugnis heute weltweit als Bier bekannt ist, ist dem Reinheitsgebot zu verdanken. Seit 500 Jahren definiert es ein Produkt. Ohne Bayern gäbe es kein Bier mehr – aber ohne Bier auch kein Bayern.
Wieso das?
Kurfürst Maximilian I. war 17 Jahre alt, als er 1598 die Regierung eines bankrotten Landes übernahm. Dem damaligen Herzog von Bayern war sogar der Trompeter zum Abendessen gestrichen worden – so pleite war der Staat. Mit einer genialen Idee sanierte Maximilian aber den Staatshaushalt: Er sicherte sich das letzte Altrecht auf die Weizenbier-Produktion. Laut Reinheitsgebot durfte ja keiner mehr mit Weizen brauen. Heute wissen wir: Ohne sein Weißbier-Monopol gäbe es Bayern nicht mehr.
Warum war Weißbier-Brauen so lukrativ?
Nur Weißbier konnte ganzjährig gebraut werden. Untergäriges Bier muss kalt gelagert werden. Daher war das Brauen nur zwischen Michaeli am 29. September und Georgi am 24. April erlaubt. Maximilian ließ mit 24 Brauereien ein Netz an weißen Bräuhäusern errichten. Jedes schrieb binnen vier Jahren schwarze Zahlen. Mit den Einkünften unterstützte er den österreichischen Kaiser im 30-jährigen Krieg. Dieser konnte den Kredit von 25 Millionen Gulden nicht zurückzahlen. Daher fiel die Oberpfalz an Bayern. Hätten die Bayern also nicht so einen Bierdurscht gehabt, wäre der Freistaat heute nicht so groß – und vielleicht protestantisch (lacht).
Zur aktuellen Generation Wittelsbacher: Wie spricht man Sie korrekt an?
Die Anrede Herr Prinz von Bayern ist bürgerlich gesehen korrekt. Ansprechen kann mich aber jeder, wie er will.
Sie reisen viel. Wie kommt Ihr Name an?
Beim Hotel-Einchecken muss man mich meist erst suchen. Entweder unter Prinz, von oder Bayern. Bei Nachfragen antworte ich auf Englisch: „Prince like in a Fairytale and Bavaria is my country.“ (Prinz wie im Märchen und Bayern ist mein Land.) Dann sind die Leute erstaunt. Der Name polarisiert natürlich. Bei der Zollkontrolle werde ich entweder sofort durchgewunken – oder komplett gefilzt.
1976 haben Sie die Kaltenberger Brauerei übernommen. Wie war der Start?
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte meine Familie die Brauerei einer befreundeten Familie abgekauft. Als ich sie übernahm, war die Technik auf Stand der 1930er-Jahre. Das war herausfordernd. Das Sudhaus musste per Hand mit Kohle geschürt werden. Im Lagerkeller standen Holzfässer. Wir konzentrierten uns zunächst auf Dunkles – nach dem Motto „Feuer gekocht wie zu Königs Zeiten“.
Dunkles war damals nicht mehr so gefragt, oder?
Bis in die 1950er-Jahre war Dunkles die Hauptsorte in Bayern. Dann war Helles „in“, später Weißbier. Gerade wieder Helles. Das sind Modezyklen. Wir haben immer auf das Gegenteil von dem gesetzt, das Mode war. Im Biergarten in Kaltenberg haben wir nur Dunkles verkauft. Andere Brauereien haben ihr Dunkles eingestellt. Bald waren wir durch dieses nahezu Alleinstellungsmerkmal in allen Getränkemärkten stark vertreten. Einmal im Laden konnten wir sukzessive ausbauen. Als nächstes kam Dunkles Weißbier. 1986 bestand der Dunkelbier-Markt zu 50 Prozent aus König Ludwig – bis heute haben wir den größten Marktanteil.
König Ludwig braut auch Helles und Weißbier…
Wir brauen auch noch ein Randprodukt, das in Oberbayern gerade nicht chic ist: Kristall-Weißbier. Im Norden im Raum Aschaffenburg wird es gerne getrunken. Aber: In München tauchten dazu in unserer Jahresstatistik jahrelang 30 Hektoliter Kristall-Weißbier auf – plötzlich brachen sie weg. Wir forschten nach. Nur eine Wirtschaft in der Verdistraße verkaufte das Bier. Dort sagte man uns: „Der Berni ist krank.“ Dieser Mann trank also jeden Tag fünf Mass Kristall-Weißbier.
Sie vermarkten Ihr Bier im Ausland über Lizenzbrauereien. Warum?
Wir exportieren in die EU. Aber Bier muss frisch sein. Es tut nicht gut, wenn es quer über Weltmeere geschickt wird. Die Lizenzbrauereien, etwa in der Mongolei und Indonesien, brauen König-Ludwig-Bier nach Reinheitsgebot und unseren Standards, was ständig überprüft wird.
Einige Brauereien standen auch in der Ukraine…
Wir hatten Produktionen in Weißrussland, Russland, Kasachstan und der Ukraine. In der Ukraine produzieren wir noch. Die Fabrik unseres Flaschenherstellers ist aber gleich in den ersten Kriegswochen zerbombt worden. Die Russen haben alle intakten Geräte abtransportiert.
Sie sind weltweit aktiv. König-Ludwig-Bier darf aber nicht auf der Wiesn ausgeschenkt werden. Schmerzt Sie das?
Es ist amüsant: Wir haben uns ja mehrmals beworben. Und jedes Mal hat die Stadt München ihre Zulassungsbestimmungen geändert. Auf der Wiesn dürfen nur Münchner Brauereien ausschenken. Als ich dann eine Brauerei in München hatte, hat das wieder nicht gereicht. Die neueste Regel ist ja, dass auf dem Oktoberfest nur Bier ausgeschenkt werden darf, das mit Münchner Wasser gebraut ist. Was treibt die Stadt an? Vier Brauereien, davon zwei internationale Großkonzerne, setzt sie so unter „Naturschutz“ – und 600 andere bayerische Brauereien müssen zuschauen? Kartellrechtlich wird es jetzt interessant, wenn kleinere Brauereien, die mit Wasser aus Münchner Brunnen brauen, sich bewerben. Aber ich habe das Thema Wiesn abgehakt.
Zusammengefasst von: Cornelia Schramm