München – Beginnen wir den Geburtstagsartikel zu Ehren des Herzogs Franz von Bayern mit einer Maus. Nicht mit irgendeiner Maus. Diese hier heißt Herkules und hat keinen gewöhnlichen Stall, sondern ihren eigenen kleinen Palast. Mit Wohnturm und Fahne. Darauf der Schriftzug: „Schloss Bummelwitz“. Gebaut aus Legosteinen vom Herzog persönlich. Heute feiert er seinen 90. Geburtstag. Und vielleicht ist dies die schönste Anekdote seines an schönen Anekdoten reichen Lebens. Weil sie aufs Sympathischste verbildlicht, was dieser Mann, der seit 1992 im Schloss Nymphenburg seinen Wohnsitz hat, für ein Mensch ist. Er ist keiner, der residiert. Herzog Franz lebt. Und wie. Vor 30 Jahren also schenkte ihm sein Lebensgefährte Thomas Greinwald das Mäuschen Herkules. Und man sieht förmlich vor sich, wie die zwei humorvollen Männer damals aus Lego dieses Schlösschen bauten. Und wie die Maus fortan fröhlich frei in den privaten Gemächern herumwirbelte.
Am liebsten über den Schreibtisch des Hausherrn. Der kleine Herkules auf dem Antikmöbel eines anderen großen Mannes: Der Tisch hat einmal Napoleon gehört. „Es gibt noch mit Tinte geschriebene Weihnachtskarten von mir, da sieht man neben der Unterschrift ganz zarte Pfoten-Tapperl, weil die Maus drüber lief“, erinnert sich Herzog Franz von Bayern 30 Jahre später. Ein Geburtstagskind im wahrsten Sinne.
Es wurde ja schon viel geschrieben über ihn. Ältester Enkel des letzten bayerischen Kronprinzen Rupprecht (1869-1955), Urenkel von König Ludwig III. (1845-1921). Heutiger Chef des Hauses Wittelsbach. International renommierter Kenner und Förderer Moderner Kunst (s. Randartikel), Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Einrichtungen. Eine beachtliche Zwischenbilanz. Aber solchen Aufzählungen fehlt der pochende Herzschlag. Das pralle Leben, das dahintersteht, man kann es nur erahnen. Wer es erspüren will, der sollte sich mit Franz von Bayern treffen und ihn erzählen hören. Oder, weil das bei einem auch mit 90 Jahren noch gut beschäftigten Mann wie ihm ja nun nicht ganz so einfach möglich ist, seine Autobiografie lesen.
Es war wie berichtet eine kleine Sensation, als „Zuschauer in der ersten Reihe. Erinnerungen“ im März dieses Jahres erschien. Was mehr über unsere Gesellschaft als über das Buch aussagt. Denn worüber nach der Veröffentlichung am meisten gesprochen wurde, war das Kapitel ganz zum Schluss, überschrieben mit „Persönliche Schlaglichter“. Da erzählt der weltoffene Herzog von seinem Herzensmenschen Thomas, mit dem er seit 42 Jahren zusammen lebt. Er tut das mit einer Selbstverständlichkeit, die viel von seinem Charakter preisgibt. „Man muss heute Position beziehen, und mir sind Toleranz und Verständnis nicht mehr genug. Sie würden bedeuten, dass man etwas, was doch nicht so ganz in Ordnung ist, aus Freundschaft oder Großzügigkeit in Kauf nimmt. Heute kann man Selbstverständlichkeit fordern“, formuliert es Herzog Franz. Der nicht gern viel Aufhebens um seine Person macht. Sich stets als Repräsentant des Hauses Wittelsbach sieht, die damit verbundenen Pflichten gewissenhaft erfüllt. Aber mit einem Vergnügen und einer Offenheit allem gegenüber, dass das von außen betrachtet gar nicht wie Pflicht ausschaut.
Wird es Typen wie ihn in 90 Jahren noch geben? Franz von Bayerns Leben, sein dadurch geformter Charakter, ist auch Abbild einer bayerischen, deutschen, europäischen, letztlich weltweiten Entwicklung. Er musste mit seiner Familie in Kindertagen nach Ungarn ins Exil gehen. 1944 dann wurden die Wittelsbacher verhaftet, verbrachten Monate in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Flossenbürg, Dachau. Als Sonderhäftlinge mit Sonderbehandlung, aber doch: der eigene Hunger, die Bilder von noch ärger leidenden Mithäftlingen sind ihm ins Herz geschrieben.
Er hat den Wiederaufbau erlebt, das erste Konzert nach Kriegsende in München, in der Aula der Universität: „Die Schöpfung“ von Haydn. Wenn er heute zu einer Premiere im Nationaltheater kommt, ist ihm die Ansicht des Theaters, von dem einst nur ein großes Loch im Boden übrig war, noch immer gegenwärtig. „Vor wenigen Tagen saß ich in einem Konzert auf dem Odeonsplatz und es wurde mir schlagartig bewusst, dass ich einmal auf den Trümmern der Residenz wohl im Bereich des jetzigen Cuvilliéstheaters stand. Da hatte man auf der einen Seite bis zum Marienplatz hin den Blick frei und auf der anderen Seite schaute man auf den Schutthügel des Palais Leuchtenberg, der ehemaligen Residenz meines Großvaters“, erzählt er im Gespräch mit unserer Zeitung.
Doch genauso erinnert er sich an den Optimismus, der vielfach in der Luft lag. „Eines nahm ich als Kind nach dem Krieg sehr deutlich wahr: Alle waren ganz grundlegend von dem Gedanken bestimmt, überlebt zu haben. Das brachte eine unglaublich heitere Stimmung – die Leute unterhielten sich nie so gut wie in diesen schlechten Jahren.“ Wenn irgendwo eine Flasche Wein aufgetaucht sei, feierten 50 Menschen ein Fest „und waren vergnügt wie nie zuvor. Grundlage war dieses Gefühl, überlebt zu haben, nun könne einem nichts mehr passieren.“ Ihn hat das tief geprägt. Essen wegwerfen? Unvorstellbar. „Für mich sind Rahm oder Butter immer noch eine Kostbarkeit.“
Was ihn ein Leben lang vorangetrieben hat, war seine Neugierde. Häufig in Opposition zum Elternhaus. „Mein Vater lehnte beispielsweise Wagner schlichtweg ab – und rein aus Widerspruchsgeist entdeckte ich ihn dann für mich.“ Oder Jazz. Wer ihn in den Fünfzigern in Deutschland hören wollte, musste mutig sein. Franz von Bayern war’s. Traute sich regelmäßig ins Tabarin am Isartorplatz – „eine Spelunke!“. „Der Taxifahrer sagte: ,Der möchte gern Jazz hören.‘ Der Barkeeper schaute mich an und sagte: ,Geh eini, hock di unter die Bar, dass man di net sieht.‘“ Er tat’s. Und erlebte legendäre Auftritte. Unter anderem von Ella Fitzgerald. Die legte spontan eine Zwei-Stunden-Show hin. So lässig war München damals.
Fast wie New York. Das entdeckte der Herzog Anfang der Sechziger. Als er dort einmal den Künstler Mark Rothko (1903-1970) kennenlernen wollte, schaute er einfach im Telefonbuch nach. Rief an: „Ich komme aus Deutschland, kann ich Sie besuchen?“. Und Rothko: „Ja, kommen Sie heute Nachmittag vorbei.“ Also auf ins Atelier. 40 Bilder schauten sie gemeinsam an. Als Rothko Hunger bekam, nahm er seinen deutschen Gast mit zum Abendessen bei einer Freundin. Dort am Tisch auch zwei andere junge Typen. Lustige Runde, lange Gespräche. Und beim Absacker in einer Bar morgens um drei die Frage: Wie heißt ihr eigentlich? Es waren Jasper Johns (Jg. 1930) und Robert Rauschenberg (1925-2008) – ohne es zu wissen, hatte er den Abend mit zwei Künstlern verbracht, die zu den Größten der USA werden sollten.
Herzog Franz war in der Factory bei Andy Warhol. Hat dort Bianca Jagger getroffen und ihren Mann für einen Beethoven-Interpreten gehalten. Er ist während der Olympischen Spiele 1972 durch Münchens Straßen gezogen. „Und man ging einfach mal in fremde Häuser hinein auf einen Drink. Auch bei mir in der Wohnung saßen manchmal wildfremde Leute, tranken etwas und verschwanden dann wieder.“ Er hat die Mondlandung erlebt, den Mauerfall. Horizonte, die sich weiteten. „Ich glaube, wir waren wirklich eine gesegnete Generation. Es war ein Glück für mich, dass ich in diese enorme Aufbruchszeit hineingeboren wurde.“
Wenn man ihm so zuhört, seine Lebensgeschichte nachverfolgt, wird auch deutlich, was uns droht, im Überfluss abhanden zu kommen. Bei aller Offenheit für Neues stützte Franz von Bayern ein klarer Wertekanon. „Man kann ja dem Leben nicht vorschreiben, wie es zu verlaufen hat. Es war richtig, elastisch zu bleiben und einfach zu schauen, was es braucht. Nötig ist dafür aber eine solide Basis von festen Grundsätzen.“ Wenn dann noch eine gehörige Portion Humor hinzukommt, hat man sehr viel richtig gemacht.
Und damit sind wir wieder beim Mäuschen Herkules. Das wusste auch immer, was es wollte. „Herkules liebte nur harten Käse. Als ich ihr einen weichen Camembert hinlegte, nahm sie ihn, verschwand im Schloss, kam nach zwei Minuten wieder und brachte den Käse zurück.“ Sich nicht auf jeden Käse einlassen und weiter seinen eigenen Weg gehen, das wünschen wir dem Jubilar.