London – Was haben Kronjuwelen, eine prunkvolle Zeremonie und Saubohnen mit Spinat und Estragon gemeinsam? All das sind Zutaten für die Krönung von König Charles III. am Samstag. Während die Edwardskrone und der feierliche Umzug offensichtlich dazugehören, sind die drei Nahrungsmittel Bestandteile der hochoffiziellen Krönungs-Quiche. Doch König Charles hat noch weit wichtigere Aufgaben, als Rezepte für den großen Königsschmaus auszusuchen.
Wie in Deutschland das Amt des Bundespräsidenten ist das englische Königshaus ein Symbol der nationalen Einheit. Als Oberhaupt des britischen Staats (und 15 weiterer Länder) füllen repräsentative Aufgaben im In- und Ausland Charles’ Terminkalender. Die 2022 verstorbene Queen Elizabeth II. unternahm in ihrer 70-jährigen Amtszeit über 260 offizielle Auslandsreisen in über 110 verschiedene Länder. Dazu kommen Staatsempfänge im Buckingham Palast, dem offiziellen Sitz der britischen Monarchie, sowie Besuche von oft wohltätigen Events.
Zusätzlich besitzt der aktuelle Monarch pro forma politische Macht. Kraft seines Amtes eröffnet König Charles III. das britische Parlament und löst es wieder auf. Das macht er „aus Gewohnheit“ –aber nur im Rahmen einer Neuwahl oder zum alljährlichen Start der Sitzungsperiode des Parlaments. Aus Gewohnheit? Während die meisten Nationen auf einer Verfassung wie Deutschland mit seinem Grundgesetz basieren, besitzt das Vereinigte Königreich keine. Dass der König oder die Königin nicht nach eigenem Gutdünken die Volksvertreter entlässt, verbietet also nur die Gewohnheit politischer Praxis. Diese gilt inzwischen aber wie ein ungeschriebenes Gesetz. Im gleichen Zuge ist der royale Würdenträger zu politischer Neutralität nicht rechtlich verpflichtet, aber angehalten.
Eine weitere Parallele zum deutschen Bundespräsidenten: Die britische Monarchie ist fester Bestandteil der Legislative, der Gesetzgebung. Zwar kann König Charles III. keine eigenen Gesetzentwürfe einbringen. Doch jedes beschlossene Gesetz, das die zwei Parlamentskammern, das Ober- und Unterhaus, verlässt, muss von ihm gegengezeichnet werden. Erst dann tritt es in Kraft. Theoretisch könnte er also die Unterschrift verweigern, ein Vetorecht ausüben und die Installation eines Gesetzes verhindern. Praktisch passierte das aber zuletzt im 18. Jahrhundert. Der deutsche Bundespräsident hingegen machte bisher neun Mal von seinem Veto-Recht Gebrauch. Zuletzt Frank-Walter Steinmeier im Jahr 2020 wegen verfassungsrechtlicher Bedenken bei einem Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität im Internet.
Manchen ist noch der letzte offizielle Auftritt von Charles’ Mutter Elizabeth II. vor ihrem Tod in Erinnerung geblieben. Sie empfing im September 2022 die damalige Regierungschefin Liz Truss und ernannte sie zur Premierministerin. Auch wenn Truss ihr Amt nach sieben Wochen wieder abgab: Die Ernennung des Premierministers gehört ebenfalls zu den Rechten und Pflichten des britischen Monarchen. Schon nach 50 Tagen als neuer König nahm Charles III. die Aufgabe wahr und hob den gegenwärtigen Regierungschef Rishi Sunak offiziell ins Amt. Weiter ist der König symbolisch Befehlshaber der Streitkräfte, Oberhaupt der englischen Kirche – und er ernennt Lords und Ritter der englischen Krone.
Neben Formalitäten, Hofetikette und Pflichtterminen hat jeder Träger der britischen Königswürde persönliche Gestaltungsfreiheit. Königin Elizabeth II. setzte stets auf Höflichkeit und Neutralität. Sie äußerte sich fast nie zur Tagespolitik und blieb sogar beim emotionalen Thema Brexit weitgehend still. Manches deutet aber daraufhin, dass ihr Sohn Charles dem Amt seine eigene Note hinzufügen könnte. Britische Medien gehen davon aus, dass sich der leidenschaftliche Gärtner verstärkt für den Umweltschutz einsetzen wird. Über seine Liebe zur Natur hat er mehrere Bücher geschrieben, lange Zeit betrieb er in Gloucestershire einen Bio-Bauernhof.
Bei seinem jüngsten Deutschland-Besuch ließ er sich öffentlichkeitswirksam in einem ICE ablichten – während sein Flugzeug die Strecke ohne Regenten flog. Zudem wird ihm ein Hang zur Homöopathie nachgesagt, er vermarktete sogar eine pflanzliche Entgiftungs-Tinktur. Bleibt er auch als König bei dieser Linie, könnte das laut Experten schon reichen, um mit den Konventionen seiner zurückhaltenden Mutter zu brechen. JANNIS GOGOLIN