„Wir versprechen oft viel und halten wenig“

von Redaktion

INTERVIEW Der Historiker Peter Frankopan rät dem Westen, die Welt öfter mit den Augen ärmerer Länder zu sehen

Seit zehn Jahren spaltet Chinas Neue Seidenstraße Beobachter weltweit. Historiker Peter Frankopan mahnt, das Projekt aus Sicht des Globalen Südens zu betrachten.

Herr Frankopan, Xi Jinping sprach 2013 von Zusammenarbeit zum Nutzen der gesamten Menschheit. Heute wächst die Distanz zwischen China und dem Westen. Ist Xis Idee gescheitert?

Die Neue Seidenstraße wurde in die Verfassung der Kommunistischen Partei Chinas aufgenommen. Das bedeutet, dass sie uns noch eine ganze Weile beschäftigen wird. Und auch wenn die Finanzierung von vielen Seidenstraßen-Projekten vor etwa fünf Jahren fast zum Erliegen gekommen ist, bedeutet das nicht, dass die Idee der Seidenstraße gestorben ist. Spannender ist für mich an der Neuen Seidenstraße aber ohnehin etwas anderes als die bloße Frage, ob und wie irgendwelche Projekte finanziert werden.

Und zwar?

Spannend finde ich die Art und Weise, wie China mit der Neuen Seidenstraße eine Erzählung präsentiert hat, um sowohl dem eigenen als auch dem internationalen Publikum eine gemeinsame Geschichte unserer Gegenwart und unserer Zukunft zu vermitteln. Die chinesische Botschaft, dass wir alle zusammenarbeiten sollten, mag im Westen nicht gut ankommen, zumal sie mit einer starken Dosis antiwestlicher Gefühle vermengt wird. Aber sie findet in vielen Teilen der Welt sehr wohl großen Anklang. Denken Sie an den jüngsten Brics-Gipfel und die Bereitschaft vieler anderer Staaten und Volkswirtschaften, sich dem chinesischen Narrativ anzuschließen. Wir sollten mehr darüber nachdenken, wie die Welt außerhalb des Westens aussieht.

Einer der häufigsten Kritikpunkte an Chinas Seidenstraßeninitiative ist, dass sie ärmere Staaten in die Schuldenfalle führe.

Es gab einige sehr prominente, katastrophale Projekte, etwa den Hafen von Hambantota in Sri Lanka oder ein Eisenbahnprojekt in Ostafrika, das die Küste mit dem Landesinneren verbindet. Diese Projekte haben zu Recht viel Aufmerksamkeit erregt. Aber sie sind eher die Ausnahme als die Regel. Viele Seidenstraßen-Projekte sind gut gelaufen – und waren gut für die Gemeinschaften vor Ort. Für Projekte, die in Schieflage geraten sind, hat sich China oft als besserer Kreditgeber als westliche oder multilaterale Partner erwiesen, indem es Schulden großzügiger erlassen oder umstrukturiert hat.

Also halten Sie auch nichts von der Behauptung, China gehe es um Geopolitik, wenn es im Ausland in kritische Infrastruktur wie etwa Häfen investiert?

Nennen Sie mich altmodisch, aber ist das nicht das Ziel von Außenpolitik? Sollten Staaten wie Deutschland an weit entfernten Orten investieren, die keinen strategischen Wert für sie haben? Es wäre verrückt zu glauben, dass Staaten nicht immer auch geopolitische Motive verfolgen. Ich denke, die Frage, die wir uns stellen sollten, müsste eher lauten: Sollten wir uns durch China bedroht fühlen? Die Antwort lautet natürlich: Ja. Aber wir müssen etwas dagegen tun, anstatt uns darüber zu beschweren, dass Konkurrenten, Rivalen und Gleichgestellte einen Plan haben und wir nicht.

Wie könnte der aussehen?

Zunächst: Das Ansehen des Westens ist überall auf der Welt, auch in Asien und weit darüber hinaus, sehr hoch. Nur wenige Menschen machen sich Illusionen über die Vorteile von Partnerschaften und Kooperationen mit Ländern wie Russland oder dem Iran; und in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Nord- und Südamerikas gibt es eine Menge Widerstände gegen Einwanderung aus China.

Was folgt daraus für uns?

Wir sollten nicht versuchen, China in anderen Teilen der Welt „entgegenzuwirken“. Wir sollten Ländern mit niedrigem Einkommen zuhören, welche Art von Hilfe und Unterstützung sie wollen und brauchen. Darin sind wir nicht sehr gut. Wir versprechen oft viel und halten wenig; wir machen uns nicht die Mühe, etwas über die Geschichte anderer Völker zu erfahren oder sie mit Respekt zu behandeln; wir gehen davon aus, dass alle so sein wollen wie wir, ohne zu überlegen, ob unsere sozialen, wirtschaftlichen, politischen oder ökologischen Modelle verbessert werden können und sollten. SVEN HAUBERG

Zur Person

Peter Frankopan zählt zu den bedeutendsten Historikern der Gegenwart. Er ist Professor für Globalgeschichte in Oxford sowie Unesco Professor of Silk Roads Studies am King’s College in Cambridge. Sein Buch „Licht aus dem Osten“ wurde 2016 ein weltweiter Bestseller, es folgte „Die neuen Seidenstraßen“.

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