München – Gut drei Monate vor der Landtagswahl wird es laut in Bayerns Politik, manchmal auch schrill. Viel Streit entzündet sich an Aiwanger, der AfD und der Ampel in Berlin. „Weniger kreischen und brüllen“, rät Markus Söder. Doch hat der Ministerpräsident mit seinem Demo-Auftritt in Erding die Stimmung nicht selbst angeheizt? Wir haben Söder (56, CSU) zum Gespräch in unserer Redaktion getroffen.
Bei der „Ausge-Trumpt“-Demo neulich waren Sie und Ihre Regierung das Feindbild: „Rechtsruck“, „Fake-News“, hieß es. Bereuen Sie, mit Ihrer Rede zuvor in Erding die Debatte angeheizt zu haben?
Das Grundproblem liegt nicht bei uns in Bayern – sondern in Berlin. Die Richtung der deutschen Politik stimmt nicht. Die Ampel lässt große Teile der Bevölkerung ratlos am Wegrand zurück. Genau dafür steht das Heizgesetz, das jetzt schnell unter Missachtung jeglicher parlamentarischer Gepflogenheiten durch den Bundestag gepeitscht werden sollte. Dafür hat die Ampel aus Karlsruhe jetzt die verdiente Klatsche erhalten. Sie sollte dieses unselige Gesetz nun selbst kassieren. Eine unionsgeführte Regierung wird es ab 2025 jedenfalls wieder komplett rückabwickeln – sollte es bis dahin in Kraft treten. Weil es schlichtweg falsch ist.
Ihr Vize Aiwanger rief in Erding dazu auf, die Leute sollten sich „die Demokratie zurückholen“. Jetzt behauptet er im TV, Deutschland habe nur noch eine „formale Demokratie“. Radikalisiert er sich?
Diese Äußerung aus Erding teilen wir ausdrücklich nicht. Wir müssen aufpassen: Das Land wirkt aufgeregt und verunsichert. Davon profitieren Radikale. Das Nachsprechen und Nachlaufen von Populisten bringt aber keinen positiven Ertrag – im Gegenteil, das stärkt das rechte Original und nicht die Kopie. Wir sollten als Politiker vielmehr Halt und Hoffnung geben. Das ist Bayern: Also Bayern-Zuversicht statt Bundes-Frust. Denn in Bayern lebt es sich einfach besser.
Nochmal: Haben wir nur noch „formal“ eine Demokratie, wie es der stellvertretende Ministerpräsident behauptet?
Ganz und gar nicht. Wir haben eine sehr lebendige und gute Demokratie. In Bayern besonders mit den Elementen der direkten Demokratie. Wer das nicht glaubt, sollte sich mal in anderen Ländern umschauen. Aber es ist auch notwendig, Klartext zu reden und Probleme zu benennen. Jeder CSU-Ministerpräsident war Mitglied im Verein für deutliche Aussprache. Das bleibt auch so. Aber es muss uns Sorgen machen, wenn die Akzeptanz einer Ampel ins Bodenlose fällt und die Ränder deshalb zulegen.
Wir stehen gerade am Anfang eines Wahlkampfes, der Ton spitzt sich erfahrungsgemäß zu. War Ihre frühe Koalitionsaussage pro Aiwanger ein Fehler?
Aufgeregtheit ist ein schlechter Ratgeber. Manche Politiker kreischen und brüllen – das erlebt man im Landtag. Ich glaube nicht, dass man gute Wahlkämpfe mit Wut und Frust führt. Die CSU steht lieber für gutes und seriöses Regieren. Unser Land ist in guter Hand. Als Ministerpräsident bin ich für alle da – und werde auch nicht für ein flüchtiges Prozent Zustimmung im populistischen Bereich den politischen Anstand Bayerns riskieren. Unser Angebot richtet sich an konservative, bürgerliche, soziale und modern denkende Menschen. An den Rändern wird gekrittelt. Aber in Wahrheit zählt die bayerische Mitte. Wir wollen das Land zusammenhalten, damit Bayern weiter stark und stabil bleibt.
Ist Aiwanger ein akzeptabler Wirtschaftsminister? Oder kümmert er sich zu sehr um Land- und Gastwirtschaft?
Die Koalition arbeitet gut zusammen. Ich danke den Freien Wählern, dass sie auch in der Corona-Zeit eine Stütze waren. Sie haben auch schwierigste Maßnahmen mitgetragen…
…und Aiwanger schimpft heute über Corona-Irrsinn.
Auch der Wirtschaftsminister hat jede einzelne Verordnung unterstützt. Wir sind eine erfolgreiche und stabile Koalition. Bayern steht in Summe besser da als jedes andere Bundesland.
Ihr Vorgänger Horst Seehofer sagte in unserem Interview, die absolute Mehrheit sei für die CSU noch immer möglich. Warum schöpfen Sie das Potenzial nicht aus?
Auf die verunsicherten Menschen wirken solche Debatten schnell abgehoben. Die Bürger haben Sorgen um ihr alltägliches Leben – da sollten Parteien nicht um sich selbst kreisen, sondern Lösungen anbieten und hart arbeiten.
Soll die Union übers Gendern reden, ja oder nein?
Die Union muss jedes Problem ansprechen. Als Kernkompetenz der Union sehe ich aber vor allem Wirtschaftspolitik und Innere Sicherheit – das sind die Eckpfeiler. Genau da versagt die Ampel. Der Ausstieg aus der Kernenergie war falsch. Es fehlt ein Konzept gegen die hohen Strompreise. Wir wollen dagegen die Stromsteuer für alle massiv senken. Das ist wichtiger als eine Klimapolitik mit der Brechstange oder feministische Außenpolitik.
Seehofer sagt auch Richtung Union: In der Migrationspolitik helfe das „Wegschweigen“ nichts. Fühlen Sie sich angesprochen?
Wir haben eine klare Position und in Bayern große Integrationserfolge: Trotz großer Zuwanderung haben wir die niedrigste Arbeitslosigkeit und die geringste Kriminalität. Ein wesentlicher Faktor ist der Schutz der bayerischen Grenzen. Vor fünf Jahren bin ich noch sehr kritisiert worden für den Aufbau einer bayerischen Grenzpolizei. Heute ist das ein Erfolgsmodell, um Bayern sicherer zu machen mit über 80 000 Fahndungserfolgen. Ganz Deutschland sollte das nach bayerischem Vorbild etablieren.
Also stehen Sie vorbehaltlos hinter dem Plan, an der EU-Außengrenze Asylzentren aufzubauen?
Ja, natürlich. Allerdings wird es noch dauern, bis das umgesetzt wird.
Es hat schon gedauert – warum ist das nicht bereits unter Merkel passiert?
Die Migrationspolitik 2015 haben wir zurecht kritisiert. Da gab es kein geordnetes Verfahren. Das war der große Fehler dieser Zeit…
…für die Sie jetzt Merkel den Verdienstorden umgehängt haben!
16 Jahre Union waren deutlich mehr. Über 16 Jahre hat unser Land trotz schlimmster Krisen den Wohlstand gehalten und sogar gemehrt. Die Ampel hat das in zwei Jahren fast verspielt.
Zurück zur Migration: Sind Sie zu leise?
Wir haben eine klare Linie: Ja zur Menschlichkeit, Nein zu unkontrollierter Zuwanderung. Und beim Staatsbürgerrecht gilt: Wer eingebürgert werden will, muss unsere Sprache sprechen und seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Natürlich brauchen wir eine qualifizierte und kontrollierte Zuwanderung für die Wirtschaft, aber es ist eine Illusion zu glauben, damit allein alle Probleme lösen zu können. Es droht sonst eine Überforderung des Landes: Wir kommen jetzt schon kaum mit dem Bau von Kitas, Schulen und Wohnungen hinterher. Deutschland muss bereit sein, wieder mehr zu arbeiten, um den Wohlstand zu erhalten. Weniger arbeiten heißt auch weniger Wohlstand. Die Vier-Tage-Woche hilft da leider nicht.
Die Menschen schauen erschrocken auf die Randale in Frankreich, auf Clan-Schlachten in NRW. Versprechen Sie: keine solchen Zustände in Bayern?
Das wird es in Bayern nicht geben. Das darf auch nirgends in Deutschland akzeptiert werden. Dass die Menschen zu jeder Zeit sicher sind und nachts überall auf die Straße gehen können, ist in Bayern selbstverständlich. Das sollte überall in Deutschland so sein. Der Staat muss gegen Gewalttäter hart vorgehen. Jeder Bürger kriegt einen Strafzettel, wenn er falsch parkt oder zu schnell fährt. Mit dieser Konsequenz muss der Staat bei allen Straftaten durchgreifen.
Finden die Ermittlungen gegen die Klima-Kleber Ihre Unterstützung?
Wir unterstützen die Justiz, indem wir sie unabhängig selbst entscheiden lassen. Es gibt keine Eingriffe der Politik, keine Weisungen. Es gibt in Bayern aber auch keinen Rabatt für Straftaten mit politischen Motiven.
Für Bayern schließen Sie Schwarz-Grün aus. Gilt das auch für den Bund?
Jede Ebene ist anders. Aber wer von vornherein schwarz-grün denkt, wird bei Wahlen kein starkes Schwarz erreichen, nur ein verwaschenes, grün gesprenkeltes Grau. Die Union muss immer so stark sein, dass sie die Richtlinien der Politik bestimmt und nicht von den Grünen so vorgeführt wird wie die Ampel.
Kritisch wird es 2024 für die Union: vier Landtagswahlen im Osten. Müssen Sie notfalls Allparteien-Bündnisse gegen die AfD eingehen – aber mit der Linken? Daniel Günther empfiehlt das ja bereits.
Die Union verliert, wenn sie zu viel über sich diskutiert und nicht einig wirkt. Das gilt für Personal, Koalitionen und Inhalte. Was den Osten betrifft: Da haben wir gesehen, dass starke Persönlichkeiten wie Reiner Haseloff oder Michael Kretschmer auch in schwieriger Lage Erfolg haben können. Um Sachsen mache ich mir keine Sorgen. Thüringen wird schwieriger.
Die Gefahr, bald einen AfD-Ministerpräsidenten zu haben, ist doch real!
Die AfD ist eine reale Gefahr für Demokratie und Wohlstand! Franz Josef Strauß hätte die AfD als die fünfte Kolonne Moskaus bezeichnet. Putins Einfluss-Agenten in Deutschland sind die AfDler. Jenseits ihrer kruden Vorstellungen, wie sie mit Minderheiten umgehen, sind das die treuesten Vasallen des Kremls in unserem Land.
Nochmal zur Union. Hendrik Wüst sagt, bei der Frage des Kanzlerkandidaten müssten alle CDU-Landesverbände mitreden. Was sagt der CSU-Chef dazu?
Eine Debatte über den Kanzlerkandidaten ist verfrüht und schädlich. Wir haben noch nicht mal die Halbzeit der Bundesregierung erreicht. Die Ampel wird bis zum Ende durchhalten, denn Macht und Ämter schweißen sie zusammen. Ich rate uns, klug zu agieren. In der zweiten Jahreshälfte 2024 ist der richtige Zeitpunkt für diese Entscheidung. Friedrich Merz und ich werden den Parteien einen Vorschlag machen, den die ganze Basis tragen kann.
Per Mitgliedervotum?
Wir machen gemeinsam einen guten Vorschlag.
Manche sagen, wenn Wüst und Merz sich nicht einigen, wird Söder der lachende Dritte…
Unsinn.
Interview: geo/mik/cd