München – Männer drängen sich auf den Ladeflächen ihrer Pick-ups. Kämpferisch strecken sie ihre Fäuste und Maschinengewehre in die Luft. Die Taliban feiern. Ihre Anhänger ziehen durch die Straßen und schwenken weiß-schwarze Taliban-Flaggen. Zwei Jahre ist es her, dass die radikalislamischen Taliban wieder die Macht in Afghanistan an sich rissen und ein „Islamisches Emirat“ ausriefen. Der 15. August ist von den Taliban zu einem nationalen Feiertag erklärt worden. Doch zu feiern gibt es für die afghanische Bevölkerung so gut wie nichts.
Die humanitäre und wirtschaftliche Lage in dem Land ist katastrophal. Von den rund 37 Millionen Menschen sind nach Informationen von Hilfsorganisationen 17 Millionen Menschen von Hunger bedroht, 29 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. In einer Umfrage der Hilfsorganisation „Save the Children“ geben drei Viertel der Mädchen und Jungen an, weniger zu essen zu haben als noch vor einem Jahr. Frauenrechte werden massiv beschnitten, Mädchen und Frauen wird der Zugang zu Bildung und Arbeit verwehrt. So haben etwa über 80 Prozent der afghanischen Journalistinnen ihre Arbeit eingestellt. In die Öffentlichkeit dürfen Frauen nur noch verhüllt.
Niemand hat bisher die Taliban-Machthaber als formale Regierung anerkannt. Sie sind international isoliert. Die internationale Gemeinschaft versucht einen fast unmöglichen Spagat zwischen Sanktionierung der Machthaber und Hilfen für die notleidende Bevölkerung. Es werde „keine normalen Beziehungen geben, solange die Taliban weiter die Hälfte der Gesellschaft vom Arbeitsleben und gesellschaftlicher Teilhabe ausschließen“, erklärte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Die USA bemühen sich derweil um einen pragmatischen Umgang mit den radikalislamischen Herrschern.
Mit fast 20 Jahren hatte die Bundeswehr in Afghanistan ihren bislang längsten Auslandseinsatz. Bisher sind über Evakuierungsflüge und Aufnahmeprogramme 30 300 Afghanen nach Deutschland eingereist. Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge befanden sich darunter über 4100 ehemalige Ortskräfte und 19 300 Familienangehörige. Zudem wurden rund 11 000 besonders gefährdete Afghanen und deren Familien aufgenommen.
Doch das ehrenamtliche Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte zeigt sich weiter besorgt. Noch immer schweben demnach viele Menschen, die mit deutschen Stellen zusammengearbeitet haben, in großer Gefahr. Der Krieg ist vorbei, aber noch längst nicht das Leid. hud