Schongau – Bis vor zehn Monaten war er – wie die allermeisten anderen Arbeitnehmer auch – freitags am Arbeitsplatz zu finden. Jetzt kann es passieren, dass Bekannte und Freunde Rainer Heck freitags in der Stadt treffen. Oder in seinem Garten. Wenn Heck endlich dazu kommt, Dinge am Haus zu erledigen, die sonst unter der Woche liegen bleiben. „Du musst nicht arbeiten?“, lautet noch oft die erstaunte Frage, die er dann hört. Ja, Rainer Heck hat freitags frei und darf drei Tage Wochenende genießen.
Heck arbeitet seit 30 Jahren im Verkauf bei der Schongauer Firma „Osenstätter Holz & Furnier“. Von Montag bis Freitag, also ganz normal. Im September 2022 wurde der Freitag für ihn zum Feiertag. Das Holzwerk im Landkreis Weilheim-Schongau führte die Vier-Tage-Woche ein. „Das funktioniert und das kommt wirklich gut an“, betont Heck im Namen der gesamten Belegschaft.
Die 45 Mitarbeiter bei Osenstätter arbeiten jetzt nur noch von Montag bis Donnerstag. Dafür an diesen Tagen etwas mehr. Los geht es jeden Morgen um sieben, Feierabend ist um 17.15 Uhr. Dazwischen liegen 45 Minuten Mittagspause. Die Beschäftigten kommen so auf 38 Stunden Arbeitszeit in der Woche – dreieinhalb Stunden weniger als früher. Der Lohn hat sich nicht verändert. Für das Team bedeutet das: mehr Freizeit bei gleichen Bezügen. „Das ist mehr wert als jede Gehaltserhöhung“, betont Nico Osenstätter, der junge Firmenchef. „Für die Mitarbeiter ist das noch mal eine richtige Motivation.“
Eines stellt Osenstätter gleich klar: Die Produktion auf sein neues Arbeitszeitmodell umzustellen, habe Eingewöhnung gebraucht. Und die Aufträge in der nun kürzeren Arbeitswoche abzuwickeln, brauche eine gute Planung. Fertige Möbel und Holzböden, aber auch Rohlinge für Fußböden, Fensterkanten, Türelemente, Treppenstufen oder Möbelteile sowie Rohprodukte für Schreiner – Schnittholz und Messerfurniere – bietet die Firma an. Die Kunden sitzen in ganz Europa und zum Teil auch in den USA und Kanada. Die Abläufe, vom Ankauf der Materialien über die Produktion bis hin zur Auslieferung, müssen genau getaktet sein. Wenn eine Lieferung etwa nach Übersee geht, muss sie pünktlich fertig werden, damit sie den Flieger erwischt. „Da kann ich nicht für 30 000 Euro einen neuen Flieger buchen“, sagt Osenstätter.
Der 32 Jahre junge Firmenchef verbringt jetzt deutlich mehr Zeit am Schreibtisch. Doch er ist zufrieden: Bei der Produktion verzeichnet er kaum Einbußen. „Das Team hängt sich richtig rein“. Und trotz der halben Stunde, die sie nun montags bis donnerstags länger arbeiten, empfinden die Angestellten keinen Stress. Die Freude über den freien Freitag überwiegt.
„Klar muss man Vollgas geben“, unterstreicht Rochus Lang, der in der Produktion arbeitet. „Der Arbeitstag ist immer vollgepackt.“ Und die Woche vergeht schnell. „Ich stehe oft am Dienstagabend da und denke mir: Wahnsinn, die halbe Woche ist ja schon rum.“ Auf der anderen Seite sei es ein schönes Gefühl, mehr Zeit für die Familie zu haben, am Freitag einen Ausflug machen zu können, während die meisten anderen erst am Samstag unterwegs sind. Das ganze Team hänge sich dafür gerne rein, betont Lang. Emsig werden auf dem Betriebsgelände Baumstämme zersägt, Furniere gepresst oder fertige Dielen gestapelt. „Wir haben früher natürlich auch nicht Däumchen gedreht“, sagt Rainer Heck. Aber seit der Einführung der Vier-Tage-Woche gelte es umso mehr, Prioritäten zu setzen. „Wir müssen uns dann eben erst um den Auftrag kümmern, der am nächsten Tag fertig werden muss.“
Das musste sich einspielen. Auch Kunden und Lieferanten mussten erst mal verinnerlichen, dass freitags bei Osenstätter niemand mehr erreichbar ist und sich die Vorlaufzeiten bei Aufträgen erhöhen. Die Partner hätten sich aber schnell umgewöhnt, sagt Heck. Und da in der Firma alle an einem Strang zögen, klappe die Abwicklung der Aufträge auch gut. Trotzdem bleibt man pragmatisch. Dass die Mitarbeiter doch mal freitags ran müssen, um etwas fertig zu machen, komme vor, sagt Firmenchef Nico Osenstätter. Aber äußerst selten. „Solche Situationen kann man an einer Hand abzählen.“
Die Entscheidung, die Vier-Tage-Woche einzuführen, hat Osenstätter, selbst gelernter Holztechniker und staatlich geprüfter Betriebswirt, genau durchdacht. Die Idee hat er mit seinen Mitarbeitern und auch mit seinen Eltern, von denen der 32-Jährige das Familienunternehmen übernommen hat, intensiv besprochen. Auch mit Kollegen aus der Holzbranche kam er ins Gespräch. Da sei ihm viel Skepsis entgegengeschlagen. „Einige haben gesagt: Vier-Tage-Woche – das kannst du doch nicht machen!“, erzählt Osenstätter. „Aber ich gebe eigentlich nicht allzu viel auf andere Meinungen.“ Sein Credo: Man muss neue Wege gehen, um sich zu verbessern, sich weiter zu entwickeln. In der Holzbranche, in der die Strukturen „zum Teil schon veraltet sind“, wie Osenstätter sagt, eine nicht alltägliche Philosophie. Er will aber auch niemanden missionieren. „Ich denke mir: Andere Unternehmen haben ihre Sichtweise – und ich hab meine.“
Für den Schongauer Holzgroßhändler ist die Vier-Tage-Woche ein voller Erfolg. Das Konzept macht das Unternehmen für potenzielle neue Mitarbeiter noch mal attraktiver. Denn auch Nico Osenstätter sucht Fachkräfte. Derzeit werden etwa Mitarbeiter im Verkauf, der Produktion, im Marketing oder in der Verwaltung gesucht. „In Vollzeit (4-Tage-Woche)“ steht in den Stellenausschreibungen auf der Internetseite.
„Generell bekommen wir viele Bewerbungen“, sagt Nico Osenstätter. „Aber auch unabhängig von der Vier-Tage-Woche.“ Diese sollte nicht das Hauptargument für eine Bewerbung sein. „Wer nur wegen der Vier-Tage-Woche kommt, den brauche ich nicht. Der entwickelt keine Loyalität zum Unternehmen“, betont er. Das neue Arbeitszeitmodell habe er für seine Bestandsmitarbeiter eingeführt. Um ihren Bedürfnissen gerecht zu werden.