München – Schon mal was von einer „Gästin“ gehört? Das Wort bringt vor allem jene auf die Palme, die mit gendergerechter Sprache nichts anfangen können. Dabei hat es mit der Gästin Besonderes auf sich. Denn als feminine Entsprechung zum „Gast“ ist das Wort schon im Alt- und Mittelhochdeutschen belegt. Auch Grimms Wörterbuch kennt die Gästin noch, dann verschwindet sie aus der Sprache. Obwohl sie inzwischen wieder im Duden steht, spielt sie im Sprachgebrauch (fast) keine Rolle. Man könnte sagen: Der Gast hat die Gästin überflüssig gemacht.
Der Fall ist, wenn man so will, ein Kuriosum im Aufsatz „Zeugen gesucht“, den Ewa Trutkowski und Helmut Weiß verfasst haben. Darin spüren die beiden Linguisten dem „generischen Maskulinum“ nach und fragen, seit wann die Sprecher des Deutschen maskuline Formen nutzen, um alle Geschlechter zu bezeichnen. Die Erkenntnis: seit Jahrhunderten. Das „generische Maskulinum“ ist viel älter, als man bisher dachte.
Trutkowski und Weiß haben unzählige Quellen durchforstet: Textkorpora, Wörterbücher, Digitalarchive. Die Belege, die sie anführen, sind zahlreich, der Gast ist da nur ein Beispiel. Dass der Begriff schon im Mittelhochdeutschen auch Frauen meinte (obwohl es die weibliche Form ja gab), zeigt eine Stelle aus dem mittelalterlichen „Sachsenspiegel“. Da heißt es: „die muder is gast in des sons geweren“ – „Die Mutter ist Gast in des Sohnes Gewahr“. Gleiches weisen die Autoren für das Wort „Nachbar“ nach, etwa in einem Gedicht des Mittelalter-Lyrikers Walther von der Vogelweide: „mînen nâhgebûren dunke ich verre baz getân“ – „bei meinen Nachbarn bin ich viel geschätzter“. Darauf, dass der Dichter sich nur auf männliche Nachbarn bezieht, deutet nichts hin. Auch für das Wort „Bürger“, von dem einige Linguisten sagen, es werde wegen seiner „-er“-Endung spezifisch männlich verstanden, weisen Trutkowski und Weiß die generische Lesart nach: „die von alter har burgere zu Straßburg gewesen sind, es sigent frowen oder man“ – „die von alters her Bürger in Straßburg gewesen sind, es seien Frauen oder Männer“. Für die zwei Forscher steht fest: Das generische Maskulinum „war schon immer Teil der Grammatik des Deutschen“. mmä