„Es trifft, wie meistens, die armen Bewohner“

von Redaktion

Wie ein Oberbayer die Schreckensnacht in Marrakesch erlebte – Hans Kraus betreibt zwei Hotels

Waakirchen – Das Beben um 23.11 Uhr Ortszeit dauerte knapp zwei Minuten, doch es war das schlimmste, das in dem nordafrikanischen Land je gemessen wurde. Es ist auch ein herber Rückschlag für den Tourismus, von dem Hans Kraus aus Waakirchen (Kreis Miesbach) im Touristen-Hotspot Marrakesch lebt.

„Wir lagen schon einige Zeit im Bett, als es rumpelte. Die Schranktüren gingen auf, Bücher fielen aus dem Regal, die Fenster vibrierten, der Strom war weg, plötzlich war es ganz still“, erzählt Hans Kraus über die schrecklichsten Sekunden, die er in seiner Wahlheimat Marokko je erlebten. In kürzester Zeit gab es über 2000 Tote und Tausende von Verletzten. Und Hans Kraus mittendrin. Er betreibt mit seiner marokkanischen Frau Sabah zwei kleine Hotels in der Medina, der Altstadt von Marrakesch.

Doch die Touristenattraktion, das Unesco-Weltkulturerbe, liegt seit Freitagnacht weitgehend in Trümmern. Am Hauptplatz stürzte das Minarett einer Moschee ein und begrub 13 Menschen unter sich. Bis zu diesem schlimmsten Erdbeben, das in dem nordafrikanischen Land je gemessen wurde, boomte der Tourismus, jetzt liegt er am Boden.

„Die ersten Annullierungen kommen nun“, sagt der gebürtige Münchner, der in Waakirchen aufgewachsen ist. Von dort zog es ihn vor gut 20 Jahren in die Ferne, nach Marrakesch. Mit seiner Frau baute er sich eine neue Existenz als kleiner Hotelier auf. Aus vornehmen Stadthäusern mit einem Patio, Innenhöfen mit Umgängen und Dachterrassen, machten beide sogenannte Riads. Von außen sind die Hotels hinter endlosen Wänden aus Lehm und Kalk nicht erkennbar.

Ihre Riads hielten den Erdstößen aber stand, „sie sind solide gebaut. Doch um uns herum stürzten die Häuser ein oder wurden so beschädigt, dass sie unbewohnbar geworden sind“, berichtet Kraus (59). „Es trifft, wie meistens, die armen Bewohner der Stadt, die aufgrund ihrer finanziellen Situation nur Wohnraum geschaffen haben, und kein Geld für die notwendige Statik aufbringen konnten.“

Mit seiner Familie habe er nach den Erdstößen zunächst sofort das Haus verlassen. „Alle stürzten panisch ins Freie auf der Suche nach einem offenen Platz.“ Doch seine Existenzgrundlage trotzte dem Beben. Was auch seine Gäste zu schätzen wussten. „Sie hatten Vertrauen in die Stabilität unserer beiden Häuser und kehrten nach 30 Minuten zurück in ihre Zimmer.“

Die meisten Bewohner der Medina hatten nicht dieses Glück. „Die Straßen in der Kasbah waren voller Menschen, die Angst vor Nachbeben hatten und sich nicht wieder in ihr Haus zurück trauten.“ Er habe auch Nachrichten von Gästen aus anderen Riads, „die diese Nacht und auch die nächsten aus Sicherheitsgründen nicht in ihr Hotel zurückkönnen“, berichtet er. Die nächsten Tage würden erst die „wirklichen Ausmaße des Bebens zeigen“. Daher könne er die Auswirkungen auf den Tourismus „nur sehr vage einschätzen – es werden sicher unruhige Zeiten auf uns zukommen“.

Kraus vertraut aber auf den „marokkanischen Pragmatismus“, der dabei helfen könne, die Katastrophe zu überstehen. Zumal Anfang Oktober „ein furchtbar aufgeblasener Kongress der Weltbank in Marrakech stattfinden soll. Straßen, Parks, Gehwege – alles wird gerade aufpoliert. Die ganze Stadt ist eh schon eine Baustelle“. KLAUS WIENDL

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