Klima-Kleber im Visier der Justiz

von Redaktion

VON TORSTEN HOLTZ, CHRISTOF RÜHRMAIR & ANDREAS THIEME

München/Berlin – Mit einer groß angelegten Razzia sind Polizei und Staatsanwaltschaft gestern gegen die Klimagruppe „Letzte Generation“ vorgegangen. Rund 170 Beamte durchsuchten ab dem frühen Morgen 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern, auch in Bayern, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt mitteilten. Der Tatvorwurf: Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte, die zwischen 22 und 38 Jahre alt sind. Festnahmen gab es zunächst nicht. Zwei Verdächtige stehen der Polizei zufolge im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Öl-Pipeline Triest – Ingolstadt zu sabotieren.

Durchsucht wurde auch die Wohnung der nach vielen TV-Auftritten bundesweit bekannten Sprecherin Carla Hinrichs in Berlin-Kreuzberg. „Mit gezogener Waffe stürmten die Beamt:innen in Carlas Zimmer, in welchem sie noch im Bett lag“, beklagte die Gruppe. Das Bayerische Landeskriminalamt bestätigte lediglich, dass eine Einheit der Berliner Polizei die Wohnung betreten habe. „Wie sie sie betreten hat, ist Polizei-Taktik und dazu sagen wir nichts.“

Hintergrund der Ermittlungen und Durchsuchungen sind laut Staatsanwaltschaft zahlreiche Strafanzeigen. Die Gruppe macht regelmäßig mit Sitzblockaden und Aktionen in Museen auf die fatalen Folgen der Erderhitzung aufmerksam. Die Mitglieder kleben sich dabei häufig fest – an Straßen oder auch an Kunstwerken.

Die Klimaschutzaktivisten selbst bestritten vehement, kriminell zu sein, und riefen für kommenden Mittwoch zu Protestmärschen auf. Eine erste Demo sollte es noch am Mittwoch in Berlin geben, einen weitere ist für heute in München angekündigt (siehe Meldung rechts). „Müssen wir in Deutschland erst eine Dürre erleben, an Nahrungsmittelknappheit leiden (…), bevor wir verstehen, dass die Letzte Generation für unser aller Leben einsteht und dass das nicht kriminell ist?“, fragte Sprecherin Aimée van Baalen. Zu den Durchsuchungen sagte sie: „Sie machen uns Angst. Aber wir dürfen nicht in dieser Angst verharren. Die Bundesregierung fährt uns gerade sehenden Auges in eine Klimahölle. Sie drückt sogar aufs Gaspedal.“

Unterstützung kam vom geschäftsführenden Vorstand von Greenpeace, Martin Kaiser: „Mit Hausdurchsuchungen auf den unbequemen, aber friedlichen zivilen Ungehorsam der Letzten Generation zu reagieren, ist vollkommen unverhältnismäßig.“ Auch Linken-Vizechef Lorenz Gösta Beutin bezeichnete die Razzia in einem Statement als „völlig überzogen“.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte hingegen, die Maßnahmen zeigten, „dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt“. Legitimer Protest, so Faeser, ende immer da, wo Straftaten begangen und andere Menschen in ihren Rechten verletzt würden. „Wenn diese rote Linie überschritten ist, dann muss die Polizei handeln.“ Zentraler Vorwurf der Polizei und der Generalstaatsanwaltschaft ist, dass die Beschuldigten eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten organisiert haben sollen. So seien mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt worden. Woher das Geld stamme, sei Gegenstand der Ermittlungen. Gesucht wurde auch nach „Beweismitteln zur Mitgliederstruktur“. Laut dem politischen Magazin „Cicero“ sollen größere Spendensummen aus den USA geflossen sein. Über den „Climate Emergency Fund“, eine in Kalifornien ansässige Stiftung, würden schwerreiche Amerikaner wie die Erdöl-Erbin Aileen Getty die „Letzte Generation“ unterstützen.

Aktivistin Carla Hinrichs erklärte, niemand bereichere sich mit den Spenden. „Alles, was wir tun, tun wir transparent. Wir stehen mit unseren Namen und Gesichtern für unseren Protest. Wir kündigen an, was wir vorhaben. Was ist daran kriminell?“

Durchsuchungen gab es in sieben Bundesländern – in Hessen im Kreis Fulda, in Hamburg, Sachsen-Anhalt (Magdeburg), Sachsen (Dresden), Bayern (Augsburg und München), Berlin und im Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein. Auch die Homepage der Gruppe wurde beschlagnahmt und auf eine Website der Polizei umgeschaltet – wobei sich die Staatsanwaltschaft einen Fehler leistete. In dem eingeblendeten Hinweis stand: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar! (Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!)“ Dabei steht das noch gar nicht fest, es handelt sich um einen Anfangsverdacht. Die Staatsanwaltschaft räumte den Fehler auf NDR-Anfrage ein.

In den vergangenen Wochen war das Umfeld für die Aktivisten rau geworden. Genervte Autofahrer schlugen und traten die Protestierenden des Öfteren, schleiften sie ruppig von der Straße. Das Landgericht Potsdam bestätigte erstmals den Anfangsverdacht, dass die Gruppe eine kriminelle Vereinigung sein könnte. Am Montag hatte Kanzler Olaf Scholz die Anklebe-Aktionen der Gruppe „völlig bekloppt“ genannt.

Die Aktivisten forderten anfangs ein „Essen-Retten-Gesetz“ gegen Lebensmittelverschwendung. Die derzeitigen Forderungen sind Tempo 100 auf Autobahnen und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Verkehr.

Angesiedelt sind die Ermittlungen bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft betonte aber, dass das nicht bedeute, dass man die „Letzte Generation“ als extremistisch oder terroristisch einstufe. „Wir gehen nach jetzigem Ermittlungsstand davon aus, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt – wohlgemerkt nicht um eine terroristische“, sagte der Sprecher.

Im Sommer während der Ferien will die Gruppe vom 15. Juli bis 6. August ihre Blockaden unterbrechen. Zuvor soll es aber ab dem 5. Juni eine „Kampagne Superreiche“ geben. Ab dem 7. August will sich die Gruppe auf eine Kampagne besonders in Bayern konzentrieren, wo im Herbst gewählt wird.

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