München – Die Wohnungsknappheit hat in Ballungsräumen wie München immer größere Auswirkungen – und zugleich erlebt die Baubranche einen beispiellosen Einbruch. Vor allem der private Neubau ist fast zum Erliegen gekommen. Steigende Zinsen, teures Baumaterial, kaum bezahlbare Grundstücke. Gründe gibt es viele. Welche Maßnahmen die Bauwirtschaft fordert und was der Freistaat jetzt plant.
Wie viele Wohnungen fehlen eigentlich?
Die Bundesregierung hatte das Ziel von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr ausgegeben. Das Münchner ifo-Institut schätzt jedoch, dass dieses Jahr nur 245 000 davon fertiggestellt werden. 2024 könnten es dann 210 000 sein und 2025 nur noch 175 000, weniger als die Hälfte des Bedarfs. Zum Vergleich: In Bayern wurden 2021 rund 30 900 Wohnungsbauten mit drei und mehr Wohnungen fertiggestellt. Schuld am hohen Bedarf ist die steigende Attraktivität der Metropolregionen, insbesondere Oberbayern und München. „2022 sind rund 222 000 Menschen nach Bayern gekommen“, sagt Hans Meier, Direktor des Verbandes bayerischer Wohnungsunternehmen.
Weshalb wird im Moment kaum gebaut?
Die Preise haben jenes Maß überschritten, das sich viele Menschen leisten können. Hauptgrund sind die stark gestiegenen Kreditkosten: Um die Inflation einzudämmen, hatte die europäische Zentralbank vergangenes Jahr begonnen, den Leitzins deutlich anzuheben. Waren Immobilien jahrelang zu rund einem Prozent finanzierbar, liegen die Baukredite inzwischen bei rund vier Prozent. „So kommen bei der Monatsrate schnell mehrere hundert bis tausend Euro an Mehrkosten zusammen“, erklärt Thomas Reineck, Immobilien-Experte der Stadtsparkasse München. Auf der anderen Seite wurden Fördermittel gekürzt: Das Volumen der Förderbank KfW ist unter zwei Milliarden Euro und die Vorgaben für Energiespar-Förderungen sind seit diesem Jahr noch einmal strenger. Das spüren auch die Bauträger: „Im Moment wird sehr, sehr wenig verkauft“, sagt Andreas Eisele, Präsident des Landesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen. Das hat zwei Ursachen: „Zum einen können sich viele den Kauf nicht mehr leisten – zum anderen spekulieren Investoren auf weiter fallende Preise.“ Für die Bauträger ist das ein Problem: „Ohne Verkäufe fehlt das Geld für neue Projekte. Auch die Banken sind gerade extrem kritisch“, sagt Eisele. Die Konsequenz: „Aktuell werden fast gar keine neuen Projekte begonnen.“ In der Landeshauptstadt gebe es noch einen Sonderfall: „Ein Problem in München sind die 2020 erhöhten Kosten für die Sobon“. Die sogenannte Soziale Bodennutzung ist ein städtisches Instrument, mit dem Investoren an den Kosten für die Integration eines Projekts ins Quartier beteiligt werden. Bauträger-Vertreter Eisele kritisiert, das verteure den Bau privater Wohnungen. Ein aktuelles Beispiel der Krise spielt sich gerade in Ebersberg ab: Dort wollte der Investor Euroboden ein Gelände der Stadt entwickeln – jetzt droht ihm die Insolvenz. In Ebersberg befürchtet man jetzt, dass sich so bald kein neuer Investor finden wird.
Was schlägt die Baubranche vor?
Fragt man Branchenvertreter, heißt es meist: Bürokratieabbau und Subventionen, um die Preise auf ein erschwingliches Maß zu drücken. „Wir müssen wieder das private Geld in den Wohnungsbau bringen – gerade steht es nicht zur Verfügung“, sagt Hans Meier vom Verband der bayerischen Wohnungsbauunternehmen. Dafür nennt Andreas Eisele vom Verband der mittelständischen Immobilienwirtschaft zwei Hebel: „Die erste Säule muss aus langfristig und verlässlich angelegten aktiven Fördermaßnahmen bestehen. Die zweite Säule muss passive Fördermaßnahmen in Form von steuerlichen Anreizen wie dem Aussetzen der Grunderwerbsteuer beim Erwerb des ersten selbst genutzten Wohneigentums beinhalten.“ Vor allem die degressive Abschreibung, sagt Eisele, müsse wieder eingeführt werden. Dadurch können Unternehmen in den ersten Jahren mehr abschreiben – das schafft Liquidität für neue Projekte. Franz Xaver Peteranderl, Präsident des Handwerkskammertags für München und Oberbayern schlägt vor: „Wir müssten temporär wieder Häuser mit einem niedrigeren Energiestandard fördern.“ Grundsätzlich müsse wieder mehr Fördergeld durch die KfW ins System, sagt auch Bertram Brossardt: „Wir brauchen mindestens zehn Milliarden Euro.“ Stefan Kippes, Leiter des Forschungsinstituts des Maklerverbandes IVD Süd, schlägt zudem vor, die Soziale Bodennutzung (Sobon) der Landeshauptstadt München abzuschwächen: „Die Stadt hat die Schraube bei den Bauträgern zu fest gezogen, sie sollte darüber nachdenken, sie wieder zu lockern“, sagt Kippes. Zudem sei die inzwischen abgeschaffte Eigenheimförderung eine gute Idee gewesen.
Was ist mit den Grundstückspreisen?
Wesentlicher Teil des Problems sind die hohen Grundstückspreise. Uwe Brandl, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, sieht hier großes Potenzial: „Wir könnten in Bayern innerhalb kürzester Zeit zehntausende Gebäude errichten – es müssten nur die Regularien verändert werden“, sagte er bereits im Dezember unserer Zeitung. Grund seien brache Flächen in den Ortschaften: „Wir machen jetzt die Erfahrung, dass diese Grundstücke gehalten werden, weil die Eigentümer auf noch höhere Preise hoffen.“ Brandl fordert deshalb, dass der Freistaat Spekulationsflächen besteuert. Zudem sei es nötig, die Bauauflagen zu ändern, um Nachverdichtung zu erleichtern. „Es gibt 1000 Quadratmeter große Grundstücke, auf denen steht ein 160 Quadratmeter großes Gebäude.“ Hans Meier von den Bayerischen Wohnungsunternehmen hat einen weiteren Vorschlag für bezahlbaren Wohnraum: „Kommunen müssen Grundstücke nicht nach dem Höchstpreisprinzip vergeben, sie können auch bewusst Flächen für geförderte Wohnungen ausschreiben.“
Wie kann man den Druck mindern?
Für Marktforscher Stefan Kippes braucht es neben dem Wohnungsbau weitere Maßnahmen: „Die Menschen ziehen nach München, weil es hier Jobs gibt. Gleichzeitig gibt es Dörfer in Bayern, wo der Bürgermeister um den letzten Einwohner kämpft.“ Deshalb brauche es im Freistaat eine bessere Strukturpolitik: „Wenn wir das Land wieder attraktiver machen, nimmt das den Druck von den Ballungsräumen.“ Und auch dort gebe es Spielraum: „Wenn wir im Umland bauen, müssen die Wohngebiete auch ordentlich mit dem ÖPNV angebunden werden, um attraktiv zu sein, sonst bleibt der Druck auf den Ortschaften mit S-Bahn-Anbindung.“ Die Einführung des 15-Minuten-Takts könne helfen.
Was tut der Freistaat?
Das bayerische Bauministerium hat Anfang des Jahres die Fördermittel auf erstmals eine Milliarde Euro aufgestockt. Dazu gehört die Verdopplung des objektabhängigen Darlehens für den Mietwohnungsbau und Aufstockung der Eigenwohnraumförderung von 30 000 auf 50 000 Euro. Zudem gibt es mehr Geld für die drei staatlichen Wohnungsbaugesellschaften – und die Möglichkeit, Grundstücke steuervergünstigt zu erwerben. Geplant ist zudem ein neuer „Gebäudetyp E“, bei dem innovative Bauverfahren erprobt werden. Derzeit laufen Pilotversuche.
Was ist mit gefördertem Wohnraum?
Immobilienforscher Stefan Kippes macht sich für eine Förderung von Genossenschaften stark. Zudem brauche es dringend mehr Werkswohnungen: „Das kommt da an, wo das Feuer lodert, bei den kleinen und mittleren Einkommen.“ Hier seien vor allem die Arbeitgeber gefragt. Diese – vertreten durch Bertram Brossardt – fordern Erleichterungen vom Staat: „Oft greifen Förderangebote oder Abschreibungsbedingungen nicht, das muss besser werden. Auch ist es schwer, Wohnungsbaugenehmigungen auf Betriebsgrundstücken zu erhalten.“ Und es brauche steuerliche Anreize: „Mitarbeiterwohnungen zählen im Erbfall nicht zum Betriebsvermögen, müssten also versteuert werden. Gleichzeitig müssen Nutzer die Differenz zur ortsüblichen Miete als geldwerten Vorteil versteuern. Das ist beides kontraproduktiv.“
Kann bestehender Raum besser genutzt werden?
„Pro Kopf brauchen wir jedes Jahr 0,3 bis 0,4 Quadratmeter mehr Wohnraum“, sagt Kippes. Das hat meist familiäre Gründe: Die Kinder ziehen aus, die Eltern bleiben in der großen Wohnung. Durch den Flächenverbrauch sinkt das verfügbare Angebot am Markt. „Durch die zunehmende Homeoffice-Nutzung – man braucht ja dann ein Büro – dürfte sich dieser Trend verstärken.“ Deshalb gelte es, ungenutzte Gewerbeflächen umzuwidmen. Das fordert auch vbw-Chef Bertram Brossardt: „Ich wüsste gar nicht, was wir sonst mit den ganzen Büroflächen machen sollten.“