München – Es ist eine Frage, die emotional diskutiert wird, seit die „Letzte Generation“ mit ihren Klebe-Aktionen den Alltag der Menschen lahmlegt. Kann man die Gruppe der Klima-Aktivisten als kriminelle Vereinigung einstufen? Die Antwort ist unter Juristen höchst umstritten.
Grundlage für die Einstufung als kriminelle Vereinigung ist der Paragraf 129 im Deutschen Strafgesetzbuch. Darin heißt es, dass eine solche Vereinigung auf längere Dauer angelegt sein muss, die Mitglieder (mindestens drei) feste Rollen erfüllen und ein übergeordnetes gemeinsames Interesse verfolgen. Der Zweck der Gruppe muss auf die Begehung von Straftaten gerichtet sein, die „im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind“. Darunter fällt auch Nötigung, einer der häufigsten Straftatbestände, für die Klima-Kleber in der Vergangenheit verurteilt wurden.
Aber reicht regelmäßiges Festkleben auf der Straße aus, um die „Letze Generation“ als kriminelle Vereinigung einzustufen? Da spalten sich die Juristen-Geister. „Zurzeit bin ich da eher noch skeptisch“, sagt der Hamburger Strafrechts-Professor Milan Kuhli, der zu dem Thema bereits einen Aufsatz verfasst hat. Denn der Paragraf 129 hat einen Zusatz: Er sei nicht anzuwenden, wenn die Begehung von Straftaten nur „ein Zweck von untergeordneter Bedeutung ist“. Kuhli weist darauf hin, man könne durchaus der Ansicht sein, dass die Klebe-Aktionen und Sachbeschädigungen noch nicht so erheblich für die Gesellschaft sind, dass sie eine Einstufung als kriminelle Vereinigung rechtfertigten. Allerdings könne man den Paragrafen auch anders auslegen, wenn man diese Schwelle als überschritten ansehe, gibt Kuhli zu. Auslegungssache – wie so oft.
Der Münchner Rechtsanwalt Thomas Pfister ist in der Frage ebenfalls hin- und hergerissen. „Als Mensch sagt mir mein Bauchgefühl, die Einordnung als kriminelle Vereinigung ist zu hoch gehängt“, sagt Pfister. „Aber als Jurist muss man schon sagen: Mitglieder der ,Letzten Generation‘ begehen Straftaten, vor allem Nötigung und Sachbeschädigung. Sie fordern zu weiteren Straftaten auf, werden immer wieder verurteilt und planen gezielt weitere Aktionen. Da ist der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung aus juristischer Sicht nicht so abwegig.“ Er hält den nun von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Vorwurf aber auch für ein Mittel für weitere Ermittlungen. „Das kann eine Art Dosenöffner sein, um die Gruppe stärker überwachen zu können.“
Am Ende müssen die Gerichte entscheiden, ob der Paragraf 129 wirklich auf die „Letzte Generation“ anzuwenden ist. Das nachzuweisen, dürfte für die Staatsanwaltschaft herausfordernd werden, wie Pfister betont. Präzedenzfälle gibt es noch keine. Allerdings ermittelt die Staatsanwaltschaft Neuruppin (Brandenburg) schon seit einiger Zeit wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Mitglieder der „Letzten Generation“. Berlins Justizsenatorin lässt den Vorwurf der kriminellen Vereinigung derzeit ebenfalls prüfen. Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte dafür bislang keine Anhaltspunkte gesehen.
Klar ist aber, dass mit den derzeitigen Ermittlungen auch für Unterstützer der „Letzten Generation“ ein gewisses Strafbarkeitsrisiko vorhanden ist, so Strafrechts-Professor Kuhli. „Die Gefahr besteht, dass schon Spenden an die Gruppe juristische Folgen haben könnten“, sagt er.
Protest gegen das Vorgehen der Ermittlungsbehörden formiert sich bereits. So ganz kann Strafverteidiger Pfister das allerdings nicht nachvollziehen. „Die Mitglieder der ,Letzten Generation‘ sagen ja selbst: Sie nehmen Gesetzesverstöße für ein aus ihrer Sicht gutes Ziel in Kauf. Da frage ich mich dann aber, warum sie nicht einfach dazu stehen, dass sie hier Straftaten begehen, sondern jetzt über die Ermittlungen klagen. Für effektiven Widerstand ist der Gesetzesverstoß ja geradezu systemimmanent.“ DOMINIK GÖTTLER