Berlin – Sprache entwickelt sich fortlaufend weiter. Aber wo sie sich verändert, kommt es auch immer wieder zu hitzigen Debatten. Heute jährt sich die Einführung einer der wohl umstrittensten Neuregelungen der deutschen Orthografie: Die Rechtschreibreform wird 25. Mit dem Vorhaben sollte das komplizierte Regelwerk der deutschen Rechtschreibung lautorientierter, systematischer und dadurch leichter lernbar gemacht werden. Zehn Jahre beriet eine Expertenkommission, bevor Deutschland, Österreich, die Schweiz, Liechtenstein und die Länder mit deutschsprachiger Minderheit 1996 eine entsprechende Erklärung unterzeichneten.
Die Kritiker argumentierten, die Neuregelung stifte Verwirrung. Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht blieb aber ohne Erfolg. Am 1. August 1998 traten die Regeln in Behörden und Schulen in Kraft. Einiges hat sich damals geändert, manches wurde wieder zurückgenommen. Was sich nach 25 Jahren Reform durchgesetzt hat – und was nicht:
. Dass statt daß, Kuss statt Kuß
Ein prominentes Opfer der Reform war das scharfe „S“ oder Eszett (ß). Aus „daß“ wurde „dass“, aus „Kuß“ der „Kuss“. Seit der Änderung gibt es da eine eindeutige Regel: Auf kurz gesprochene Vokale folgt ein Doppel-„S“ – zum Beispiel auch in „Schloss“ oder „Genuss“. Auf lang gesprochene Vokale oder einen Doppellaut folgt hingegen ein „ß“ – zum Beispiel in „Spaß“ oder „heiß“.
. Schifffahrt, Kontrollleuchte und Balletttänzer
Wenn bei Wortzusammensetzungen drei gleiche Konsonanten aufeinandertrafen, wurden diese nach alter Rechtschreibung nur dann alle geschrieben, wenn darauf ein weiterer Konsonant folgte. War der nächste Buchstabe ein Vokal, blieb es bei doppelten Konsonanten. Es hieß also „Schifffracht“, aber „Schiffahrt“.
Seit der Reform werden nun grundsätzlich immer alle drei Konsonanten geschrieben. Es heißt also „Schifffahrt“, „Kontrollleuchte“ und „Balletttänzer“. Wird die Zusammensetzung schwer lesbar, darf man dem Duden zufolge auch einen Bindestrich zu Hilfe nehmen. Aus „Metalllegierung“ wird dann etwa „Metall-Legierung“.
. Ketschup, Majonäse und Schikoree
Mit neuen „eingedeutschten“ Schreibweisen sollten Fremdwörter in die deutsche Sprache integriert werden. Von den alternativen Varianten konnten sich über die Jahre manche mehr und manche weniger durchsetzen. Das „ph“ in aus dem Griechischen stammenden Wortteilen wird allgemein immer häufiger durch die damals eingeführte Schreibweise mit „f“ ersetzt. Dann schreibt man etwa „Geografie“ statt „Geographie“ und „Saxofon“ statt „Saxophon“. Richtig sind beide Varianten.
Es gab aber auch neue Schreibweisen, die sich im Gebrauch nicht durchsetzen konnten. Viele wurden vom Rat für deutsche Rechtschreibung deswegen wieder zurückgezogen. So wird „Schikoree“ seit 2011 wieder ausschließlich „Chicorée“ geschrieben, „Grislibär“ ist wieder der „Grizzlybär“, und die ebenfalls gefloppten Schreibweisen „Ketschup“ und „Majonäse“ veschwanden 2016 aus dem Wörterverzeichnis des Rates. Der Rat beobachtet die Entwicklung des Sprachgebrauchs und aktualisiert auf dieser Grundlage das amtliche Regelwerk.
. Zusammen oder getrennt?
Auch bei der Getrennt- und Zusammenschreibung gab es Vereinheitlichungen. Grundsätzlich getrennt werden seit der Reform Verbindungen von zwei Verben („spazieren gehen“ statt dem ehemaligen „spazierengehen“), Verbindungen von Nomen und Verben („Rad fahren“ statt „radfahren“) und Verbindungen mit dem Verb „sein“ („dabei sein“ statt „dabeisein“).
Seit der Reform zusammengeschrieben wird hingegen „irgendjemand“ und „irgendetwas“. Wahlfreiheiten gibt es etwa bei „sodass“ (auch: „so dass“), „aufgrund“ (auch: „auf Grund“) und „mithilfe“ (auch: „mit Hilfe“). Die 1998 eingeführten Getrenntschreibungen von „Eis laufen“ und „Kopf stehen“ wurden aber 2006 zugunsten der früheren Zusammenschreibungen „eislaufen“ und „kopfstehen“ wieder aufgehoben.
. Groß oder klein?
Einige Wörter, die früher kleingeschrieben wurden, zeigen sich heute mit großen Anfangsbuchstaben – und andersherum. Aus „heute mittag“ wurde „heute Mittag“, aus Paarformeln wie „arm und reich“ oder „jung und alt“ wurde „Arm und Reich“ und „Jung und Alt“. Das „Grimmsche Märchen“ wurde das „grimmsche Märchen“ (darf aber mittlerweile auch mit Apostroph „Grimm’sches Märchen“ heißen) und die Anredepronomen „du“ und „ihr“ dürfen in Briefen – anders als das formelle „Sie“ – ebenfalls kleingeschrieben werden.
Positives Fazit von Duden und Rechtschreibrat
Nach Beobachtungen des Rates für deutsche Rechtschreibung sei die Reform inzwischen „vollständig angekommen“, wie Geschäftsführerin Sabine Krome sagt. „Manche Lesende und Schreibende wissen überhaupt nicht mehr, wie nach alter Rechtschreibung geschrieben wurde. Dass manche Menschen nicht danach schreiben und immer noch von ,der neuen‘ Rechtschreibung sprechen, ist wohl eher ein Generationenproblem.“ Vor allem die neuen Regeln zur Groß- und Kleinschreibung, zur Bindestrich-Schreibung und zur Worttrennung hätten sich gut durchgesetzt.
Umstritten waren lange Zeit die Getrennt- und Zusammenschreibung sowie die Fremdwortschreibung. „An den ursprünglichen Regelungen zu diesen Bereichen wäre die Reform schon vor 1996, aber auch danach, fast noch gescheitert“, sagt Krome. Mit der vollständigen Neuerarbeitung und Aktualisierung des Amtlichen Wörterverzeichnisses 2023 und den Anpassungen des Regelwerks sei aber in diesen Bereichen eine grundsätzliche Klärung erzielt worden.
Auch die Dudenredaktion wertet die Reform als Erfolg. „Inzwischen ist die öffentliche Diskussion dazu verebbt, andere Sprachthemen sind – wieder – in den Fokus gerückt“, sagt Leiterin Kathrin Kunkel-Razum. Im Zusammenhang mit der Debatte ums Gendern würden immer wieder Parallelen zur Rechtschreibreform gezogen.