„Burgen, das waren früher eher so Angeberobjekte“

von Redaktion

München – Der Archäologe und Buchautor Dr. Joachim Zeune ist Europas führender Experte für Burgen und Schlösser. Der 71-Jährige betreibt Deutschlands einziges Büro für Burgenforschung.

Herr Zeune: Wie wird man denn Burgen-Experte?

Ich hab mit zehn Jahren eine Ritterburg bekommen zum Spielen. Und da ist irgendwas passiert (lacht), das Thema hat mich nie mehr losgelassen. 1981 hat in Bamberg der erste Lehrstuhl für Mittelalter-Archäologie aufgemacht. Ich habe dort promoviert und zu unterrichten begonnen – und dabei ganz schnell gemerkt, dass da ganz viel von der Literatur einfach Schmarrn ist.

Zum Beispiel?

Dass die Burg nur für den Krieg gebaut wäre, permanent belagert wurde und immer Öl und kochendes Wasser runtergeschüttet wurde. Alle meine Burgen hatten nie Pechspuren. Auch das mit dem siedenden Wasser ist Unfug. Wasser war bei einer Belagerung das wichtigste Nahrungsmittel, wieso sollte man das rausschütten? Das ist alles mehr oder weniger im 18. und 19. Jahrhundert erfunden worden. Als Romantisierung in einer Zeit, in der man sich so ein Fantasiemittelalter als geistige Flucht aus einem spröden Beamtenstaat ersonnen hat. Damals ging dieser Mittelaltertrend, den wir heute ja auch wieder haben, schon einmal richtig ab. Man warf sich in Kostüme und spielte die Nibelungensage nach. In diesem barbarischen Fantasy-Mittelalter waren Burgen natürlich nur Kriegsinstrumente.

Und in Wirklichkeit?

Zentren der Macht. Symbole dafür, wer wo herrscht und wie mächtig er in Wirklichkeit ist. Den Status eines Fürsten oder Grafen, eines Bischofs oder Freiherrn, den zeigte damals die Burg. Wenn sie viel Geld hatten, waren sie in einer Steinburg, vielleicht auf einem hohen Berg. Als kleiner, armer Dorfadliger hatten sie vielleicht nur einen Wohnturm auf einem Hügel, aber immer noch über dem Rest der Welt. Burgen sind, außer dass sie auch Verwaltungssitz waren, eher so Angeberobjekte. Man zeigt, was man hat, wer man ist.

Aber diese Trutz- und Fluchtburgen gab es auch.

Die von der Landesherrschaft errichteten Fluchtburgen für die Bevölkerung – das ist ja alles noch Frühmittelalter und hat mit dem klassischen Burgenbau nichts zu tun. Der beginnt erst im elften Jahrhundert, also mit den ersten richtigen Adelssitzen. Das waren mehr oder weniger Privatsitze von Adeligen. Die bekamen ein Stück Land zum Verwalten und als Zentrum hatten sie dann die Burg.

Was ist denn der Unterschied zwischen einem Schloss und einer Burg?

Den Unterschied hat man früher gar nicht so getroffen. Das Schloss ist repräsentativer, die Burg ist im Prinzip älter und immer wehrhaft. Aber in Wahrheit ist es ein schleichender Prozess. Man hat auch im Mittelalter schon zu Burgen Schloss gesagt. Es gibt ganz viele Zwittertypen. Es gibt Festungen, wo ein Schlossbau drin ist, Burgen, die wirklich großartig ausgebaut worden sind.

Wie viele Burgprojekte haben Sie schon betreut?

Es werden an die 400 sein.

Die meisten Auftraggeber sind staatliche Stellen?

Völlig durchmischt. Denkmalämter, Kommunen, sehr oft historische Vereine, mitunter auch ein adliger oder privater bürgerlicher Vorbesitzer. Burgen sind übrigens in Deutschland ganz schlecht inventarisiert. Sicher ist nur, dass es viel mehr gibt, als wir denken. Für Bayern habe ich es mal ganz grob überschlagen, da würde ich sagen: so um die 24 000.

Wow!

Ja die Burgendichte ist wesentlich höher als das, was man heute sieht. Etwa ein Drittel existiert nur noch rein archäologisch, ein Drittel sind Ruinen, ein Drittel ist in Schlössern aufgegangen.

Warum gibt es so viele Burgen und Schlösser?

Weil im Feudalismus die Landesherren ganz viele kleinteilige Lehen vergeben haben. Franken zum Beispiel war extrem zersplittert.

Wird in Bayern noch viel archäologisch gegraben?

Es gibt praktisch nur noch Notgrabungen. Weil man sparen will. Das ist ein ganz ungutes Thema. In anderen Bundesländern wie Hessen, Nordrhein-Westfalen oder dem Saarland hat man als Archäologe Denkmalpfleger neben sich, macht hier einen Schnitt, da einen und sagt: Das ist ja toll, machen wir da drüben auch noch auf, schauen wir mal, was da ist. In Bayern heißt es: so klein und so wenig wie möglich. Und wenn was Historisches kommt, am besten aufhören. Die sind personell unterbesetzt, deswegen versuchen sie zu verhindern, was geht. Leider sind wir in Bayern inzwischen, obwohl wir mal führend waren in der forschenden Archäologie, das Schlusslicht in Deutschland.

Ihr Lieblingsobjekt?

Gleich über meinem Dorf, die Burg Hohenfreyberg. Eine ganz tolle Sanierung, weil da jede Baufuge noch erhalten ist. Die Burg hat noch immer ihr Ruinenflair. Da fühle ich mich wieder ein bisserl wie damals der kleine Junge mit seiner Ritterburg.

Interview: Oliver Menner

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