Taipeh – Xi Jinping macht sich keine Mühe, seinen Standpunkt zu verbergen. „Taiwan ist Chinas Taiwan“, sagt der chinesische Staats- und Parteichef. Der Inselstaat solle möglichst friedlich mit dem Festland „wiedervereinigt“ werden. „Aber wir werden niemals versprechen, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten.“ Ob und wann China wirklich angreift, ist völlig unklar. May-Britt Stumbaum vom Center for Intelligence and Security Studies (CISS) der Bundeswehr-Universität München glaubt aber: „Für Taiwan ist es zwei Minuten vor zwölf.“
Entscheidend seien die kommenden zwei Jahre, sagt Stumbaum. Peking wolle die Präsidentschaftswahlen abwarten, bei denen im kommenden Januar ein Nachfolger für die scheidende Amtsinhaberin Tsai Ing-wen gewählt wird. Chinas Führung hoffe auf einen Sieg der eher Peking-freundlichen Kuomintang und versuche schon jetzt alles, um auf die Wahlen Einfluss zu nehmen. Sollte doch Tsais Fortschrittspartei gewinnen, „wird Xi versuchen, Fakten zu schaffen“, glaubt Stumbaum. „China wird seine Einschüchterung so lange verstärken, bis die Taiwaner schließlich sagen: Besser, wir begeben uns unter die Kontrolle Pekings, als einen Krieg zu riskieren.“
Dass sich die große Mehrheit der Taiwaner nie freiwillig in die Arme Pekings begeben wird, gilt aber als ausgemacht. Also doch ein Krieg? Stumbaum glaubt, dass China Anfang 2025 angreifen könnte. Dann findet in den USA nach der Präsidentschaftswahl womöglich ein Machtwechsel statt, der die US-Regierung wochenlang lähmen könnte. Zudem sei es im Winter einfacher, die Taiwan-Straße zu überqueren. „Außerdem findet das chinesische Neujahrsfest 2025 im Januar statt. Dann reisen hunderte Millionen Menschen durchs ganze Land, sodass man große Truppenverlegungen vom Satelliten aus kaum erkennen würde.“
Laut Stumbaum würden die USA im Falle eines Angriffs auf Taiwan eingreifen, nicht zuletzt aus geopolitischen Überlegungen. Denn noch können Chinas U-Boote, die im seichten Gewässer vor der Insel Hainan stationiert sind, nicht unentdeckt in den Pazifik auslaufen. Vor der Ostküste Taiwans hingegen geht es steil hinab in die Tiefsee. Wenn China Taiwan kontrollieren würde, könnten chinesische U-Boote von dort aus unentdeckt ab- und erst vor San Francisco wieder auftauchen, sagt Stumbaum. Für die Amerikaner „ein zweites Pearl Harbor“, das es auf jeden Fall zu verhindern gelte.