München – Dienstagnachmittag, 15 Uhr. An der Münchner U-Bahn-Haltestelle Königsplatz verlässt Polina Milova einen Rewe-Markt. Sieben Minuten sind vergangen, seit sie ihn betreten hat. Trotz der kurzen Einkaufszeit ist ihre Einkaufstüte gut gefüllt. Dabei gibt es in der Filiale weder eine Express-Kasse, noch ist Milova eine Ladendiebin. Die 26-Jährige ist Kundin eines Pilotprojekts von Rewe, das im Dezember 2022 begann.
Das Konzept: Einkaufen ohne Anstehen an der Kasse oder umständliches Hantieren mit Bargeld oder Bankkarte. Vorreiter war der Online-Händler Amazon, der 2018 in den USA den ersten kassenlosen Supermarkt eröffnete. Aldi zog nach und startete Mitte 2022 im niederländischen Utrecht ein solches Projekt. Und jetzt auch Rewe in München.
Bevor Milova den „Pick & Go“-Laden betrat, stoppte sie vor einer geschlossenen Schranke und einem QR-Code-Scanner. Sie hielt ihr Smartphone an das Lesegerät, die Schranken leuchteten grün und gaben den Weg in den Verkaufsraum frei. Schnell war der Mittagssnack und ein Getränk in die Tüte gepackt. Dabei registrieren Kameras jede Armbewegung und Gewichtssensoren in den Regalböden alle entnommenen Artikel. Eine Künstliche Intelligenz fügt nun den Wust an Daten zusammen und rechnet über die App auf Milovas Handy ab. Weder muss sie an der Kasse warten, noch ihre Artikel selbst einscannen. „Keine Schlange, kein Stress“, sagt sie und lacht. „Es ist sehr bequem. In der Mittagspause komme ich oft hierher. Da weiß ich, dass ich nicht viel Zeit beim Anstehen vertue.“
Auch der angehende Schreinermeister Daniel Schmidt (25) ist von dem Konzept überzeugt. „Nach dem Feierabend will ich schnell nach Hause. Da kommt mir die kassenlose Filiale nur gelegen.“ Sein erster Einkauf hat etwas länger gebraucht. Wie alle Kunden musste er die App auf seinem Smartphone einrichten, mit einer Zahlungsmethode verknüpfen und seine Volljährigkeit nachweisen. „Dafür lief es ab dem zweiten Mal umso schneller.“ Mittlerweile ist er Stammkunde. Für seinen Wocheneinkauf geht er trotzdem in einen konventionellen Supermarkt. „Ganz normal mit Bargeld und Kasse. Darauf will ich nicht verzichten. Alles zu digitalisieren ist auch keine Lösung. Spätestens, wenn der Handy-Akku leer ist. Außerdem mag ich Schwätzchen an der Kasse.“
Für besonders eilige Zeitgenossen ist der Plausch in der Warteschlange allerdings ein Ärgernis in ihrem straffen Zeitplan. Dann sollten sie zwei bestimmte Supermarktkassen im unterfränkischen Schweinfurt und in Buxheim, Schwaben, tunlichst meiden. In Buxheim eröffnete Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek Ende April die zweite bayerische Plauderkasse. „Was im hektischen Einkaufsalltag oft stört, ist hier ausdrücklich erwünscht: der Ratsch an der Supermarktkasse“, so der Minister. Dafür darf es ruhig etwas länger dauern. Klingt komisch, hat aber einen ernsten Anlass: den Kampf gegen Einsamkeit. Nachgewiesen erhöht Einsamkeit das Risiko für Depressionen, Angststörungen oder Demenz. Die Plauderkassen sollen daher als niederschwellige Möglichkeit dienen, in Kontakt mit Mitmenschen zu treten. Das wird zwar den Einkauf verlängern, im gleichen Zuge aber auch das Leben. Wirklich verloren ist die Zeit beim Warten also nicht. jd/dpa