München – Sie hat kämpfen gelernt, Siege gefeiert und Rückschläge erlebt in der Politik. Manchmal fühlte es sich existenziell an. Doch jetzt erst steht Kerstin Schreyer, 51, vor dem schwierigsten, wichtigsten Kampf ihres Lebens: um ihr Leben. Die CSU-Politikerin hat Brustkrebs, frisch diagnostiziert. Es wird eine Operation geben müssen, danach eine Strahlentherapie. Da wird manche Auseinandersetzung früherer Jahre gerade sehr klein.
Bei einer Routineuntersuchung wurde der bösartige Tumor entdeckt, schildert Schreyer. „Auch wenn die Diagnose für mich im ersten Moment ein großer Schock war, so blicke ich mittlerweile mit großer Zuversicht in die Zukunft“, sagt sie. „Ich bin eine Kämpferin und habe fest vor, auch diese Herausforderung zu meistern.“ Sie zitiert Statistiken, wonach in dieser Altersgruppe mehr als acht von zehn Frauen vollständig genesen. Und sie hat sich entschlossen, offen über ihre Erkrankung zu sprechen.
Dass der Zeitpunkt gerade ungünstig sei, wäre bei jeder Krebs-Diagnose wohl eine schräge Analyse. Für Schreyer kommt tatsächlich hinzu: Sie steckt mitten im Landtagswahlkampf um ihr Mandat im Landkreis München. Das hieße, Tag für Tag zu rackern, nichts zu verpassen. Der Umland-Stimmkreis ist für ihre CSU nicht akut gefährdet wie jene in der Stadt, aber sehr heterogen, verlangt Pflege und Präsenz. Jetzt muss sie um Verständnis bitten, dass sie eben „nicht in gewohnter Art und Weise präsent sein“ könne.
Das Echo aus der Landespolitik kommt sofort, und es ist herzlich. Als einer der ersten meldet sich der politische Konkurrent Martin Hagen, Bayerns FDP-Chef. „Zeig dem sch… Krebs, was ’ne Harke ist“, schreibt er der Kollegin. Hagen (42) hat selbst mit Ende 20 und Ende 30 zweimal den Krebs besiegt, mit Operationen und Chemotherapie.
Auch die Landtagspräsidentin meldet sich. „Du bist mutig, Du bist eine Powerfrau, Du schaffst das“, schreibt Ilse Aigner (CSU). Der offene Umgang damit sei „wichtig, richtig und macht Mut“. Aigners Vorgängerin Barbara Stamm ist im Oktober letzten Jahres an Brustkrebs gestorben.
Schreyer, geschieden, Mutter einer Tochter im Teenager-Alter, hat in den letzten Jahren auch eine politische Achterbahnfahrt hinter sich. Die Unterhachingerin, Diplom-Sozialpädagogin, stieg 2018 bis 2020 zur Sozialministerin auf. Sie wechselte dann ins Verkehrsministerium – einer der dicksten, lärmendsten Baustellen der Landespolitik. Als kantig und durchsetzungsstark pries ihr Chef Markus Söder die Ministerin; verlor dann aber das Vertrauen in sie und berief sie im Februar 2022 ab. Rückblickend wird in diesen Wochen im Stammstrecken-Untersuchungsausschuss im Landtag deutlich, dass sie ihn unter anderem mit eindringlichen Warnungen vor einem Finanz-Desaster heimsuchte, immer wieder intern anrief, schrieb. Und ungehört blieb.
Ihren Rauswurf verarbeitete sie besser als andere. Zwei, drei spitze Kommentare, das schon. Doch statt lang zu schmollen, trat sie im Landtag umgehend in eine Kampfkandidatur um den einflussreichen Vorsitz des Wirtschaftsausschusses, siegte.
„Manche fechten mit dem Florett, die Kerstin mit dem Schwert“, hieß es mal in der CSU. Das war überwiegend als Kompliment gedacht – als Zuschreibung besonderer Unerschrockenheit. Die kann sie nun sehr gut brauchen.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER