Marokko: Die Suche nach Überlebenden

von Redaktion

Rabat – Ganze Dörfer sind zerstört, aus den Trümmern werden ständig weitere Leichen geborgen. Es ist das schwerste Erdbeben, das Marokko seit Jahrzehnten erlebt hat – und ein dramatischer Wettlauf gegen die Zeit. Rettungskräfte haben am Sonntag weiter fieberhaft nach Überlebenden gesucht. Bis zum Abend stieg die Zahl der Toten nach Regierungsangaben auf mehr als 2100. Man rechnet jedoch mit deutlich mehr Opfern.

„Meine Frau, meine Kinder und ich versuchten, das Haus zu verlassen, aber meine kleine Tochter und mein Vater, der 102 Jahre alt ist, blieben“, schildert ein Überlebender in der Stadt Imintanoute, südwestlich von Marrakesch. „Ich habe versucht zurückzugehen, um sie herauszuholen, aber vergeblich. Mein Vater und meine Tochter sind dort gestorben.“

Bei der Suche nach Verschütteten infolge eines Erdbebens sprechen Experten von einem Zeitfenster von 72 Stunden. Dies gilt als Richtwert, die ein Mensch längstens ohne Wasser auskommen kann. Das Beben ereignete sich am Freitagabend um 23.11 Uhr Ortszeit. Es sei in einem Umkreis von 400 Kilometern zu spüren gewesen, sagte Nasser Jabour, Leiter einer Abteilung des Nationalen Instituts für Geophysik.

Das Epizentrum lag gut 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch im Atlasgebirge. Dort liegen Ortschaften entlang steiler und kurvenreicher Serpentinen. Da Erdbeben in Nordafrika selten auftreten, sind Gebäude nach Einschätzung von Experten nicht robust genug gebaut, um solchen starken Erschütterungen standzuhalten

Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind mehr als 300 000 Menschen in Marrakesch und umliegenden Gebieten von dem Unglück betroffen. Die meisten in den vom Beben betroffenen Gebieten zogen es vor, die Nacht zum Sonntag im Freien zu verbringen.

Menschen in der Region berichteten am Sonntag, allein in dem Dorf Moulay Brahim, 50 Kilometer südlich von Marrakesch, sei die Hälfte der 84 Einwohner ums Leben gekommen. Ein kleines Bergdorf in der Provinz Chichaoua wurde nahezu vollständig zerstört.

Auch in dem Bergdorf Tafeghaghte nahe dem Epizentrums stand praktisch kein Gebäude mehr, Soldaten suchten in den Trümmern. Die meisten Überlebenden strömten zum Friedhof, wo rund 70 Einwohner beigesetzt wurden. „Drei meiner Enkel und ihre Mutter sind getötet worden. Sie liegen noch unter dem Schutt. Vor Kurzem haben wir noch zusammen gespielt“, sagte der 72-jährige Dorfbewohner Omar Benhanna.

Am Sonntagabend waren noch immer komplette Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten. Fotos und Luftaufnahmen zeigen zerstörte Siedlungen. Die einfach gebauten Lehmhäuser wurden dem Erdboden gleich gemacht. Die Regionen im Atlasgebirge gehören zu den ärmsten des Landes. Inzwischen setzt die Armee auch Hubschrauber ein, um in die entlegenen Gegenden vorzudringen.

Die Priorität liege darin, die isolierten Dörfer mit Hilfsmaßnahmen zu erreichen, sagte der Gründer der marokkanischen Lebensmittelbank, einer Organisation zur Essensverteilung, Karim Tazi. Straßen seien unpassierbar, der Transport von Verletzten schwierig. Besonders wichtig sei auch, die verschiedenen Krankenhäuser mit Blutkonserven zu versorgen. Die Solidarität der Bevölkerung sei jedoch enorm. Bilder in sozialen Netzwerken zeigen lange Schlangen in den Blutspendezentren des Landes.

Die Kapazitäten der Rettungskräfte sind laut Hilfsorganisationen nahezu erschöpft. Die Teams arbeiteten seit Freitagnacht, sie hätten keine Energie mehr, um weiterzumachen, sagte Hossam Elsharkawi von der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC) am Sonntag.

Eine Spezialeinheit des spanischen Militärs mit Suchhunden flog am Sonntag nach Marokko. Mitglieder der Feuerwehr ohne Grenzen aus Spanien und weitere Berufsfeuerwehren waren ebenfalls unterwegs. Das Golf-Emirat Katar habe ein Rettungs- und Suchteam geschickt. Aus Tunesien machte sich bereits am Samstagabend ein Hilfsteam auf den Weg.

Auch in Deutschland und anderen Ländern standen Hilfskräfte einsatzbereit, sie rechneten jedoch am Sonntagnachmittag teils nicht mehr mit einem Einsatz. „Es gab bisher kein Hilfeersuchen von Marokko“, sagte ein Sprecher der beiden Organisationen Hilfsorganisation I.S.A.R. Germany und des Bundesverbands Rettungshunde. Auch das Technische Hilfswerk (THW) schickte seine für einen möglichen Rettungseinsatz in Marokko nahe dem Flughafen Köln/Bonn bereits versammelten Helfer vorerst wieder nach Hause.

SO KÖNNEN SIE HELFEN

Nach dem Erdbeben bereiten sich auch deutsche Hilfsorganisationen auf ihren Einsatz vor. Spenden können Sie beispielsweise an:

Aktion Deutschland Hilft IBAN: DE62 3702 0500 0000 1020 30 BIC: BFSWDE33XXX Stichwort: Nothilfe weltweit

Deutsches Rotes Kreuz IBAN: DE63 3702 0500 0005 0233 07 BIC: BFSWDE33XXX Stichwort: Erdbeben Marokko

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