München – Markus Söder hatte sich fest vorgenommen, aus der Schlappe einen Erfolg zu machen. Die absolute Mehrheit war nach der letzten Wahl futsch, aber als er Anfang November 2018 mit Hubert Aiwanger vor die Kameras trat, behauptete er: „Ich freue mich sehr.“ Dies sei eine „Bayern-Koalition“, man habe „gemeinsame Werte, gemeinsame Überzeugungen und trotzdem unterschiedliche Positionen“. Söder hatte auch mit den Grünen sondiert. Aber schon nach dem Eingangsstatement von Katharina Schulze war ihm klar: Das wird nix. Also lieber die Freien Wähler. Lieber Hubert Aiwanger.
Viereinhalb Jahre regieren die beiden nun gemeinsam. Und seitdem in Berlin die Ampel übernommen hat, war es Söder noch wichtiger, diese gemeinsamen Werte zu betonen. In Berlin Dauerstreit, in Bayern geräuschlose Arbeit. So die Botschaft. Doch je näher der Wahltag rückt, desto mehr Risse tun sich auf. Nicht wegen des freundlichen Kultusministers Michael Piazolo und erst recht nicht wegen des zurückhaltenden Thorsten Glauber (Umwelt). Nein: so, wie die CSU fast nur noch aus Söder besteht, verkörpert nur Aiwanger die Freien Wähler.
Unterschiedliche Positionen. Die gab es schon während der Pandemie in fast jeder Kabinettssitzung. Doch zunächst verlief alles im Rahmen, erst als Aiwanger sich nicht impfen ließ, wuchs bei Söder der Ärger. „Ich mache mir Sorgen um ihn“, sagte der Ministerpräsident damals öffentlich. Aiwanger benutze die gleiche Wortwahl wie die AfD. „Meine Sorge ist, dass er sich in eine Ecke manövriert, aus der er selber nicht mehr herauskommt.“ Heute behauptet der Freie-Wähler-Chef, er habe sich nur aufgrund des Drucks von außen umentschieden. Auch auf Druck des Partners.
Trotzdem wollte Söder die Koalition nicht infrage stellen. Zu groß war die Sorge, Aiwanger könne ihm im Wahlkampf Koalitionspläne mit den Grünen andichten. In der CSU gab es allerdings einige, die lieber einen konfrontativeren Kurs gesehen hätte. Gerade in Niederbayern und dem südlichen Oberbayern, wo Aiwanger viele Fans hat. Doch Söder entschied: Ruhe bewahren. Stattdessen trat er in den inoffiziellen Wettbewerb mit dem FW-Chef, wer mehr Präsenz im ländlichen Raum hat. Im letzten Jahr traten beide mehr in Bierzelten auf als im Landtag.
Dann, im Juni, eskalierte dieser Überbietungswettbewerb. Bei der Anti-Heizungsdemo sprach erst Söder, dann Aiwanger. Der FW-Chef musste noch einen draufsetzen. „Arsch offen“, „Demokratie zurückholen“ – die Rede hinterließ Spuren. CSU-Größen rüffelten den stellvertretenden Ministerpräsidenten öffentlich. Söder selbst sprach im Kabinett klare Worte. Hinter verschlossenen Türen. Wieder hieß es: nicht die AfD kopieren. In der Öffentlichkeit distanzierte sich Söder zwar von Populismus, Aiwanger persönlich verschonte er aber. Er wollte ja noch mit ihm regieren.
Nun also die neueste Aufregung. Die Sach- und Beweislage rund um das Flugblatt ist höchst undurchsichtig. Aufklärung nach drei Jahrzehnten dürfte schwierig werden. Söder aber kann solche Schlagzeilen überhaupt nicht gebrauchen. Er will im Wahlkampf in der Mitte punkten.
Eigentlich wollte der CSU-Vorsitzende nach der Wahl schnell ein neues Bündnis schmieden. Als Botschaft nach Berlin. Doch in der CSU gibt es etliche Schwergewichte, die beim Namen Aiwanger ihre Emotionen kaum noch unter Kontrolle haben. Die heiß Phase des Wahlkampfes dürfte die Gemüter kaum beruhigen. MIKE SCHIER