Moskau/München – Wäre der Zusammenhang ein anderer, wäre es eine nette Anekdote. „Ich bin nicht Putins Koch – ich kann überhaupt nicht kochen“, soll Jewgeni Prigoschin einmal gesagt haben. „Putins Koch“: Der Spitzname steht längst nicht mehr für gutes Essen, sondern dafür, dass der 62-Jährige aus Sankt Petersburg mit seiner Söldnergruppe Wagner viele Jahre auf brutalste Weise die Drecksarbeit für Russlands Präsident Wladimir Putin erledigt hat. In Syrien, Afrika, Lateinamerika und zuletzt in der Ukraine. Wenn man so will, wurde Prigoschin von Putin erschaffen. Denn bevor er Putin kennenlernte, war er nicht mehr als ein erfolgloser Krimineller.
Prigoschin war gerade mal 18 Jahre alt, als er zum ersten Mal verurteilt wurde. Aus der Bewährungsstrafe wegen Diebstahls wurden nur zwei Jahre später 13 Jahre Haft, unter anderem wegen Raubüberfällen. 1990 kam er frei. Es war die Zeit, als die Sowjetunion in Auflösung begriffen war. Prigoschin gründete einen Fast-Food-Laden. Später gelang es ihm, in St. Petersburg ein Luxusrestaurant zu eröffnen, zu dessen Gästen damals auch Putin zählte.
Nach Putins Aufstieg zum Staatschef belieferte Prigoschins Schnellrestaurant-Kette den Kreml, was ihm den Spitznamen „Putins Koch“ eintrug. Die Kette ging zwar pleite, aber Prigoschin bekam weiter öffentliche Aufträge, richtete Staatsbankette aus, lieferte Essen an Schulen, Kindergärten und die russischen Streitkräfte. Alles unter der Schirmherrschaft Putins. Prigoschin gilt als Milliardär, der mit Staatsverträgen ein Vermögen anhäufte – auch wenn genaue Angaben über seine finanziellen Verhältnisse nicht vorliegen.
Lange Zeit hielt sich Prigoschin im Hintergrund. Ins Rampenlicht trat er erst im September 2022, als die russische Armee in der Ukraine Niederlage um Niederlage einfuhr. Erstmals erklärte er öffentlich, der Chef der berüchtigten Söldnergruppe Wagner zu sein, die er 2014 gegründet hatte und die überall dort auf der Welt im Einsatz war, wo Putin keine regulären Truppen hinschicken wollte. Im Oktober eröffnete er gar mit großem Pomp seinen Firmensitz in Sankt Petersburg: „Private Militärfirma Wagner“ steht auf dem Schild.
Prigoschin hatte freie Hand, in Gefängnissen tausende Kriminelle für seinen Söldnerdienst zu rekrutieren. Er stellte ihnen die Freiheit in Aussicht, sollten sie die Kämpfe überleben. Wer desertiere, werde erschossen. Abtrünnige lässt Prigoschin auch gerne mal mit dem Vorschlaghammer hinrichten. Zu Prigoschins Imperium sollen auch Troll-Fabriken gehören, also Firmen, die das Internet mit Propaganda fluten. Die US-Justiz wirft ihm vor, sich mit Internet-Trollen in die von Donald Trump 2016 gewonnene US-Präsidentenwahl eingemischt zu haben – und verhängte Sanktionen gegen ihn.
Der Wagner-Gruppe, benannt nach einem ehemaligen Offizier mit dem Kampfnamen Wagner, werden zahlreiche Gräueltaten vorgeworfen. Auch drei russische Journalisten, die 2018 zu Wagner in der Zentralafrikanischen Republik recherchierten, wurden in einem Hinterhalt getötet. Die Privatarmee, die laut Prigoschin zuletzt 25 000 Mann stark war, wird nach seinem Verrat und seinem Gang ins Exil wohl aufgelöst. Von einer Bestrafung, das ist Teil des Deals, den der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko mit Prigoschin ausgehandelt hat, will der Kreml absehen. Ob und in welcher Zahl Söldner in die russische Armee übertreten werden, ist unklar.
WOLFGANG HAUSKRECHT, AFP