Friesach – Wer Martin Linder und seiner Stute Flora folgt, begibt sich immer tiefer in eine andere Welt. Am Fuß eines Berghügels im Norden Kärntens hievt Linder Marmorblöcke in den hölzernen Wagen. „Hüa“. Das Kaltblut setzt sich in Gang, es zieht seine Last über eine Lichtung mit offenen schindelgedeckten Werkstätten, vor denen Handwerker in Leinentuniken schuften, vorbei am schnaufenden Blasebalg einer Schmiede und an der Axt des Zimmermeisters, die mit präzisen Schlägen auf einen Lärchenstamm niedergeht. Das schwerste Stück haben Linder und Flora noch vor sich. Denn nun führt ihr Weg über einen Serpentinenpfad steil den Hügel hinauf.
Immer wieder legt Linder Pausen ein, um das Tier nicht zu überanstrengen. Und dann, am Gipfel, ragt er empor, der gewaltige Turm der Burg Siegfriedstein. Er ist noch unvollendet, aus dem Mauerwerk stehen Kragbalken wie Stacheln hervor. Hier entladen Männer den Pferdewagen. Ein hölzerner Kran hievt die Steinblöcke 15 Meter den Turm hinauf, zwei Arbeiter plagen sich an der Seilwinde, Schweiß rinnt an ihnen herab, ein dritter nimmt die Blöcke auf der Spitze in Empfang. Nun kann weiter gemauert werden – und der Turm höher in den Kärntner Himmel wachsen. Gerald Krenn, der Burgbauherr, ist zufrieden. „Wir kommen voran“, sagt er.
Der Turmbau geht in eine heiße Phase. Außen am Turm muss in luftiger Höhe ein Wehrgang errichtet werden. Denn: Der Hang gegenüber bietet eine offene Flanke. „Ein Angriff auf die Burg würde von dort kommen“, erklärt Krenn. Vom Wehrgang aus könnten Bogenschützen einen Pfeilhagel auf die Feinde regnen lassen. Gedanken, die sich jeder Bauherr im 13. Jahrhundert gemacht hätte – wenn er, wie Krenn, eine Burganlage plante, samt Wohnturm, Ringmauer, Palas und Kapelle. Doch wir schreiben nicht das 13. Jahrhundert. Krenn und seine 19 Mitarbeiter bauen im Hier und Jetzt – jedoch allein mit den Methoden des Mittelalters: ohne Bagger, Betonmischer, Bohrmaschine. Nur mit der Kraft ihrer Hände.
Warum macht man so etwas? Krenns Antwort darauf ist vielschichtig. Natürlich ist der Burgbau ein Tourismusprojekt, die Kleinstadt Friesach ist Eigentümerin. An die 20 000 Besucher pilgern jedes Jahr hierher, um hautnah zu erleben, wie im Mittelalter gebaut wurde. Krenn lacht. „Sie sollen den Schweiß riechen.“ Doch dem 55-Jährigen, der Geschichte studiert hat, geht es um mehr. „Wir wollen altes Wissen neu entdecken. Vergessene Handwerkstechniken neu beleben.“
Einen gemütlichen Job an der Uni Klagenfurt tauschte er 2012 gegen die Burgbaustelle. Seither ist Krenn vor Ort, egal ob Hitze, Dauerregen oder Hagelsturm. Mit einem eingeschworenen Team. „Für so ein Projekt“, sagt er, „musst du brennen!“ Wie er das meint, versteht jeder, der die Mannschaft kennenlernt. Herbert Schaflechner etwa, den Chef der Burgschmiede. Jeder einzelne Nagel für den Bau wird hier von Hand geschmiedet, an die 40 000 seit Baubeginn im Jahr 2009. Auch die Äxte, Schaufeln und Maurerkellen kommen aus Schaflechners Esse. Er liebt diesen Job. „So eine Chance bekommst du nie wieder“, sagt er. „Als Schmied lebst du für das Handwerk.“ Oder Michael Preißer, der Steinmetz, der schon mehr als 7000 Steine für den Burgturm „rausgeklopft“ hat, wie er sagt. Und der an einem einzelnen prächtigen Koppelfenster zwei Monate akribisch arbeitet. „Es ist immer noch aufregend, jeder Stein eine Geschichte für sich“, sagt er. „Ein modernes Stahlbetongebäude hält vielleicht 130 Jahre. Was ich hier mache, überdauert Jahrhunderte.“
Ohne Hingabe, ohne Aufopferung wäre so ein Projekt unmöglich, sagt Krenn. „Man wird so oft zurückgeworfen.“ 2016 zerstörte ein Unwetter viele der liebevoll errichteten Werkstätten, selbst der Hartgesottenste im Team war den Tränen nahe. Das aktuelle Hochwasser hat seine Burg zum Glück verschont.
Nicht nur der Natur müssen die Burgbauer trotzen, auch menschlichen Anfeindungen. „Als Spinner, Fantasten und Nichtstuer sind wir anfangs verlacht worden“, erzählt Krenn. Gleichzeitig kam Kritik von nörgelnden Mittelalter-Fans. „Die kommen in ihren Lederpatscherln her und bemängeln, dass wir Schutzbrillen tragen – weil’s nicht mittelalterlich ist.“ Doch bei der Arbeitssicherheit höre der Spaß auf, sagt Krenn.
Das Team biss sich durch – mit Entschlossenheit und Einfallsreichtum. „Wir mussten so vieles erst rausfinden.“ Wie genau wurde im Mittelalter Kalk gebrannt, wie Mörtel gemischt? „Es gibt kein Handbuch für Burgbau“, sagt Krenn. Historiker unterstützen das Projekt, recherchieren in alten Burgen, beraten, zeichnen Skizzen. Doch als es darum ging, einen schwenkbaren 13-Meter-Holzkran von Hand zu bauen – da warfen die Historiker das Handtuch. „Niemand konnte uns sagen wie man das macht“, erzählt Zimmermeister Stefan Wenzl. „Wir sind selbst draufgekommen.“ Glücksmomente nach Monaten des Tüftelns.
Es ist die Freude am unbekannten Terrain, die die Burgbauer antreibt. „Heute ist man gewohnt, in vorgefertigten Bahnen zu arbeiten“, sagt Krenn. „Das geht bei uns nicht.“ Statt Tempo und Ertragsmaximierung zähle Umsicht und ein wacher Geist. Und so ist der Burgbau auch eine Utopie, ein Gegenentwurf zur Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts: bewusster, entschleunigter, nachhaltiger und ohne die weit verbreitete Entfremdung zwischen dem Menschen und seiner Aufgabe. „Auch das“, sagt Krenn, „wollen wir hier vermitteln“.
Für Krenn ist die Burg zur Lebensaufgabe geworden. Sommerurlaub? Kennt er nicht. Doch so sehr er sich reinhängt: Bis zu seiner Rente wird die Burg nicht fertig. „Das Projekt ist generationenübergreifend.“ Wenn Turm und Mauer errichtet sind und die Anlage beginnt, sich auszuweiten, dann könne er zufrieden in den Ruhestand gehen, sagt Krenn. „Dann geb’ ich mein Wissen weiter an die, die nachfolgen.“ Nicht schriftlich, sondern mündlich – wie es im Mittelalter Brauch war.
Burgbaustelle Friesach
Sankt Veiter Straße 30, 9360 Friesach, Kärnten. Alle Infos zu Öffnungszeiten, Eintrittspreisen und Unterkünften unter www.burgbau.at