„Beratungspflicht für Suizidwillige ist Bevormundung“

von Redaktion

INTERVIEW Sterbehilfe-Experte kritisiert die Gesetzentwürfe, über die am 6. Juli im Bundestag abgestimmt wird

Berlin/München – Am 6. Juli wird im Bundestag über den assistierten Suizid abgestimmt. Es gibt dazu zwei Regelungsvorschläge. Beide Entwürfe sehen vor, dass todbringende Medikamente auch für eine beabsichtigte Selbsttötung verschrieben werden dürfen. Allerdings legen sie die Hürde dafür unterschiedlich hoch an. Wir sprachen darüber mit dem Rechtsanwalt Prof. Robert Roßbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS).

Was genau steht im Bundestag zur Abstimmung?

Nachdem das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt hatte, ließ es offen, ob der Gesetzgeber ein neues Gesetz oder ein legislatives Schutzkonzept neu formuliert. Es gibt also keinen entsprechenden Auftrag an den Gesetzgeber. Dennoch haben sich Abgeordnete überfraktionell zusammengetan, die der Meinung waren, es braucht eine gesetzliche Regelung.

Jetzt stehen zwei Entwürfe zur Abstimmung.

Zum einen gibt es den etwas sehr restriktiven Gesetzentwurf von den Abgeordneten Castellucci, Heveling, Notz und weiteren, die einen neuen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch verankern wollen. Doch der ist im ersten Absatz wortgleich mit dem für verfassungswidrig erklärten Paragrafen 217 – und deswegen aus unserer Sicht ebenfalls verfassungswidrig. Sollte dieser Entwurf die Mehrheit bekommen, würden wir wieder Verfassungsbeschwerde dagegen einreichen.

Daneben gibt es einen liberalen Entwurf, der die Suizidassistenz ausdrücklich nicht im Strafrecht ansiedeln möchte und das Recht auf selbstbestimmtes Sterben in den Vordergrund stellt.

Auch dieser Entwurf enthält eine Beratungspflicht. Wir als DGHS meinen: Es gibt aus unserer Sicht keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf, weil es bis dato noch zu keinem Missbrauch im Bereich der organisierten Suizidhilfe gekommen ist. Des Weiteren sind wir gegen eine Beratungspflicht, die aus der Schwangerenkonfliktberatung übernommen wurde. Hier haben wir eine ganz andere Situation: Es geht hier um erwachsene Menschen, die schwerstkrank sind und sich nach langer Überlegungszeit in der Regel dazu entschieden haben, wohlerwogen und freiverantwortlich eine Suizidbeihilfe in Anspruch zu nehmen. Wir sind für ein Beratungsrecht, aber nicht für eine Beratungspflicht. Unsere suizidwilligen Mitglieder sind alles mündige Bürger, die sich sehr intensiv mit ihrem Ableben auseinandersetzen. Jeder lebt gern. Aber wenn man schwerstkrank ist, sich mit dieser schweren Krankheit seit Jahren beschäftigt und nach langem Überlegen zu dem Ergebnis kommt: ,Ich kann so nicht mehr weiterleben und möchte sterben’, dann empfinde ich eine zusätzliche Beratung von irgendwelchen Dritten als Bevormundung.

Aber ist es nicht ureigenste Pflicht des Staates, das Leben zu schützen?

Das ist korrekt. Nur hat das Bundesverfassungsgericht ganz klar gesagt: Primär steht nicht der Lebensschutz bei einem freiverantwortlichen Suizid im Vordergrund, sondern der Schutz der Autonomie des Suizidwilligen. Der höchste Grundrechtsschutz genießt danach nicht das Leben, sondern die Menschenwürde, deren Kern die Selbstbestimmung ist.

Die Sorge besteht aber, dass sich gerade ältere Menschen unter Druck gesetzt fühlen könnten, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, weil sie nicht zur Last fallen wollen. Wie kann man das verhindern?

Einen von außenstehenden Dritten aufgebauten Druck konnten wir bisher in keiner der uns bekannten Freitodbegleitungen feststellen. Das wäre auch strafrechtlich relevantes Verhalten. Wenn sich Betroffene jedoch selbst unter Druck setzen, dann kann nur versucht werden, diesen durch intensive Gespräche abzubauen. Zum Motiv, den anderen nicht zur Last fallen zu wollen, hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Das Motiv, mit dem jemand zu dem Ergebnis kommt, Suizidhilfe in Anspruch nehmen zu wollen, spielt überhaupt keine Rolle. Jedes Motiv muss respektiert werden, von der Gesellschaft und vom Staat. Es geht nur darum, zu verhindern, dass strafrechtlich relevanter Druck auf die Suizidwilligen ausgeübt wird. Es gibt in Deutschland keine empirisch belegbaren Anhaltspunkte dafür, dass es diesen Druck bzw. diese Einflussnahme auf freiverantwortlich handelnde suizidwillige Menschen gibt.

Wird durch ein Recht auf Suizid die Selbsttötung nicht zum Normalfall?

Ich kann das nicht erkennen. Wir haben ungefähr 10 000 Suizide im Jahr, die überwiegend von psychisch Erkrankten vorgenommen werden. Die Zahl von ca. 600 freiverantwortlichen, also rationalen Suiziden bei einer Bevölkerungszahl von fast 84 Millionen kann daher als sehr gering angesehen werden. Daher ist es vor dem Hintergrund dieser Zahlen abwegig, von der Gefahr, so dies überhaupt eine Gefahr ist, einer ,Normalität’ zu sprechen.

Wie viele Anfragen haben Sie zur Sterbehilfe?

Wir haben zum einen ein Suizidpräventions-Beratungstelefon, das von zwei ausgebildeten Psychologen besetzt ist. Dort kann jeder, der Suizidgedanken hat, anrufen, der eine ergebnisoffene Beratung möchte. Das Beratungstelefon wird ungefähr von 300 Menschen im Monat in Anspruch genommen. Für unsere Mitglieder haben wir das Angebot der Vermittlung einer Freitodbegleitung. Wir sind keine Sterbehilfeorganisation, wir vermitteln nur für unsere 28 000 Mitglieder bei Bedarf eine Freitodbegleitung an mit uns kooperierende Ärzte und Juristen. Pro Woche treffen ungefähr zehn bis 15 Anträge bei uns in der Geschäftsstelle ein. Derzeit führen 25 regionale Teams, bestehend aus jeweils einem Juristen und einem Arzt, Freitodbegleitungen durch.

Ein Schwerkranker, der sein Leben beenden will, muss nicht mehr in die Schweiz fahren?

Nein, das ist das Gute an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass endlich der unwürdige und für die suizidwilligen schwerstkranken Menschen belastende „Sterbetourismus“ zum Beispiel in die Schweiz ein Ende gefunden hat.

Auf der anderen Seite gibt es viel mehr Möglichkeiten der Palliativmedizin, als sich Menschen vorstellen können. Müsste da nicht mehr aufgeklärt werden?

Bei unseren Mitgliedern meist nicht, denn diese sind in aller Regel sehr gut über die pflegerischen und medizinischen Angebote in Deutschland informiert. Aber Sie haben recht: Wir begrüßen selbstverständlich den weiteren, vor allem flächendeckenden Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung. Im Vergleich zu den Niederlanden oder den skandinavischen Ländern sind wir diesbezüglich viel schlechter aufgestellt. Dennoch stellen wir fast täglich fest, dass auch die Palliativmedizin an ihre Grenzen stößt, denn es gibt Schmerzsymptome, die bis heute nicht adäquat behandelbar sind. Viel entscheidender ist jedoch, dass es Menschen gibt, die sich nicht in ein Hospiz begeben wollen, weil dies für sie mit einem Autonomieverlust einhergeht, den sie nicht hinzunehmen bereit sind. Des Weiteren gibt es Menschen, für die eine palliative Sedierung nicht infrage kommt, weil sie ganz bewusst von dieser Welt gehen wollen.

Interview: Claudia Möllers

„Selbstbestimmtes Sterben“

Am Samstag, 1. Juli, hält DGHS-Präsident Prof. Robert Roßbruch um 14.30 Uhr einen Vortrag über „Freitodvermittlung in Deutschland“ im Hotel Eden Wolf, Europasaal, Arnulfstraße 4, in München.

Die Beratungshotline

für Suizidprävention „Schluss.PUNKT“ hat die Nummer 0800 / 80 22 400.

Erreichbar Montag bis Freitag 9–13 Uhr + Di. und Do., 14.30–17 Uhr. Hilfe gibt es auch über die Telefonseelsorge unter www.telefonseelsorge.de/kontakt/

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