München – Über den richtigen Weg beim Klimaschutz wird in Deutschland erbittert gestritten. Die Klimakleber der „Letzten Generation“ setzen auf Blockade, die Ampel-Regierung auf den schnellen Ausstieg aus fossilen Energien. Zur Internationalen Automobilausstellung (IAA) in München (5. bis 10. September) sind wieder Störaktionen von Aktivisten zu erwarten. Wir haben mit Joachim Weimann von der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg gesprochen. Der 66-jährige Volkswirtschaftler fordert seit Jahrzehnten einen kosteneffizienten Klimaschutz. Im Interview erklärt er, warum Deutschland sich gerade verzettelt – und welche Folgen das haben könnte.
Herr Prof. Weimann: Klimawandel und Energiewende sind gerade echte Stressthemen. Die Menschen suchen nach sinnstiftenden Erklärungen und Lösungen, sogenannten Narrativen. Wozu brauchen wir Narrative?
Der Mensch ist mit einem „Sense-Making-Trieb“ ausgestattet: Wir wollen die Welt verstehen, sonst fühlen wir uns nicht wohl. Dafür brauchen wir einfache, leicht verständliche Erklärungen. Ob sie stimmen, ist zweitrangig. Narrative liefern uns solche Erklärungen.
In ihrem Buch „Einfach zu einfach“ gehen Sie der Frage nach, wie eine Demokratie heute komplexe Probleme löst. Was hat Sie bei den Recherchen besonders geärgert?
Dass es schlechte Narrative oft leichter haben als gute. Dass es schwierig ist, sie zu korrigieren, wenn sie sich einmal festgesetzt haben. Und dass erschreckend viele Politiker sich mit schlechten Narrativen gegen Wettbewerber durchsetzen, die mit guten Narrativen auf der Strecke bleiben. Das erleben wir gerade in der Klimapolitik: Wer behauptet, der Ausbau erneuerbarer Energien helfe gegen den Klimawandel, ist im Vorteil – aber auch auf dem Holzweg. Denn er übersieht, dass wir in Europa den Emissionshandel haben, der dazu führt, dass nationale Klimapolitik wirkungslos bleibt.
Wie das?
Weil der Emissionshandel festlegt, wie viel Kohlendioxid noch emittiert werden darf. Nur über diese Menge – die jedes Jahr verringert wird – werden Emissionsrechte ausgegeben. Windkraft in Deutschland führt dazu, dass wir weniger Kohlendioxid emittieren. Die dann nicht mehr benötigten Rechte gehen aber nicht unter, sondern werden in andere Länder verkauft. Es kommt also nur zur Verschiebung der Emission, nicht zur Einsparung.
Welche Rolle hat der Markt für Emissionen?
Die Emissionsrechte sind handelbar. Dieser Handel hat zur Folge, dass Emissionen dort vermieden werden, wo es am wenigsten kostet. So bekommen wir für das, was wir für Klimaschutz aufwenden, die größtmögliche Kohlendioxid-Einsparung.
Ist das in Fachkreisen so schwer zu verstehen?
Mir kommt es manchmal so vor. Ich hoffe, dass nicht nur die Experten, sondern auch die Entscheider halbwegs wissen, wie man Klimaschutz betreibt, ohne Geld zu verschwenden. Schließlich erhöht jeder vergeudete Euro den Kohlendioxid-Ausstoß.
Ein Narrativ der Klimaschützer lautet: Schluss mit denn fossilen Energien – es geht um Leben und Tod. Stimmt das?
Dass der Klimawandel ein großes Problem ist, dürfte inzwischen jeder verstanden haben. Doch weitere Schreckensbilder zu malen, hat nur den Effekt, dass Menschen verängstigt werden, Panik bekommen und nicht mehr klar über die Dinge nachdenken können.
Was empfehlen Sie?
Zwei Dinge: Erstens brauchen wir eine realistische Einschätzung der Gefahren. Diese sind groß, aber es droht kein Weltuntergang. Zweitens: Wir müssen endlich anfangen, darüber zu diskutieren, was das Beste ist, was wir gegen den Klimawandel tun können.
Und was hilft wirklich?
Nur „Schluss mit fossilen Brennstoffen“ zu rufen, ist viel zu wenig, weil es das zentrale Problem ausblendet: Unser Wohlstand und unsere Gesellschaft beruhen auf der Nutzung fossiler Energien. Beides bricht zusammen, wenn wir diese Energien einfach nur entziehen. Wir müssen den Übergang gestalten – das ist das Problem. Leider denken die „Letzte Generation“ und „Fridays for Future“ genau darüber nicht nach.
Die Aktivisten warnen vor einer Apokalypse …
Der Weltklimarat beschreibt fünf Szenarien. Am wahrscheinlichsten ist das mittlere, das einen moderaten Temperaturanstieg vorhersagt. Im schlimmsten Szenario vervierfacht sich der Kohlendioxid-Ausstoß bis 2080, was wir fast ausschließen können, weil der technische Fortschritt und das weltweite Bemühen, Treibhausgase einzusparen, dies verhindern werden. Und selbst bei einem solchen Horror-Szenario würde die Weltwirtschaft weiter wachsen. Dennoch dürfen wir es keinesfalls so weit kommen lassen, die Schäden wären an manchen Stellen auf der Erdkugel immens.
Die Leben-und-Tod-Mahnung beschert dem Klimaschutz große Aufmerksamkeit. Ziel erreicht?
Nein. Muss wirklich noch auf den Klimawandel hingewiesen werden, seit Greta Thunberg vor den Vereinten Nationen „How dare you!“ gerufen hat? Mehr Aufmerksamkeit geht nicht in Politik und Öffentlichkeit. Wir müssen endlich über die richtigen Fragen reden: Nicht darüber, ob wir Klimapolitik machen sollen, sondern darüber, wie. Genau davon lenken die Aktivisten-Aktionen ab.
Das Klima reagiert träge, die Sünden von heute werden wir erst in Jahrzehnten spüren. Kein Wunder, wenn junge Menschen auf die Palme gehen, oder?
Dass sich junge Menschen Sorgen machen, kann ich gut verstehen. Dass die Aktivisten aber strikt ablehnen, über den richtigen Weg zur Lösung des Problems sachlich zu diskutieren, verstehe ich überhaupt nicht. Ich finde viele pathetische Auftritte selbst ernannter Weltretter eher peinlich.
Tut die Politik genug? Fossile Energien werden ja weiterhin genutzt.
Einen sofortigen Ausstieg aus Kohle, Erdöl und Erdgas halte ich für höchst gefährlich. Ohne fossile Energieträger würde die Wirtschaft kollabieren, was zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen könnte. Das wäre wirklich eine Apokalypse. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zeigt uns, wie es ist, wenn plötzlich Gas fehlt. Und die neuesten Pläne der Bundesregierung, die Wärmewende mit der Brechstange zu bewerkstelligen, zeigen, welche ungeheuren Lasten damit auf die Menschen in Deutschland zukommen würden.
Was vermuten Sie, worum es den Klimaaktivisten im Innersten geht?
Sie ticken ähnlich wie die Querdenker, die Impfen als Unsinn und Zeitungen als Lügenpresse verteufeln. Sie glauben, einem erhabenen Zirkel anzugehören, der überlegene Informationen besitzt, sich auf der richtigen Seite der Geschichte wähnt und einen martialischen Namen trägt. In dieser Blase bestätigen sie sich ständig wechselseitig. Die anderen sind in ihren Augen schlafende Schafe, die nicht begreifen, was um sie herum geschieht, die die Wahrheit verleugnen – was immer drastischere Maßnahmen nötig macht.
Finden Sie es richtig, Klimaaktivisten als Klimaterroristen zu bezeichnen?
Nein, aber es droht eine Eskalation mit Endlosschleife. Die Forderungen sind unerfüllbar – und weil sie nicht erfüllt werden, muss man eben drastischer werden. Das kann sehr weit gehen, darüber sollten wir uns keine Illusionen machen.
Was empfehlen Sie den Klimaaktivisten?
Denkt über die Natur des Klimaproblems nach. Öffnet Euch für den Gedanken, dass wir neue Technologien brauchen, wenn wir den Kampf um unser Klima gewinnen wollen – und das im globalen Maßstab. Wie brauchen maximalen Klimaschutz für die Ressourcen, die wir einsetzen. Der Klimawandel ist ein globales Problem, das globale Zusammenarbeit und globale Lösungen verlangt. Demonstriert dafür, dass Deutschland sich für das Zustandekommen dieser Kooperation einsetzt, statt sinnloserweise allein das Klima retten zu wollen. Erkennt, dass die Erde kosteneffizienten Klimaschutz braucht, der dafür sorgt, dass die Lasten, die die Erdbewohner tragen müssen, minimiert werden. Und: Klimaschutz kostet Billionen. Dieses Geld muss anderswo eingespart werden – bei Einkommen, Sozial- und Wohlfahrtsleistungen. Das ist die Kehrseite der Klimapolitik, die wir mit bedenken müssen. Das ist eine ganz wichtige Information. In Talkshows spielen Kosten keine Rolle.
Keine mitreißende Botschaft. Kann sie dennoch Aufmerksamkeit finden?
Ich glaube, dass diese Botschaft immer klarer wird und den Menschen allmählich dämmert, dass es ein Fehler war, Klimapolitik zu betreiben nach dem Motto: „Koste es, was es wolle.“ Sie ahnen, dass dies kein gutes Ende nimmt und das Erstarken der AfD nicht zuletzt ein Reflex auf diese Ahnung ist. Dass diese Partei genau das nicht ist, was sie vorgibt zu sein, nämlich eine Alternative, verstehen viele nicht, weil sie auf die sehr schlechten Narrative der AfD hereinfallen.
Wann ist ein Narrativ gut?
Wenn es im Dreiklang von Wissenschaft, Politik und Medien entsteht. Wenn das, was die Medien transportieren, aus der Wissenschaft stammt und das beste verfügbare Wissen benutzt. Und wenn Politik und Medien die Information so verdichtet, dass sie wahrhaftig bleibt, uns aber anspricht und überzeugt.
Was macht das mit uns?
Gute Narrative geben Gewissheit, dass sie realistisch und neutral sind. Sie erklären die Welt so, dass wir sie verstehen. Sie vermitteln gute und vertreiben schlechte Gefühle. Sie lösen Aha-Effekte aus: So ist das, jetzt verstehe ich! Sie überzeugen und vermitteln Gruppengeist Sie beruhen auf Kompetenz – von Virologen und Epidemiologen bei einer Pandemie, von Ökonomen und Klimatologen bei der Klimakrise und von gut ausgebildeten Journalisten als Vermittler.
Wie verpackt man das, ohne sich zu verheddern?
Indem man sagt: Vertraut den Wissenschaftlern, die an Universitäten und unabhängigen Forschungsinstituten arbeiten und sich dem wissenschaftlichen Wettbewerb stellen. In ihm kann man nur bestehen, wenn Ergebnisse aus Daten und Fakten, nicht aus Überzeugungen oder Ideologie ableitet.
Christian Drosten hat seine Aussagen zur Corona-Pandemie laufend aktualisiert. Das wurde ihm von Impfgegnern als Inkompetenz ausgelegt.
Das liegt daran, dass oft falsche Vorstellungen von der Wissenschaft herrschen. In Stein gemeißelte Wahrheiten gibt es nicht. Es gibt aktuelles, gesichertes Wissen, das schon morgen überholt sein kann, weil neue Erkenntnisse gewonnen wurden oder neue Daten vorliegen.
Welches Narrativ hat zuletzt gut funktioniert?
Dieses: Impfen ist Bürgerpflicht, man schützt damit sich und andere. Im Vergleich zu anderen westlichen Staaten gab es bei uns relativ wenige Todesopfer. Totalitäre Staaten wie China oder Russland haben völlig versagt. Das ergibt ein weiteres Narrativ für Klimaschützer: Diktatur kann Krise nicht, also bitte auch keine Klimadiktatur.
Wann ist ein Politiker gut?
Wenn er sich an den realen Problemen der Menschen orientiert und für Lösungen das beste verfügbare Wissen nutzt. Er lässt sich nicht von Parteirichtlinien, Parteitagsbeschlüssen und ideologischen Festlegungen leiten, sondern vom gesunden Menschenverstand und von wissenschaftlicher Evidenz. Dieser ideale Politiker würde aber keine Karriere machen.
Warum?
Wegen Überforderung. Die meisten Menschen wären unfähig, zu erkennen, dass das Narrativ des guten Politikers besser ist als das Narrativ seiner Konkurrenten, die sich nur an ihrer Karriere orientieren und es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.
Impfgegner, Klimaleugner, Rechtspopulisten – sie alle verspotten die Demokratie. Was tun?
Wir brauchen mehr evidenzbasierte Wissenschaft und Beratung. Als ich wissen wollte, ob eine weitere Corona-Impfung sinnvoll ist, habe ich meinen Hausarzt gefragt. Er hielt sie für unnötig, weil ich keiner Risikogruppe angehöre, dreimal geimpft bin und eine Infektion gut überstanden habe. Ich vertraue ihm. Ich muss dafür keine Gutachten lesen, das tut mein Arzt. So ähnlich muss Demokratie funktionieren: Wir brauchen verlässliche Experten, die uns auf der Grundlage des besten verfügbaren Wissens beraten und denen wir vertrauen können.
Bedeutet für die Politik?
Politikberatung muss unabhängig werden. Politiker sollen nicht selbst bestimmen dürfen, welche Wissenschaftlern sie beraten. Die Wissenschaft sollte das entscheiden, sie darf nicht länger Tummelplatz für Karrieristen sein, die der Politik nach dem Mund reden, um in Beiräte berufen und mit Gutachten beauftragt zu werden. ’
Interview: Wolfgang Bäumer