Kiew/Moskau – Diese Brücke hat eine ganz besondere Symbolik. Und wer Wladimir Putin und die Russen treffen will, hat mit diesem Bauwerk, das die Krim mit dem russischen Festland verbindet, ein hervorragendes Ziel. Erst nach der Annexion der Krim im März 2014 war die Planung der 19 Kilometer langen Brücke in Auftrag gegeben worden – weil die vielen russischen Touristen nun nicht mehr über den ukrainischen Landweg zum beliebten Ferienziel kommen konnten oder wollten. Der Bau verlief in Rekordzeit. Und bei der Einweihung 2018 war es Wladimir Putin höchstpersönlich, der einen Korso von Baustellenfahrzeugen auf die Krim anführte – am Steuer eines orangenen Lastwagens. Das Staatsfernsehen übertrug live. Ein Symbol des Sieges nach der Annexion der Halbinsel.
Im russischen Krieg gegen die Ukraine rückt diese Brücke nun zum zweiten Mal ins Rampenlicht. Um kurz nach 3 Uhr morgens soll es am Montag zu zwei Explosionen gekommen sein. Verwackelte Videoaufnahmen vom Morgen zeigen teils massive Schäden. Ein ausgebranntes Auto ist zu sehen. Offenbar gab es zwei Tote – einen Mann und eine Frau. Die 14-jährige Tochter sei in ein Krankenhaus gekommen, erklären russische Behörden, die auch Bilder von Ermittlern bei der Spurensicherung auf einem in Richtung Meer hängenden Teilstück der Straße veröffentlichten. Der Autoverkehr wurde eingestellt.
Die Brücke besteht aus zwei parallel verlaufenden Teilen: einer für den Straßenverkehr, der andere für die Eisenbahn. Der Gleisteil blieb den von Russland eingesetzten Krim-Behörden zufolge bei dem Angriff unbeschädigt, auch das Fundament der Brücke wurde nach russischen Angaben nicht beschädigt. Mit rund fünf Stunden Verspätung sei am Vormittag ein Zug aus der Krim-Hauptstadt Simferopol in Richtung der südrussischen Region Krasnodar losgefahren, hieß es. Zudem wurde die zeitweise unterbrochene Fährverbindung zur Krim noch am Montag wieder aufgenommen.
Es ist die zweite Attacke auf das Bauwerk. Am 8. Oktober hatte es eine massive Explosion gegeben. Russland sprach von einem mit Sprengstoff beladenen Lkw, die BBC mutmaßte auch über ein unbemanntes Wasserfahrzeug. Auch damals gab es Tote. Es dauerte bis Februar, ehe der Autoverkehr wieder uneingeschränkt lief. Erst später gab der ukrainische Geheimdienst zu, dass er in die Attacke verwickelt war.
Auch gestern bestätigte man eine eigene Beteiligung zunächst nicht, sondern spottete lediglich: „Erneut hat sich die Brücke ,schlafen‘ gelegt.“ Die Nachrichtenagentur AFP berichtete aber unter Berufung auf Kreise des ukrainischen Inlandsgeheimdiensts SBU, dass der SBU und die Marine den Angriff mit Drohnen ausgeführt hätten. SBU-Sprecher Artem Dechtjarenko erklärte, der Geheimdienst beobachte „mit Interesse, wie eines der Symbole von Putins Regime wieder einmal der militärischen Belastung nicht standhält“.
Die Brücke ist aber mehr als ein Symbol. Sie hat auch große strategische Bedeutung – nicht nur, weil Lebensmittel und Treibstoff für die Bevölkerung geliefert werden. Auf der Krim befindet sich auch die Hauptbasis der russischen Schwarzmeerflotte, die auch Teile der Truppen in den besetzten Gebieten wie Cherson und an der südlichen Front versorgt.
Moskau sprach deshalb gestern von einem Terrorakt. Militärexperte Carlo Masala konterte via Twitter: „Auf ein illegales Bauobjekt, das zu einer illegal besetzten Halbinsel führt, kann es keinen terroristischen Anschlag geben. Es ist ein legitimes militärisches Ziel im Kampf gegen die Besatzungstruppen.“ Auch der Verteidigungsexperte Nico Lange erklärt: „Mit Angriffen auf die Zugänge zur Krim war bei der ukrainischen Offensive zu rechnen. Wenn es gelingt, die Krim von der Logistik abzuschneiden, hätte das für die russischen Truppen erhebliche Nachteile. Jeder erfolgreiche Angriff auf die Krim-Brücke zeigt zudem Putins Schwäche.“
Der Kremlchef selbst drohte am Montagabend mit militärischer Vergeltung. „Natürlich wird es von Seiten Russlands eine Antwort geben“, sagte Putin bei einer Beratung der russischen Führung in Moskau. Das Verteidigungsministerium bereite Vorschläge dafür vor, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Tass den Präsidenten. „Das ist der nächste Terrorakt des Kiewer Regimes.“
Auch nach dem ersten Angriff auf die Brücke im vergangenen Oktober drohte Putin mit Konsequenzen. Im Winter attackierte Russland dann gezielt Energieanlagen im Nachbarland. mm