München – Mitten in der ukrainischen Gegenoffensive verweigert Söldner-Führer Jewgeni Prigoschin dem russischen Verteidigungsminister offen die Gefolgschaft. Sergej Schoigu will alle russischen Freiwilligenverbände per Anordnung unter seine Befehlsgewalt bringen – also auch Prigoschins Wagner-Söldner. Bis zum 1. Juli müssten alle diese Einheiten einen Vertrag mit der Behörde unterzeichnen, teilte der stellvertretende Verteidigungsminister Nikolai Pankow mit. Es gebe inzwischen mehr als 40 Freiwilligenverbände, deren rechtlicher Status so abgesichert werden solle. Doch Prigoschin weigert sich: Schoigu sei nicht einmal in der Lage, seine eigenen Truppen zu führen. Wagner werde daher keine Verträge mit Schoigu unterzeichnen.
Russland-Experten sind bisher stets davon ausgegangen, dass Prigoschins Eskapaden die Rückendeckung von Putin haben. Doch inzwischen scheint dem Kreml die Kontrolle über die Wagner-Söldner zunehmend zu entgleiten. So nahmen Wagner-Kämpfer einen Offizier der regulären russischen Truppen fest und quälten ihn, bis er gestand, auf Wagner-Leute geschossen zu haben.
Auch mit Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow hat sich Prigoschin zerstritten. Seinem bisherigen Verbündeten im Kampf gegen Schoigu warf Prigoschin vor, Kadyrows Kämpfer seien nicht auf dem Schlachtfeld zu sehen, sondern drehten lieber Tik-Tok-Videos. Kadyrow unterzeichnete gestern anders als Prigoschin den Vertrag, mit dem er seine Privatarmee dem Verteidigungsministerium unterstellt.
Der BR berichtet von Gerüchten, dass der Kreml Prigoschin einen Gouverneursposten angeboten habe, um ihn ruhigzustellen. Doch der lehnte brüsk ab: „In Russland gibt es ein Sprichwort: Es ist besser, als Held zu sterben, denn als Schwuchtel zu leben. Deshalb ist es besser, für das Vaterland zu fallen, als sein Leben in einer bürokratischen Befehlskette in die Länge zu ziehen“, postete der Söldnerchef. Er wolle mit Schoigu auch auf die Gefahr hin, „keine Waffen und Munition“ mehr zu bekommen, nichts zu tun haben. Ausschließlich Putin persönlich könne ihm und seinen Söldnern sagen, was sie zu tun hätten. Doch der russische Präsident schweigt zu dem für seinen Ukraine-Feldzug brandgefährlichen Konflikt innerhalb seiner Truppen.
Experten glauben, dass Putin schnell die Kontrolle verlieren könne, wenn er den Streit innerhalb seiner Kämpfer weiter laufen lasse und die ukrainischen Truppen militärische Erfolge erzielen sollten. „Die Stimmung in der Elite ist sehr düster“, analysiert die Politologin Tatjana Stanowaja. KLAUS RIMPEL