Klimawandel: Bayern sucht die Superbäume

von Redaktion

VON WOLFGANG HAUSKRECHT

Würzburg/München – Susanne Böll steht auf der Straße und schaut sich um. In langen Reihen stehen hier ihre Schützlinge. Japanischer Woll-Apfel, Nordamerikanische Schwarznuss, Mongolische Linde, Ungarische Eiche oder Ginkgo-Bäume aus China. Es ist ein internationales Treffen im Gewerbegebiet Heuchelhof am Rande von Würzburg. „Ich kenne jeden Baum persönlich“, sagt Böll und lacht. Zwischen Pizzabude, Baumarkt und einem Autoreifenhändler wächst die Zukunft Bayerns. Die Biologin beäugt jeden Baum kritisch, erklärt seine Stärken und Schwächen, so als suche sie den Superbaum. So ist es aber nicht. Sie sucht viele Superbäume. Bäume, die dem Klimawandel mit all seinen Folgen widerstehen können. Denn Bayerns heimische Arten kommen immer mehr in Not – vor allem in den Städten.

Susanne Böll leitet das Projekt „Stadtgrün 2021+“ der Bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau. 30 Baumarten aus aller Welt werden getestet, als klimafester Ersatz für gestresste heimische Baumarten. Insgesamt 650 Bäume wurden gepflanzt: in Würzburg, Hof/Münchberg und Kempten. Denn das Klima ist auch in Bayern nicht überall gleich. Würzburg im Nordosten ist ein Trocken-Hotspot, Hof und Münchberg sind eher kontinental-frostig und das im südlichsten Zipfel Bayerns gelegene Kempten hat ein regenreiches Voralpenklima.

Seit 2010 läuft das Projekt und eigentlich sollte es, wie der Name sagt, im Jahr 2021 beendet sein. Aber Bäume sind gemächliche Genossen. Sie müssen wachsen und offenbaren ihre wahren Fähigkeiten erst mit der Zeit. Also wurde das Projekt verlängert und heißt nun eben „2021+“.

Dass es überhaupt ein Problem mit Bayerns Bäumen gibt, fällt dem Laien nicht gleich auf. Auch im trockenen Würzburg war es im Frühjahr grün. Der viele Regen hatte die Vegetation explodieren lassen. Seit Mai bleibt aber der Regen aus, viele Grünflächen sind schon verdörrt. Den Wassermangel spüren auch die Bäume.

Seit Jahren türmen sich die Probleme auf. Schadstoffe in der Luft, die zunehmende Versiegelung der Böden, Salzeinsatz im Winter oder fehlende Nährstoffe sind noch die kleineren. Zugewanderte Schädlinge wie die Kastanienminiermotte oder der Buchsbaumzünsler schwächen die Baumsubstanz zusätzlich. Aber kann man gegen Versiegelung und Schädlinge noch etwas tun, ist der Klimawandel ein zunehmend übermächtiger Gegner.

„Es gibt viele Probleme, aber der Klimawandel steht an erster Stelle“, betont Böll und zieht zur Bestätigung eine Grafik aus ihrer Tasche. Die zeigt die Hitzetage für Kempten, Hof und Würzburg, Das Diagramm ist alarmierend. In den Jahren 1961 bis 1990 hatten Hof und Kempten im Schnitt nur einen einzigen Hitzetag, also nur einen Tag mit mehr als 30 Grad Celsius. 2015 waren es bereits 17 Hitzetage. Würzburg mit seinem Weinbauklima hatte früher im Schnitt sieben Hitzetage, 2015 waren es schon 31, drei Jahre später 37. Und für das Jahr 2100 prognostizieren Forscher der Universität Würzburg 50 Hitzetage pro Jahr. „In extremen Jahren können es auch 70 sein“, sagt Böll und tippt im Stakkato auf die Grafik. „Das ist der Hammer!“

Mehr Hitze bedeutet mehr Strahlung und weniger Wasser. Böll erinnert an den „Steppensommer“ von 2018. Von Februar bis inklusive November habe man in Würzburg nur 287 Millimeter Niederschlag pro Quadratmeter gehabt. Insgesamt. „Das ist nichts!“ Auch heuer droht Wassermangel. Das Frühjahr war feucht. Aber jetzt, sagt Böll, komme nicht mehr viel. Ab Juli, sagt Böll, sei oberhalb der Donau kaum noch Wasser im Boden.

Seit Jahren gehen etwa Buchen massiv ein. Unten kein Wasser und von oben mehr Strahlung. „Die Buche stirbt uns sozusagen von zwei Seiten weg“, sagt Böll. Auch der Bergahorn sei in Würzburg über dem Limit. „Geht nicht mehr.“ Für die heimischen Linden-, Kastanien- und Ahornarten wird es ebenfalls eng. Und für die Wälder. Unterhalb der Donau, also auch in Oberbayern, sieht es noch besser aus, aber wer durch Franken fährt, sieht immer wieder Waldstriche, wo nicht nur die Fichten, sondern auch Buchen und Kiefern ihr Leben ausgehaucht haben.

In den Städten wirkt der Klimawandel noch stärker. Experten sprechen vom UHI-Effekt – „urban heat island“, was so viel bedeutet wie städtische Hitzeinsel. Die vielen versiegelten Flächen werfen die Hitze zurück. In den Innenstädten führe das im Sommer zu Temperaturen von über 40 Grad, sagt Böll. In Würzburg hat sie über Sensoren Messungen an Wurzel, Stamm und Blättern durchgeführt. Ergebnis: Die Blätter waren 40 Grad heiß, die Rinde bis zu 50 Grad und das Substrat, in dem der Baum steht, sogar bis zu 66 Grad – das ist mehr als die Lufttemperatur in der Sahara.

Wann das Projekt endet, ist noch offen, aber viele Städte nutzen die Ergebnisse schon heute. Denn dort darf gepflanzt werden, was immer die Stadt will. „Außerhalb von Städten dürfen nur heimische Baumarten gepflanzt werden und die müssen sogar aus bestimmten regionalen Gebieten stammen“, erklärt Böll. Ob das für immer so bleibt, wird sich zeigen.

Für das trockene Würzburg-Klima hat sich zum Beispiel die aus Kleinasien stammende Silber-Linde als zukunftsfähig erwiesen. „Die hat einen Trick drauf“, berichtet Böll. Wird es zu heiß, drehe sie die Blätter. Denn die Unterseiten sind heller und reflektieren die Strahlung besser. Außerdem haben sie eine filzige Struktur mit luftgefüllten Haaren. So verdunstet weniger Wasser. „Silber-Linden werden schon viel gepflanzt“, sagt Böll.

Auch die südeuropäische Hopfen-Buche, eine nahe Verwandte der Hainbuche, verträgt Hitze und Trockenheit, ebenso der Ginkgo oder der Französische Ahorn. Die nordamerikanische Rotesche wiederum kann das frostige Klima in Hof gut ab und ist weitgehend resistent gegen das Eschentriebsterben. Aus Nordamerika stammt auch der Amberbaum. Er hat in der Rinde luftgefüllte Korkleisten, was einen guten Frostschutz bietet.

Andere Bäume des Projekts kommen an allen drei Standorten gut zurecht. Zum Beispiel der nordamerikanische Lederhülsenbaum, die Blumen-Esche aus Südeuropa, der Perlschnurbaum aus China oder die Ulmen-Sorte „Rebona“ – eine Züchtung. Denn Kreuzungen sind durchaus eine Lösung. Auch die Purpur-Erle ist ein Hybrid, eine Kreuzung aus der japanischen und der kaukasischen Erle. Seit 1908 gibt es den Baum, gezüchtet hat ihn der deutsche Botaniker Franz Späth.

Andere Bäume des Projekts sind im Grunde schon durchgefallen, auch wenn sie noch im Test dabei sind. Zum Beispiel der Eisenholzbaum aus dem Nordiran. Er ist zwar anpassungsfähig, muss bei Hitze aber bewässert werden und bekommt schnell Sonnenbrand. Der japanische Dreizahn-Ahorn hat in Bayern ebenfalls keine Zukunft. Er hat Frost- und Salzprobleme, seine Blätter vertrocknen im Sommer früh. „Und eine Schönheit ist er auch nicht“, sagt Böll.

Was bei der Baumsuche auch eine Rolle spielt, ist die Besiedelung mit Insekten. Böll hat hier einen Versuch mit mehreren Baumarten durchgeführt. „Mischt man die Baumarten gut durch, finden alle eine Heimat“, sagt die Biologin. Die Zeit von Alleen in Monokultur neigt sich also dem Ende, bunt wächst gut ist das neue Motto.

Was das alles für die heimischen Baumarten bedeutet? Laut Böll keineswegs das Aus. Den Altbestand zu erhalten sei die „Aufgabe Nummer eins“, sagt sie. Bei Neubauprojekten, fordert sie, müsse der alte Baumbestand geschützt werden. Denn alte Bäume seien viel überlebensfähiger als frisch gepflanzte. Dann zieht sie zwei Bäume weiter. Sie hat einen Eisenholzbaum im Visier, dessen Rinde auffällig aufgeplatzt ist. Er hat Sonnenbrand.

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