Invasions-Angst: Taiwan umwirbt den Westen

von Redaktion

VON MARTIN BENNINGHOFF UND WOLFGANG HAUSKRECHT

Taipeh – Tien Chung-kwang wählt keine diplomatischen Worte. Der Vize-Außenminister Taiwans teilt aus. „Wissen Sie was“, sagt er, „China baut immer irgendwas Großes.“ Er spricht von Ländern in Asien, Afrika oder Südamerika, denen die Volksrepublik Straßen, Flughäfen und Häfen baue, diese dann aber nicht instand halte. China schaffe Abhängigkeiten, während die Menschen nichts davon hätten. „Wir in Taiwan tun was für die Menschen“, sagt er. China tue nur was für seine Politiker. Die Botschaft hinter den Worten: Taiwan ist der demokratische Gegenentwurf zur Diktatur Chinas und die demokratische Welt darf Taiwan nicht im Stich lassen.

Mit dem Ukraine-Krieg ist auch die Taiwan-Frage in den Fokus gerückt. Die Situation ähnelt sich insofern, als eine große Macht nach einem kleineren Nachbarn greift, mit dem Argument, er sei Teil ihres Herrschaftsgebiets. Noch hält China die Faust nur geballt, die Frage ist: Wann schlägt sie zu?

US-Wahl als möglicher Moment der Invasion

Die US-Geheimdienste glauben, China sei bis 2027 militärisch so weit, die Insel anzugreifen, die vom Festland nur durch die bis zu 180 Kilometer breite Formosastraße getrennt ist. Andere halten einen früheren Krieg für möglich, weil die Schutzmacht USA 2024 wählt und womöglich politisch gelähmt wäre, sollte statt Joe Biden wieder Donald Trump ins Weiße Haus einziehen. Möglich scheint zudem, dass bei der ebenso 2024 stattfindenden Präsidentschaftswahl in Taiwan ein Kandidat siegt, der vehementer als die besonnene Präsidentin Tsai Ing-wen auf eine formale Unabhängigkeit pocht – und China den Anlass zum Angriff liefert.

An Drohgebärden aus Peking hat es zuletzt nicht gefehlt, was die Gedankenspiele befeuert. „Chinas Angstmache wirkt“, sagt Tzu-Chieh Hung vom „Institute for National Defense and Security Research“ in Taipeh. Sicher ist: Die Kriegsgefahr steigt. „Taiwan ist nicht der Provokateur“, versichert Außenminister Joseph Wu. „Wir wollen den Status quo sichern.“ Dafür braucht es aber internationale Unterstützung, um die Wu vehement wirbt.

Das Außenministerium hat dazu 30 Reporter ins Land eingeladen. Minister und Behördenchefs stehen Rede und Antwort – ohne Vorbedingungen. Der Aufenthalt ist eine Charmeoffensive. Im Hotelzimmer liegen Corona-Masken mit den Aufdrucken „Demokratie“, „Freiheit“, „Rechtsstaatlichkeit“ und „Menschenrechte“ auf Englisch. Taiwan will sich als Unterstützer für Demokratie, internationales Recht und Menschenrechte präsentieren.

Masken sind die perfekte Botschaft. Taiwan hatte während der Corona-Pandemie 50 Millionen davon an 88 Staaten in Not geliefert, auch an Deutschland. Jetzt hofft es, dass sich das Ausland revanchiert. Taipeh wolle das Image eines „verantwortungsbewussten Landes“ fördern, sagt ein Minister. Es gibt ein Regierungsprojekt für verbesserte Zweisprachigkeit der Bevölkerung, Fachkräfte sollen mit einer „Gold Card“ angeworben werden, bis 2025 will Taiwan ohne Atomenergie auskommen, Vorzeigeland für den Ausbau Erneuerbarer Energien sein. Die Insel mit ihren 24 Millionen Einwohnern ist zudem Weltmarktführer bei der Chip-Produktion. Taiwans Chip-Supermacht TSMC will in Sachsen ein Werk bauen. Im Hintergrund heißt es, das Projekt werde realisiert. Eine offizielle Entscheidung steht aus.

Diplomatie bedeutet für Taipeh Information

Dass jede Hilfe willkommen ist, zeigt die Zusammensetzung der Pressegruppe. Mit 24 Nationalitäten ist sie so bunt wie möglich. Sogar ein Reporter aus dem karibischen St. Kitts und Nevis ist da, einem Inselstaat mit gerade mal 46 000 Einwohnern. Das Land ist eines von nur noch einem guten Dutzend Staaten, die offizielle diplomatische Beziehungen mit Taiwan pflegen. Andere sind Kleinstaaten wie Palau, Nauru und Tuvalu oder mittlere wie Haiti und Guatemala. In Europa ist nur der Vatikan offiziell mit Taiwan diplomatisch verbandelt.

Sogar die USA unterhalten keine offiziellen Beziehungen. Die Verbindungen laufen über das Amerikanische Institut in Taiwan. Über diese inoffizielle De-facto-Botschaft wurde Anfang Juni auch die jüngste Vereinbarung zur Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen abgewickelt – unter scharfem Protest aus Peking. Taiwan will sich über diplomatische Freundschaften auch Informationsflüsse sichern, denn es sitzt nicht mehr am Tisch der Vereinten Nationen. 1971 verlor es seinen Platz an China. Auch in der Weltgesundheitsorganisation ist Taiwan außen vor.

Ohne die USA, Taiwans Hauptschutzmacht, wäre China wohl schon längst zur Tat geschritten. Taiwan ist für die Volksrepublik nicht nur ökonomisch und historisch von Bedeutung. Es geht auch um geopolitische Interessen.

Für die USA ist Taiwan ein Pfeiler im pazifischen Raum. US-General Douglas MacArthur bezeichnete Taiwan schon in den 1950er-Jahren als „unsinkbaren Flugzeugträger“ der USA, um die Weltmacht-Ambitionen Chinas einzudämmen. Die USA haben Soldaten auf der Insel, die Taiwans Militär ausbilden, gewähren militärische Hilfe und legten zuletzt auch symbolpolitisch nach, indem sich vermehrt US-Spitzenpolitiker mit Mitgliedern der Regierung Taiwans zeigten.

Gleichzeitig suchen die USA Entspannung mit der Volksrepublik. Gerade erst war US-Außenminister Antony Blinken zu Besuch in Peking, wurde von Staatspräsident Xi Jinping empfangen. Denn so sehr die Taiwan-Frage spalten mag: China ist für die USA nicht nur wirtschaftlich wichtig, es gilt auch zu verhindern, dass die Volksrepublik sich komplett auf Russlands Seite schlägt.

Zwiespältig ist die Lage auch für Deutschland. Einerseits pflegt man Kontakte nach Taiwan. Erst im März besuchte Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) Taipeh – als erstes Kabinettsmitglied seit den 1990er-Jahren. Während Peking von einem „ungeheuerlichen Akt“ sprach, äußern sich Vertreter Taiwans in Hintergrundgesprächen hocherfreut, dass Deutschlands Regierung in seiner neueren Außenpolitik von China vorsichtig abrücke.

Aber auch Deutschland will nicht mit China brechen. Kürzlich empfing Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Chinas neuen Ministerpräsidenten Li Qiang. In aller Uneinigkeit über viele Fragen war man sich einig, dass Dialog und Zusammenarbeit wichtig seien. Ein Statement zu Taiwan gab es nicht. Auch waren Fragen von Journalisten bei der Pressekonferenz verboten. Ein Zugeständnis an China, das für mächtig Kritik sorgte.

Im Ernstfall ohne die USA wohl verloren

Wie es in der Taiwan-Frage weitergeht, wird auch von der Bereitschaft der Nato abhängen. Denn die Unterstützung der Ukraine trägt zur Abschreckung Chinas bei. Deswegen beobachtet Taiwans Regierung den Verlauf des Krieges genau, die Bereitschaft der westlichen Staaten, mit viel Geld und Waffen zu helfen. Auch China blickt in die Ukraine. Eine Blaupause für eine eigene Invasion liefert der russische Angriff bisher allerdings nicht.

Für den Fall einer Invasion richtet sich Taiwan auf einen Zermürbungskrieg ein. „China lernt durch den Ukraine-Krieg“, heißt es. „Wir fragen kein einzelnes Land, ob es für uns kämpft“, sagt Außenminister Wu. Taiwan werde sich zunächst selbst verteidigen. Vor einigen Monaten wurde die Wehrpflicht um mehrere Monate verlängert. Am Ende aber, daran gibt es in Taipeh kaum Zweifel, komme es auf Waffensysteme an – Raketen, Panzer, Kampfjets. Taiwan, heißt es hinter den Kulissen, könne nur einige Monate, vielleicht anderthalb Jahre durchhalten. Alle wissen: Dann hilft keine Charmeoffensive mehr, sondern nur eine Intervention der USA.

Artikel 3 von 4