4 FRAGEN AN
Jyh-Shyang Sheu ist Konfliktforscher an der Universität in Tübingen. Ein Gespräch über Taiwans Verteidigungskraft und die richtige Abschreckung für China.
Herr Sheu, die US-Geheimdienste glauben, China könnte 2027 bereit für eine Invasion sein.
2027 ist eine Möglichkeit, manche gehen aber auch erst von 2032 oder 2049 aus. 2027 ist der Übergang von Xi Jinpings dritter zur vierten Amtszeit, aber auch das 100-jährige Jubiläum der Volksbefreiungsarmee. Insofern wäre das symbolisch plausibel. Die Frage ist, ob China vorbereitet ist. Das hängt nicht nur von den Fähigkeiten Chinas ab, sondern auch von Taiwan, den USA, den Nachbarn im Indopazifik und wahrscheinlich Europa. Eine Invasion wäre ein großer Schock für die ganze Welt.
China beobachtet sehr genau, wie der Ukraine-Krieg verläuft.
Taiwan profitiert, wenn China erkennt, dass eine Invasion viel komplizierter ist, als sie dachten. Wenn China eine Invasion wagt und die so lange dauert, wird nicht nur die Macht des Landes beschädigt, sondern auch die Legitimität des totalitären Regimes.
Was benötigt Taiwan militärisch? Kriegsgerät wie F-16-Fighter oder Panzer? Oder Logistik?
Taiwan konzentriert sich auf die Modernisierung der Streitkräfte, aber wir brauchen noch mehr Investitionen. Es geht nicht nur um Ausrüstung, sondern auch um die Konzeption und das Training. Wenn wir über Waffen sprechen, benötigt Taiwan vor allem Munition, Lenkflugkörper und Luftabwehr, von Anti-Schiffs-Systemen bis zur Panzerabwehr. Bis jetzt hat Taiwan Waffen vor allem aus den USA beschafft oder selbst entwickelt, zum Teil auch aus Frankreich bekommen, wie die Mirage 2000 oder die La-Fayette-Schiffe. Aus Deutschland hat es in der Vergangenheit viele Absagen gegeben, sogar für Maschinenpistolen vom Typ MP5 für unsere Anti-Terror-Polizeieinheiten.
Wie sieht eine wirksame Abschreckung Chinas vor einer möglichen Invasion Taiwans aus?
Taiwan muss sich komplett verweigern, indem es sich noch besser vorbereitet. Erst wenn es für China zu schwierig wird, Taiwan zu beherrschen, wirkt die Abschreckung. Aber das ist noch nicht genug. Es braucht eine integrierte Abschreckung mit anderen Ländern wie den USA, Japan, Europa inklusive Deutschland. Die europäische Unterstützung für die Ukraine hilft auch bei der Abschreckung hier in Ostasien. China beobachtet die Ukraine – und lernt.
Interview: Martin Benninghoff