„Gendern wird nur als Relikt verbleiben“

von Redaktion

München – Sind alle Nachbarn Männer? Kommt drauf an, wen man fragt. Gender-Befürworter halten das „generische Maskulinum“ für problematisch, weil es vor allem männliche Assoziationen auslöse und andere Geschlechter nur mit meine. Ihr Argument: Die generische Form war keineswegs immer da, sondern ist eine junge Konvention, entstanden in einer Männer-Welt. Die Linguisten Ewa Trutkowski und Helmut Weiß beweisen nun in einer Studie das Gegenteil. Hat es sich ausgegendert?

Frau Trutkowski, Herr Weiß, darf ich Sie als Linguist*innen vorstellen?

Trutkowski: Ich weiß ja, was gemeint ist. Weiß: Natürlich, wir sind da sehr tolerant.

Sie zeigen in einer neuen Studie, dass das generische Maskulinum älter ist, als man dachte. Warum bringt das Freunde des Genderns in Erklärungsnot?

Weiß: Die Genderlinguistik baut auf zwei Säulen auf: Auf der Annahme, dass das generische Maskulinum eine junge Erscheinung sei. Und auf Studien, die belegen sollen, dass Frauen immer nur mit gemeint sind. Wir widerlegen die zentrale erste Annahme, indem wir nachweisen, dass es die generische Form schon im Althochdeutschen gab. Trutkowski: Sie ist eben nicht erst dadurch entstanden, dass viele Frauen in Männerberufe vordrangen. Richtig ist, dass Frauen lange von bestimmten Berufen ausgeschlossen waren. Bei Berufsbezeichnungen kommt also ein soziologischer Faktor hinzu, der verzerrend wirkt. Weiß: Deshalb haben wir uns auf andere Personenbezeichnungen konzentriert: Nachbar, Freund, Gast, Feind und so weiter. Es hat sich gezeigt: All das konnten Frauen immer schon sein, ohne Sternchen oder Doppelnennungen.

Wie konnte sich denn die Idee, das generische Maskulinum sei eine junge Sprachkonvention, so lange halten?

Trutkowski: Das ist eine gute Frage. Auf die Idee zu dem Artikel kam ich durch die Mail einer Studentin, die sich über Gender-Sprache beklagte. Sie meinte, das Wort Student bezeichne, wenn nicht schon immer, dann doch zumindest heute Menschen aller Geschlechter. Wir dachten, dass wir dem nachgehen sollten. Weiß: Die Gender-Linguistik stützt sich im Kern auf zwei wissenschaftliche Artikel, die den Gebrauch des generischen Maskulinums aber gar nicht historisch untersuchen. Dass die Behauptung sich hält, liegt wohl einfach daran, dass sie ins Weltbild mancher Kollegen passt. Aber offenbar hat man die beiden Texte nicht wirklich gelesen.

Die Gender-Linguistik argumentiert aber auch mit Studien, die zeigen, dass geschlechtsneutrale Sprache messbare Effekte hat…

Trutkowski: Diese sogenannten Assoziationsstudien setzen Bedeutung mit Assoziationen gleich. Bedeutung ist aber komplexer als ein „An-Etwas-Denken“. Problematisch ist dieses Bedeutungskonzept unter anderem deshalb, weil Assoziationen subjektiv und zeitlich limitiert sind. Nehmen Sie den Fluss Oder: Vor einem Jahr habe ich dabei vor allem an das große Fischsterben gedacht, jetzt denke ich eher an die schönen Flussauen. Einen Sprachwandel aufgrund von Assoziationen durchdrücken zu wollen, halte ich für absolut fehlgeleitet. Weiß: Außerdem gibt es Kritiker, die anmerken, dass die Studien methodisch nicht so sauber sind, wie sie sein sollten. In der Sprache hängt vieles vom Kontext ab. Wenn in so einer Studie etwa gefragt wird: Wer ist Dein Lieblingsmusiker?, denken die Teilnehmer verstärkt an Männer. Sagt man aber: Musiker sind eben exaltierte Menschen!, ist zwar immer noch ein generisches Maskulinum vorhanden, aber der „male bias“ fällt vermutlich weg. Nur hat man solche Sätze halt nicht überprüft.

Aber bei Satz eins sagten Sie selbst, dass man verstärkt an Männer denkt…

Trutkowski: Die Frage, ob ich zuerst an Männer denke und dann an alle anderen, spielt überhaupt keine Rolle. Ein Wort hat eine Bedeutung und da ist es egal, zu wie viel Prozent es diese oder jene Bedeutung hat. Es hat eben beide.

Es heißt, Sprache beeinflusse unser Denken. Dann wäre es ein Unterscheid, ob ich beim Arzt zu 60 Prozent an Männer denke.

Trutkowski: Das besagt die „Sapir-Whorf-Hypothese“, die eigentlich als widerlegt gilt. Sprache determiniert nicht unser Denken. Und sie verändert nicht unsere Gesellschaft. Weiß: Es gibt Sprachen, in denen gar kein Genus, also kein grammatisches Geschlecht vorkommt, denken Sie an Türkisch oder Ungarisch. Trutkowski: Wenn man der Hypothese folgt, müssten das ja absolut geschlechtergerechte Gesellschaften sein. Ich würde sagen: Das ist in beiden Fällen nicht gegeben.

Es gibt einen durchaus harten Kampf ums Gendern. Wie ist das in der Wissenschaft? Blockbildung oder neugieriger Austausch?

Trutkowski: Man nimmt sich gegenseitig zur Kenntnis. Aber es ist schon eine gewisse Schulenbildung zu beobachten. Die Gender-Befürworter zitieren sich gerne und viel gegenseitig. Unser Befund, dass das Maskulinum seit dem 9. Jahrhundert generisch verwendet werden kann, wurde als „traditionelles“, also aus der Zeit gefallenes Argument bezeichnet. So was hat natürlich den Zweck, Kritiker in eine politisch konservative Ecke zu schieben und sich selbst als aufgeklärt zu verkaufen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung erspart man sich dadurch.

Weiß: Unsere Studie ist ja gerade erst erschienen. Vielleicht bringen wir manche Kollegen zum Nachdenken. Trutkowski: (lacht) Ich bin da skeptisch.

Medien, Firmen, Behörden nutzen Gendersternchen immer mehr, das Gros der Menschen lehnt es ab. Driftet die Gesellschaft sprachlich auseinander?

Trutkowski: Ich glaube jedenfalls, viele Bürger fühlen sich davon einfach nicht angesprochen. Darin liegt sicher die Gefahr einer Entfremdung. Weiß: Vieles ist mündlich gar nicht umsetzbar. Sie können nicht sagen: der/die Teilnehmer*in. Na gut, manche können das vielleicht, aber bei denen wirkt es wie auswendig gelernt. Wie früher, als die Leute, die nur Dialekt sprachen, Hochdeutsch lernten. Trutkowski: Ich bin sicher, manche Verwender gendern aus Höflichkeit und aus einem hehren Antrieb. Aber es geht vielen auch darum, sich ein Emblem anzuheften und zu zeigen: Ich bin fortschrittlich, ich gehöre zu den Guten. Weiß: Manche Firmenchefs tun das sicher auch aus Kalkül. Es ist halt billiger zu gendern, als Männern und Frauen gleiche Löhne zu zahlen.

Befürworter halten es für eine moralische Pflicht zu gendern. Gab es das schon mal: die moralische Pflicht, anders zu sprechen?

Weiß: Na ja, es gab immer wieder sprachpflegerische Bewegungen mit dem Ziel, Fremdwörter durch einheimische Begriffe zu ersetzen. Deutschland hat da seit dem 17. Jahrhundert eine lange Tradition. Ziel war stets, die Reinheit der Sprache wiederherzustellen, was auch immer das ist. Ich sehe da durchaus Parallelen zum Gendern: Es geht darum, Sprache aus nicht-linguistischen Motiven zu ändern.

Herr Weiß, Sie haben einen Aufruf gegen das Gendern bei den Öffentlich-Rechtlichen unterzeichnet, Frau Trutkowski nicht…

Trutkowski: Ich möchte das nicht schlechtmachen, aber es ist nicht meine Art, Debatten zu führen. Nicht Mehrheiten von Sprachwissenschaftlern entscheiden, sondern das bessere Argument. Weiß: Ich habe unterschrieben, weil es für mich um einen großen Missstand geht. ARD und ZDF behaupten zwar, es gebe keine Vorgaben, aber viele gendern eben doch. Das ist ein eklatanter Widerspruch zum Sprachgebrauch einer großen Mehrheit der Sprecher des Deutschen. Es geht mir nicht darum, Gender-Sprache zu verbieten, sondern darum, dass sie nicht vorgeschrieben wird, auch nicht indirekt über Druck.

Vorschriften gibt es doch eher in Behörden…

Trutkowski: In der Stadt Hannover ist das zum Beispiel so. Es gibt sogar einen Leitfaden zum richtigen Gendern, in dem, Entschuldigung, teils absoluter Mist steht. Fast problematischer finde ich jedoch die Tendenz in Schulen. Gendern ist vom Rat für deutsche Rechtschreibung nicht abgesegnet, es ist keine offizielle Schreibweise und trotzdem wird es an manchen Schulen praktiziert. Viele Gender-Formen bringen grammatische Probleme mit sich, aber es wird so getan, als sei alles ganz einfach, nach dem Motto: Regt euch ab, entspannt euch. Das ist nicht nur falsch, sondern auch unfair, denn man unterstellt denen, die linguistisch dagegen argumentieren, Irrationalität und Hysterie.

Ihre Prognose: Setzt sich das Gendern durch?

Trutkowski: Höchstens in der Anrede, weil es da ökonomischer, also kürzer ist, und der Höflichkeitsaspekt in der Anrede bedient werden muss – ob durch Gendern oder Beidnennung (Bürgerinnen und Bürger). Gegendert wird vor allem schriftlich. Es wird sich nicht durchsetzen, weil kaum jemand so spricht. Gendern ist einfach nicht praktikabel und wird abebben. Nicht sofort, aber vielleicht in zehn Jahren. Es wird nur bei denen, die mit Haut und Haar dahinterstehen, als Relikt verbleiben.

Interview: Marcus Mäckler

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