„Dann bekommt man einfach keinen Termin mehr“

von Redaktion

INTERVIEW Verbandschefs warnen vor einem eklatanten Mangel an Ärzten und Zahnärzten auf dem Land

München – Gerade auf dem Land wird es oft immer schwieriger, Nachfolger zu finden, wenn Arzt- oder Zahnarztpraxen schließen. Für viele Patienten bedeutet das auch in Bayern längere Warte- oder Fahrtzeiten. Doch was sind die Gründe, und wohin führt das? Unsere Zeitung hat die Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), Christian Pfeiffer, und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns (KZVB), Rüdiger Schott, gefragt.

Herr Pfeiffer, wie gut ist die ärztliche Versorgung in Bayern?

Pfeiffer: Derzeit in vielen Regionen noch gut. Aber das könnte sich in den kommenden Jahren deutlich ändern.

Schott: Ich glaube, der große Einschnitt kommt in fünf bis sieben Jahren. Dann bekommen Sie als Patient irgendwann vielleicht einfach keinen Termin beim Arzt oder Zahnarzt mehr.

Pfeiffer: Die demografische Entwicklung macht auch vor den Ärzten nicht Halt. Viele Kolleginnen und Kollegen scheiden demnächst aus. Und das sind oft Leute, die man in gewisser Weise als Workaholics bezeichnen könnte.

Wie meinen Sie das?

Pfeiffer: Lange Arbeitstage, rund um die Uhr erreichbar. Das ist ein Lebensstil, den viele junge Kollegen so nicht mehr wollen. Dazu kommt: 70 Prozent der Medizinstudenten sind heute Frauen. Schott: In der Zahnmedizin gibt es Erstsemester-Jahrgänge, in denen fast kein einziger männlicher Student mehr sitzt. Das liegt auch einfach daran, dass Frauen bessere Abiturnoten haben. Pfeiffer: Erstmals ist seit Kurzem auch die Mehrheit der niedergelassenen Ärzte weiblich. Das ist an sich ja nichts Schlechtes. Aber weil Frauen aus familiären Gründen öfter in Teilzeit arbeiten, trägt auch das dazu bei, dass wir gerade auf dem Land für jeden, der aufhört, im Prinzip zwei junge Kolleginnen und Kollegen bräuchten, um sie zu ersetzen.

Warum sind auf dem Land frei werdende Praxen so schwer nachzubesetzen?

Pfeiffer: Zum einen erleben wir den Trend, dass es die Menschen eher in die Städte zieht. Man muss das Landleben also erst mal grundsätzlich mögen. Zum anderen sind auf dem Land eben oft auch deutlich mehr Patienten pro Praxis zu betreuen.

Die Arbeitsbelastung ist also größer?

Pfeiffer: Ja. Wobei ich selbst Landarzt bin und finde, dass sich das mit den neuen Regeln für den Bereitschaftsdienst positiv geändert hat. Früher war ich verpflichtet, in der Nähe der Praxis zu wohnen und war drei Mal die Woche auch nachts für meine Patienten zuständig. Das gibt es nicht mehr. Wenn ich möchte, habe ich um 18 Uhr Feierabend und nachts und am Wochenende frei.

Wie ist die Lage bei den Zahnärzten, Herr Schott?

Schott: Das Demografie-Problem ist ähnlich. In den nächsten fünf Jahren wird ein Viertel der Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand gehen. Hinzu kommt, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Mittel für die zahnmedizinische Versorgung gesetzlich begrenzt hat. Das wird auch bei uns im ländlichen Bereich zu Versorgungsengpässen führen, weil es junge Zahnärzte in die Stadt zieht und eine Anstellung oft attraktiver erscheint als eine eigene Praxis. Geregelte Arbeitszeiten, Urlaubsanspruch, kein finanzielles Risiko, und auch der Bürokratie-Wahnsinn, dem man mit eigener Praxis ausgesetzt ist, fällt weg. Das finden viele gut.

Zu Unrecht?

Schott: Ich glaube, viele junge Kollegen verkennen tatsächlich die Vorzüge einer Praxis auf dem Land. Die Arzt-Patienten-Bindung ist nicht nur besser, die Zahnärzte erfahren auf dem Land auch oft mehr Wertschätzung – sogar regelrechte Dankbarkeit. Zahlungsausfälle sind seltener, das Leben ist günstiger.

Bleibt noch die Arbeit, die die eigene Praxis macht …

Schott: Ich muss ehrlich sagen: Ich kann das Wort „Work-Life-Balance“ nicht mehr hören. Da wird sich teilweise darüber unterhalten, ob man noch 25 Stunden in der Woche arbeiten kann. Wir sehen da natürlich auch eine Generation der Erben, die sich das teilweise erlauben kann, weil es ihr finanziell sehr gut geht. Das Gefühl, viel arbeiten zu müssen, ist da oft nicht mehr da.

Ist das ein Appell an den Berufsnachwuchs?

Schott: Genau das ist es. Man muss mit einer eigenen Praxis zwar heute unternehmerischer denken als früher. Aber dafür ist man auch sein eigener Herr und kann eigene Entscheidungen treffen. Und wer vernünftig wirtschaftet, hat mit der eigenen Praxis, trotz aller nötigen Kritik an schädlichen politischen Eingriffen in die Vergütung, noch immer ein auskömmliches Einkommen.

Gleichzeitig lassen sich gesellschaftliche Veränderungen nicht zurückdrehen. Was ist jetzt nötig?

Pfeiffer: Die Politik muss vor allem dafür sorgen, dass es mehr Studienplätze für Medizin und Zahnmedizin gibt, und künftige Ärztinnen und Ärzte während des Studiums auch noch stärker mit der Arbeit in Praxen auf dem Land in Kontakt kommen. Gleichzeitig müssen wir den Trend von der Einzelpraxis zu größeren Behandlungseinheiten anerkennen, denn er ist kaum aufzuhalten und hat ja auch Vorteile: Man kann sich besser absprechen, Urlaubsvertretungen besser organisieren, Fortbildungen sinnvoller durchführen. Das müssen wir als zuständige Körperschaften unterstützen. Aber auch die Politik und die Krankenkassen müssen uns dabei helfen, indem sie an neuen Ideen mitarbeiten, die den Gedanken der Teamarbeit in der Gesundheitsversorgung unterstützen.

Schott: Die überbordende Bürokratie, die vielen jungen Kollegen Angst macht, habe ich ja angesprochen. Zudem beschränkt sich das Personalproblem nicht auf die Ärzte und Zahnärzte. Im Landkreis Freising hatten wir kürzlich den Fall, dass ein junger Kollege eine etablierte Zahnarztpraxis übernommen hat und innerhalb kürzester Zeit schließen musste, weil er kein Personal mehr hatte. Auch andere Kollegen müssen den Behandlungsumfang runterfahren, weil sie keine zahnmedizinischen Fachangestellten finden. Im fränkischen Coburg wurden zuletzt sogar Angestellte einer Praxis in ihrer Mittagspause von Headhuntern angesprochen, ob sie nicht bereit wären, zu einem anderen Arbeitgeber zu wechseln.

Pfeiffer: Wahnsinn. Gleichzeitig werden die Leistungen, die von diesen Menschen erbracht werden, von der Politik zu wenig anerkannt. Wir haben in der Pandemie geimpft wie die Weltmeister und uns alle täglich der Infektionsgefahr ausgesetzt. Aber während die Mitarbeiter in den Krankenhäusern einen staatlichen Corona-Bonus erhalten haben, sind medizinische Fachangestellte in den Praxen leer ausgegangen. Das hat für großen Frust gesorgt.

Interview: Sebastian Horsch

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