Feldkirchen/Haar – Zwei Männer stehen zwischen einem stillgelegten Ausweichparkplatz, einer Brache und einer grünen Wiese. Im Hintergrund eine unscheinbare Hecke aus grünen Sträuchern. Sie markiert die Grenze zwischen den Revieren der beiden Bürgermeister. Begleitet vom Rauschen der nahen A94 unterhalten sich Andreas Bukowski (CSU) und Andreas Janson (UWV) über ihre Arbeit. Sie sind Rathauschefs der Nachbargemeinden Haar und Feldkirchen im Kreis München. Eigentlich verstehen sie sich gut. Aber die Pläne für ein Windrad haben kurzzeitig einen Keil in das Verhältnis der beiden Gemeinden getrieben.
Denn genau für diese Stelle, an der die beiden Bürgermeister gerade nebeneinander auf der Wiese stehen, meldete die Gemeinde Haar beim Planungsverband München ein potenzielles Windkraftgebiet. Doch des einen Norden ist des anderen Süden. Und der Feldkirchner Bürgermeister Janson erfuhr im März von der Ausweisung aus der Presse. Eine unschöne Überraschung für ihn und seinen Gemeinderat, der den angrenzenden eigenen Gemeindebereich eigentlich für den Windkraftausbau ausgeschlossen hatte. „Wir könnten den Haarern ja in die Suppe spucken, indem wir schneller und höher als sie direkt an der Grenze zu Haar ein Windrad bauen“, giftete ein Gemeinderat in der Debatte. Was im Privaten für manchen ein ärgerlich wuchernder Apfelbaum auf dem Nachbargrundstück ist, sind auf Gemeindeebene derzeit mitunter die grenznahen Windradrotoren.
Der Hintergrund: Mit dem Wind-an-Land-Gesetz will die Bundesregierung den Turbo beim Windkraftausbau zünden. Klimaneutrale Energie, regional erzeugt, weniger Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zum Beispiel aus Russland, das ist das Leitmotiv. Für Bayern heißt das: 1,1 Prozent der Landesfläche sollen bis zum Jahr 2027 für Windkraftgebiete ausgewiesen werden, bis Ende 2032 dann 1,8 Prozent. Also drehen die Kommunen und die mit der Ausweisung beauftragten Planungsverbände in der Region gerade jeden Stein um – auf der Suche nach geeigneten Flächen. Nicht immer geht das ohne Konflikte mit dem Nachbarn.
Beim Vor-Ort-Treffen der beiden Bürgermeister wird allerdings schnell klar: Hier will keiner dem anderen auf die Füße treten. Die Amtskollegen betonen: Sie sitzen im selben Boot. Ein Boot auf einem weiten Meer aus Bürokratie, Klimazielen und unzähligen Antragsverfahren. In diesem Fahrwasser müssen sie geeignete Orte für die Windkraft finden. Nur wo?
„Die Situation ist alles andere als optimal“, sagt Bukowski über den Vorschlag, der manchen in der Nachbargemeinde sauer aufstieß. „Und trotzdem müssen wir uns jetzt um nachhaltige Stromversorgung kümmern, Gelände ausweisen.“ Das ist die Marschroute der Bundespolitik, die bei ihnen auf der kommunalen Ebene ankommt. Haar sei, ebenso wie Feldkirchen, dicht bebaut und flächenarm. Auf dem Haarer Gemeindegebiet gab es letztlich nur drei mögliche Flächen. „Zwei sind weggefallen wegen der Nähe zur Wohnbebauung oder der Autobahn. Uns blieb nur noch das Areal an der Gemeindegrenze“, sagt der Haarer Bürgermeister.
Er erzählt von all den Hürden, die die Suche nach Flächen für Windräder erschweren. Von der Gefahr, dass sich an den Flügeln der Windräder im Winter Wasser sammelt, gefriert und als Eisbrocken auf die unmittelbare Umgebung niederregnen lässt. „Eiswurf“, sagt Amtskollege Janson und nickt wissend. „Und wenn es das nicht ist, dann der Schattenwurf oder der unmögliche Anschluss an das Energienetz. Nicht zu vergessen die Sorgen der Anwohner“, ergänzt der Feldkirchner. K.o.-Kriterien gebe es viele, Flächen umso weniger.
Seit in Bayern 2014 die sogenannte 10H-Abstandsregel in Kraft trat, ist der Windkraftausbau nahezu zum Erliegen gekommen. Waren es 2014 noch 244 Genehmigungen für Windkraftanlagen, sank die Zahl in den Folgejahren auf 64 und 73. Danach dümpelten die Genehmigungszahlen fast nur noch im einstelligen Bereich. Das soll sich jetzt wieder ändern. Stand Ende April waren in Bayern laut Wirtschaftsministerium 1152 Windkraftanlagen in Betrieb. Für das Münchner Umland schweben dem Regionalen Planungsverband, der das Konzept für den Windkraftausbau in der Region koordiniert, rund 250 zusätzliche Windräder als Zielgröße vor.
Der Feldkirchner Bürgermeister Janson hat allerdings seine Zweifel, ob die Region rund um die Landeshauptstadt so passend für viele neue Windräder ist. „Es ist hier viel zu dicht besiedelt.“ Deswegen suche er alternative Standorte, die nicht zwingend in seiner Gemeinde liegen. Kooperationen mit anderen Kommunen seien angedacht. Sein Gemeinderat hat kürzlich beschlossen, bis 2040 klimaneutral werden zu wollen. Dabei wolle man aber primär auf den Ausbau von Geothermie und Photovoltaik setzen.
Gedanken über mögliche Flächen für Windräder machen sich gerade viele Bürgermeister. Einige sind auch schon weiter. Im Hofoldinger Forst warten die drei Gesellschafter-Kommunen Sauerlach, Aying und Otterfing gerade auf die Genehmigung für drei neue Windräder. Wenn alles nach Plan läuft, könnte der Windpark 2025 in Betrieb genommen werden. Zwischen Bruck und Moosach im Kreis Ebersberg sind sich die Gemeinden einig geworden, das Genehmigungsverfahren für ein neues Windrad läuft. Und auch für die fünf Windräder im Ebersberger Forst, für deren Bau sich die Landkreisbevölkerung in einem Bürgerentscheid ausgesprochen hatte, gibt es nun neue Investoren. Bis 2027 sollen sich die Rotoren drehen. Es bewegt sich also durchaus etwas in der Region. Doch Widerstand, wie jüngst im Feldkirchner Gemeinderat, bleibt nicht aus. Gegen den Bau dreier Anlagen im Höhenkirchner Forst etwa macht eine Bürgerinitiative mobil – und wirbt mit Wurfsendungen um Spenden, um gegen eine etwaige Baugenehmigung zu klagen.
Konflikte zwischen den Kommunen seien aber Einzelfälle, betont Matthias Simon vom Bayerischen Gemeindetag. „Mein Eindruck ist, dass alle verstanden haben, dass die gemeindliche Planungshoheit an dieser Stelle zurücktritt.“ Heißt: Die Vorgaben kommen aus Berlin – die Vorrangflächen weist am Ende der Planungsverband aus. Und dort darf dann privilegiert gebaut werden. Also bleibt den Kommunen gar nichts anderes übrig, als solidarisch und gemeinsam nach Wegen zu suchen. Und das gelinge auch.
An der grünen Grenze von Feldkirchen und Haar ist das letzte Wort derweil noch nicht gesprochen. „Warst du in der letzten Zeit mal im Olympiapark?“, fragt Bukowski seinen Amtskollegen. Auf sein Nein erklärt der Fragesteller aus Haar: „Der Fernsehturm ist 250 Meter hoch – eben jene Dimension, die auch Windräder nach dem aktuellen Stand der Technik haben.“ Beide blicken nach oben. Der Wind schiebt gleichgültig die Wolken über den Himmel. Noch pflügen dort keine riesigen Rotoren durch die Luft. Ob es irgendwann so sein wird, das bleibt vorerst unklar.
Der Bund will den Turbo: Gemeinden müssen liefern
Widerstand gegen die Ausbau-Pläne bleibt nicht aus