München – Der Raum ist kühl. Weißer Qualm steigt empor. Es riecht verbrannt. Inmitten des Zimmers unter einer flauschigen Decke liegt Stefan Brieller. Sein Kopf ist mit einem royalblauen Stoff bedeckt. Zu sehen ist nur sein geschlossenes Auge, das aus einem Loch in dem Stoff hervorblitzt. Und das, was da gerade qualmt, ist seine Haut und das Fleisch darunter.
Zwei Tage vorher sitzt Stefan Brieller (55) in dem kleinen Besprechungszimmer des OP- und Laserzentrums der Dermatologie am Dom. Er ist extra aus Landshut nach München gekommen. Brieller arbeitet als Marketing-Manager. Die 35 Jahre Fitness-Sport sieht man seiner Statur an. Wenn Brieller lacht, lacht sein ganzes Gesicht mit. Seine Augenpartie kräuselt sich, von dort aus bahnen sich Lachfalten wie ein zarter Fächer die Wange und Schläfe entlang. Das soll sich nun ändern.
Dr. Hans-Ulrich Voigt (60), unter anderem Facharzt für Dermatologie, steht vor Brieller. Die gleichmäßige Bräune, das blonde, akkurat zurückgekämmte Haar zeigen: Der Arzt legt Wert auf sein Äußeres. Jetzt sollen Briellers „übermäßige Falten an der Seite“ geglättet werden, sagt Voigt und deutet auf seine Schläfen und Wangen. Anschließenden sollen seine Lider gestrafft und Hautunebenheiten weggelasert werden.
Vor zehn, 15 Jahren hätte Stefan Brieller bei Schönheitseingriffen noch verhaltener reagiert, erzählt er. Heute verspricht er sich von seiner anstehenden Lid-OP „mehr Vitalität“. Eine Maßnahme, „um das Aussehen meiner Augen etwas zu verbessern und zu verjüngen“, sagt er. „Je älter ich wurde, desto schlaffer wurden meine Augenlider – so habe ich müde und erschöpft gewirkt.“ Brieller, ein kerniger Bayer, ist keiner, mit dem man im ersten Moment eine Schönheits-OP in Verbindung bringen würde. Ein Geheimnis macht er aus seinem Eingriff aber nicht.
Längst sind auch Männer auf den Zug der Schönheits-OPs aufgesprungen (siehe Grafik). Mittlerweile zählt Voigt 25 bis 30 Prozent männliche Patienten. Auslöser sei die mediale Welt, aber auch ein „gewisser gesellschaftlicher Druck in der Arbeitswelt“, erklärt Voigt. So kommen Männer (im Schnitt zehn Jahre älter als Frauen) dann zu ihm, „wenn sie berufliche Nachteile befürchten“, sagt er. Schönheit praktisch als berufliches Erfolgsrezept.
Voigt lehnt sich gelassen zurück in seinen Schreibtischstuhl. Auf der Nase trägt er eine Brille mit durchsichtigen Rändern, auf der ein Vergrößerungsglas angebracht ist – eine Lupenbrille. Während er über Schönheitstrends (alles, was gesund aussieht), seine Arbeit (bereits 4500 Lid-OPs durchgeführt) und dessen Anfänge (seit 1998) erzählt, zieht Voigt eine Spritze mit Botox auf. Für Voigt Alltag, für Brieller das allererste Mal.
Inzwischen liegt Brieller auf einer Liege. Voigt ist dicht über ihn gebeugt. Erst böse, dann wütend soll Brieller schauen. „Jetzt lach’ mal bitte“, sagt Voigt, der seinen Patienten duzt. Rund zehn Mal pikst er in Briellers Gesicht und spritzt das durchsichtige Botox ein. Mit seinen großen Händen presst Brieller fest ein Kühlpack auf sein Gesicht. Langsam hebt und senkt sich sein graues Poloshirt im Rhythmus seiner Atmung. Rote Einstichpünktchen zieren sein Gesicht. Die Lid-OP steht übermorgen an. Ob er nervös ist? „Schon bissl.“ Schließlich sei alles um das Auge herum ja „doch ein sensibler Bereich“.
Zweit Tage später: Noch rund eine Stunde bis zur OP – Brieller greift sich im Wartebereich an die Stirn und zieht die Haut nach oben. „Es wird heller, leichter“, sagt er, als müsste er sich noch einmal vergewissern, warum er diesen Schritt geht. Schließlich hat er sich recht spontan entschieden. Gründlich liest er die Patienteninformation. Er entscheidet sich gegen einen Dämmerschlaf und wird die ganze Zeit ansprechbar sein.
Die Geräte im OP-Raum haben allerlei Kabel und Schläuche. Brieller ist oberkörperfrei und trägt ein OP-grünes Häubchen auf dem Kopf. Konzentriert blickt Voigt durch seine Lupenbrille. Ruhig und akribisch zieht er schwarze Striche auf Briellers Augenlid – mit einem einfachen Stabilo-Filzstift. Er betreibe „viel Aufwand fürs Einzeichnen, denn das ist die halbe Miete“, erklärt Voigt. „Es muss absolut symmetrisch sein.“ Erst dann ist Voigt zufrieden.
OP-Besteck und Wattebäusche liegen bereit. Erst Tropfen, dann Salbe werden ins Auge geträufelt. Ehe Voigt mit einer Spritze eine betäubende und blutstillende Flüssigkeit injiziert. Kurz schwillt Briellers Lid durch die Flüssigkeit an wie ein Kugelfisch in Gefahr. Elektropop tönt aus Lautsprechern. Eine Metall-Klemme zieht das Lid straff, damit Voigt mit einem Skalpell die Laserlinien vorschneiden kann. Blut quillt. Kein Zucken, kein Mucks unter dem blauen Tücher- und Deckenberg.
Stefan Brieller liegt mit seinem Kopf praktisch im Schoß von Voigt. Als würde er zeichnen, hält der Arzt das Lasergerät. Der rote Laserpunkt tanzt über das Lid und brennt sich seinen Weg. Rauch steigt auf und wird schnell von einem Schlauch eingesaugt. Bis Voigt mit einer Pinzette den wellenförmigen Hautausschnitt von dem darunterliegenden Fleisch abzieht, langsam wie einen Aufkleber. Übrig bleibt eine klaffende Wunde.
Um die Blutung zu stillen, wird das Fleisch mit einem Elektrokauter erhitzt. Die schrillen Geräusche erinnern an einen Zahnarztbesuch, der Geruch an eine Grillfeier. „Wir kommen gut voran“, sagt Voigt. Ein letztes Mal setzt er den Laser an und trennt aus dem offenen Fleisch kleinere gelbe Bällchen heraus – Fettgewebspölsterchen. Fertig ist das erste Oberlid. Dieselbe Prozedur folgt auf der linken Seite. Bis beide Lid-Stücke wie zwei Fremdkörper in kleinen Schälchen liegen.
Rund 40 Minuten nach dem ersten Schnitt näht Voigt mit einem kaum sichtbaren Faden und einer Pinzette beide offenen Stellen zu. Miniknötchen schließen die Wunden. Die 2500 Euro für die Oberlider zahlt Brieller aus eigener Tasche. Ebenso wie die anschließende OP an den Unterlidern (2500 Euro) und die Botox- und Laserbehandlung.
Eine Woche später kommt Stefan Brieller in Voigts schicke Praxisräume an seinem zweiten Standort – direkt neben dem Nobelhotel Bayerischer Hof. Er freut sich, bald wieder „gesellschaftsfähig zu sein und vitaler auszusehen“. In den letzten Tagen habe sein Gesicht unterschiedlichste Blautöne angenommen. „Die ersten Tage ist man schon deutlich eingeschränkt“, erzählt Brieller. „So eine Augenlid-OP wird doch schon als sehr heftiger Eingriff gesehen – so etwas macht man ja nicht jeden Tag.“ Heftpflaster an den Ober- und Unterlidern lassen die Tortur erahnen.
Die Pflaster kommen weg, Brieller begutachtet in einem Handspiegel seine neue Augenpartie neugierig von allen Seiten. Seine Lider sind deutlicher sichtbarer, aber auch die roten wellenförmigen Narben der Naht. Vorsichtig zieht die Ärztin die Fäden aus seinen neuen Lidern. Er zuckt. Bis alles verheilt und das Ergebnis endgültig sichtbar ist, wird es noch dauern. Brieller hat aber schon jetzt ein „gutes und vielversprechendes“ Gefühl.