Bachmut – Der Keller erbebt unter dem Granathagel, draußen vor dem Haus taumelt ein blutender Soldat vor einem Krankenwagen. Einige Soldaten kommen den Sanitätern zu Hilfe – müssen sich aber gleich wieder in Sicherheit bringen, als eine weitere russische Rakete in einem Hof in der Nähe einschlägt. In Bachmut im Osten der Ukraine liefern sich ukrainische und russische Truppen seit zehn Monaten erbitterte Kämpfe.
Die Höfe zwischen den zerschossenen Gebäuden sind bedeckt mit verbogenen Metallgerüsten von Spielplätzen, Glasscherben und improvisierten Kreuzen auf Gräbern von eilig beigesetzten Zivilisten. Sie zeugen von der längsten und blutigsten Schlacht des Ukraine-Krieges in einer Stadt von ehemals 70 000 Einwohnern. Die russische Armee kontrolliert inzwischen rund 80 Prozent von Bachmut. Die ukrainischen Truppen harren im Westen der Stadt in kaum beleuchteten, miteinander verbundenen Kellern aus.
„Sie hören nicht auf anzugreifen, weder tagsüber noch nachts. Nur wenn wir einen Angriff landen, müssen sie erst ihre Verwundeten und Toten in Sicherheit bringen“, sagt der Vize-Befehlshaber eines Bataillons, der sich „Philosoph“ nennt, in seinem Posten unter der Erde. Über ihm dröhnt der Kugelhagel. „Wir sind müde, die Leute sind erschöpft“, sagt er. „Aber jeder Tag, den wir Widerstand leisten, gibt anderen Einheiten die Chance, einen Gegenangriff vorzubereiten.“
Die ukrainischen Soldaten verteidigen Bachmut Straße um Straße – unter großen Verlusten. Die Führung in Kiew erklärt derweil, russische Einheiten würden reihenweise vernichtet, der Feind werde zermürbt, bevor es zum groß angelegten Gegenangriff kommen werde. Erste Anzeichen für ein Vorrücken gab es zuletzt in der Region Cherson, wo ukrainischen Truppen den Fluss Dnjepr überschritten haben sollen – Russland dementierte diese Berichte allerdings umgehend.
Die Verteidigung Bachmuts ist für die Ukrainer unterdessen umso schwieriger, da sie nur eine Zufahrtsstraße kontrollieren, über die sie die Truppen versorgen können. Sie nennen sie „die Straße des Lebens“ – aber die ausgebrannten Fahrzeuge am Straßenrand zeugen von tödlichen Kämpfen. „Du kannst es Straße des Lebens oder Straße des Todes nennen“, sagt die 22-jährige Amina, die seit einigen Monaten in der Armee kämpft. Auch sie hält sich in einem Keller auf, am Stadtrand von Bachmut.
Hinter einer Reihe von Birken in einem matschigen Feld sitzt der 26-jährige Andrij mit seiner Kanone aus den Zeiten der Sowjetunion und versucht, die Zufahrtsstraße zu verteidigen. Ihm ist klar, was auf dem Spiel steht. „Wenn du die Straße abschneidest, sind alle in Bachmut tot. Keine Versorgung, keine Munition, kein Essen. Nichts. Es wäre total abgeschnitten“, sagt er, während seine Leute Munition aufschichten.
Nach Ansicht von Experten hat Bachmut wenig strategischen Wert, dafür aber extreme symbolische Bedeutung gewonnen. „Wenn Russland Bachmut erobert, wird es ein Pyrrhus-Sieg sein“, sagt Mykola Bjeljeskow vom Nationalen Institut für Strategische Studien in Kiew. „Kriege werden durch schnelle offensive Operationen gewonnen. Das ist nicht das, was die Russen in Bachmut getan haben.“ afp