Die KI-Revolution an den Schulen

von Redaktion

VON ANNA LIEBELT

München – Es ist kurz vor dem Schuljahresende. Die Zeugnisse stehen bevor. Im Englischunterricht der 10. Klasse steht noch ein Aufsatz an. Um die gute Note nicht auf den letzten Drücker zu gefährden, hilft der schnelle Griff zum Laptop. Ein paar Klicks – fertig ist der Aufsatz in nahezu perfektem Englisch und mit guten Argumenten. So erzählt es Leon aus Grafing (Name geändert). Der 16-jährige Gymnasiast nutzt ChatGPT nicht selten für Hausaufgaben und ab und zu sogar bei Prüfungen. „Es ist einfach und vor allem in Englisch hilfreich für Übersetzungen“, berichtet er. Ein individueller Schulaufsatz vom Computer, per Knopfdruck kostenlos ausgespuckt – ein Einzelfall?

Nein, sagt Deutschlehrer René Hurtienne. Der 48-Jährige unterrichtet am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Oberasbach in Mittelfranken und ist Bezirksvorsitzender des Bayerischen Philologenverbands. „An Gymnasien wird KI massenhaft eingesetzt, mit einer viel größeren Dunkelziffer.“ Einzelfälle seien das schon längst nicht mehr. Und das, obwohl die Nutzung von KI sowohl für Übungsaufgaben als auch für Prüfungen verboten ist. Daran halten sich jedoch die wenigsten Schüler, ärgert sich der Lehrer. Gerade in den älteren Jahrgangsstufen werde KI gezielt für Hausaufgaben, Referate und Prüfungen genutzt. „Spätestens ab der neunten Klasse sehen wir diese Tendenz deutlich.“ Zum Einsatz kämen Programme wie ChatGPT und Google Bard in nahezu jedem Fach. „Vor allem in Deutsch und Geschichte. Aber auch in Mathe“, erklärt Hurtienne.

Texte zusammenfassen, Lösungswege abschreiben – schnell und kostenlos vom Computer erledigt: Klingt einfach, ist allerdings nicht immer richtig, warnt der Lehrer. „Die Lösungswege sind vor allem in Mathe oft falsch.“ Und eine schnelle Zusammenfassung von Texten aus dem Lehrbuch, wie es in Geschichte oder Englisch gemacht wird, nützt laut dem 48-Jährigen ebenfalls wenig: „Die Schüler sollen ja die Zusammenhänge verstehen.“ Künstliche Intelligenz kann selbstständiges Denken nicht ersetzen, ist Hurtiennes Kernbotschaft. Auch wenn mancher Mogler das derzeit vielleicht anders sieht und lieber eine gute Note einheimst. „Der Wissenserwerb ist ein schmerzhafter Prozess, der lange andauert. KI kann einem das nicht abnehmen“, prophezeit Hurtienne.

Einen Vorteil biete KI trotzdem: Sie kann das Lernen vereinfachen. Gerade leistungsstarke Schüler könnten von KI profitieren, sagt der Lehrer. „Schüler, die es klug einsetzen, haben einen Vorteil. KI kann als Ideengeber funktionieren oder die eigene Leistung auf Fehler überprüfen.“ Schüler, die nur damit schummeln, hätten keinen Lerneffekt. „Ob ich von einem Mitschüler abschreibe oder von ChatGPT, ist auch schon egal“, sagt Hurtienne.

Doch wie können Lehrer Leistungen, die mithilfe von KI geschrieben worden sind, erkennen und bewerten? „Das ist gerade eine sehr große Diskussion im Philologenverband“, bekennt Hurtienne. „Man kann nur schwer trennen, was ein Schüler selbst geschrieben und was die KI beigefügt hat“, berichtet er frustriert. Einzig eine Plausibilitätsprüfung mit Kontolle der angegebenen Literatur und der verwendeten Fakten könne den Schummlern derzeit auf die Spur kommen. „Hat man aber nur eine Vermutung und kann die noch dazu nicht beweisen, bleibt der Verdacht im Raum stehen“, sagt der Lehrer.

Die 15-jährige Chiara (Name geändert), wie Leon Schülerin am Max-Mannheimer-Gymnasium in Grafing, kann die Sorge der Lehrer nachvollziehen. Sie selbst habe zwar noch nie KI für Schularbeiten benutzt, wisse von ihren Klassenkameraden aber, dass so etwas oft unentdeckt bleibt. „Dass ein Lehrer mal draufkommt, ist sehr selten“, sagt sie. „Den Verdacht gibt es aber oft. Und wenn der sich doch mal bestätigt, wird man sofort dafür bestraft.“

Erst kürzlich, erzählt Chiara, habe ein Klassenkamerad eine Sechs bekommen, weil er KI für eine Arbeit verwendet hat. Berechtigt, findet die Zehntklässlerin. Dennoch wünscht sie sich mehr Freiräume bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz. „KI wird in Zukunft eine viel größere Rolle spielen. Es wäre also schön, wenn man es auch in der Schule oder daheim für Hausaufgaben benutzen darf oder etwas darüber lernt.“

KI als Erleichterung unmittelbar im Unterricht? Das sieht der Lehrerverband bisher noch skeptisch. „Die persönliche Betreuung von Schülern muss im Vordergrund bleiben“, betont Hurtienne. Den Lehrer könne KI nicht ersetzen. Zudem seien die Risiken, die bei der Nutzung von KI im Unterricht entstehen könnten, bisher nicht einzuschätzen. „Es ist nicht klar, ob und was alles richtig ist“, erklärt er. Dazu kämen Datenschutz-Fragen sowie die bis dato fehlende Leitlinie des Kultusministeriums zum Umgang mit KI. „Es muss für alle ein gleiches System geben. Da warten wir aber noch auf Informationen.“ Ohne einheitlichen Kurs könne KI nicht im Unterricht verwendet werden.

Kritisch steht Hurtienne auch einer Entlastung von Lehrkräften durch KI gegenüber. KI-Programme für die Unterrichtsvorbereitung zu nutzen, spare zwar Zeit, doch leide möglicherweise auch die Qualität darunter, so seine Befürchtung.

Aussagen, die bei Tristan Post, KI-Experte und Dozent an der Technischen Universität München, auf Unverständnis stoßen. Für ihn sind Schulen und Lehrer bisher zu voreingenommen und ängstlich gegenüber KI. „Ohne Chat-GPT geht es nicht mehr. KI bleibt – und wird noch besser. Es ist nicht der richtige Weg, sich davor zu verschließen“, betont er. Viel wichtiger sei es, Schülern jetzt den richtigen Umgang mit KI beizubringen und ein Verständnis für die Technologie zu entwickeln. Schüler müssten, fordert Post, die Fähigkeit erlernen, kritisch mit KI-Tools umzugehen. „Wenn man sich auskennt, ist KI kein Problem mehr“, sagt der Experte. Gefordert seien da die Schulen. „Es passiert schon viel durch die Initiative einzelner Lehrer“, berichtet Post. Dennoch müsse die Sensibilisierung von Lehrern und Eltern mehr in den Vordergrund rücken.

„Die Bildungseinrichtungen tun sich im Umgang mit KI noch sehr schwer. Das muss sich ändern“, sagt Post. Denn KI sei für Schüler die Chance, Fähigkeiten zu entwickeln, die ihnen sonst verwehrt bleiben. Ein Zukunftsfaktor, der mit Blick auf die Wirtschaft wichtig werde. „KI ist ein unglaublich mächtiges Werkzeug. Die Aufgabe der Schulen ist es, Schüler dahingehend auszubilden“, fordert Post. Er rät: Ein stärker zukunftsorientierter Lehrplan wäre im Sinne der Schüler.

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