Straßkirchen – Achtung, warnt Sebastian Radlbeck, jetzt wird es schnell. Und wupp – Fahrer und Beifahrer werden in den Sitz gepresst, der BMW jagt mit über 500 PS die Straße entlang. Es sind nur Sekunden, der kräftige Motor des E-Autos beschleunigt schneller als jeder Verbrenner. Wie schnell war das jetzt? 160, sagt Sebastian Radlbeck. Und lacht.
Radlbeck ist E-Motoren-Fachmann im Werk Dingolfing und wohnt in Irlbach, einem Nachbarort von Straßkirchen in Niederbayern. Wenn es gut geht – aus seiner Sicht gut –, dann wird er seinen Arbeitsplatz im Jahr 2026 nach Straßkirchen verlegen können. Dort ist am 24. September Bürgerentscheid. 2700 Wahlberechtigte entscheiden an jenem Sonntag, ob BMW auf Ackerflächen südlich der Gemeinde eine Fabrik zur Montage von Hochvoltbatterien bauen darf. Es ist mehr als nur ein Autowerk. Hört man BMW-Vertretern zu, hängt an dem Projekt die Zukunft der BMW-Werke Dingolfing, Regensburg und München. Manche sagen, es gehe um nichts weniger als die Frage, ob BMW bayerisch bleibt.
Straßkirchen hat eine Kirche, Wirtshaus, Metzgerei und sogar noch eine eigene Bäckerei. Die Donau ist nah, es gibt einen Bahnhof und zwei Autobahnen, die A3 und die A92. Und bald ein BMW-Werk, zwölf oder sogar fast 20 Meter hohe Hallen auf über 100 Hektar. Eine Anlage, so groß wie die gesamte bebaute Fläche des Dorfes?
Der Bürgerentscheid wühlt den Ort auf. Der Streit geht quer durch die Familien, sagt Walter Gegenfurtner, 72, gebürtiger Straßkirchner und Mitglied der Bürgerinitiative (BI) „Lebenswerter Gäuboden“. Südlich von Straßkirchen biegt er auf einen Seitenweg ein und stoppt am Gut Makofen. Es gehört dem Baron Poschinger. Er ist ein Großgrundbesitzer und hat die Sache mit BMW erst ausgelöst. Über die „Invest in Bavaria“, eine Agentur des bayerischen Wirtschaftsministeriums, bot er Flächen für die Ansiedlung von Gewerbe an. Nicht irgendwelches Gewerbe, nein, der Baron wollte etwas Hochwertiges. Ein Dax-Konzern müsse es sein. Kein Logistiker, Amazon oder so was. Für BMW hat der Baron seine Äcker, wie man hört, gerne verkauft. Kaufpreis: geheim – über hundert Millionen, raunt man bei der BI.
Vom Gut Makofen aus hat man einen schönen Blick auf die Felder, die BMW bebauen will. Es ist fruchtbares Ackerland. Der Gäuboden hat für die Niederbayern einen fast mystischen Klang. „Es ist der beste Ackerboden von ganz Bayern“, sagt BI-Mitglied Norbert Erndl. „Norbert“, korrigiert Gegenfurtner, „von ganz Deutschland“. Noch besser weiß das Paul Kerl, ein weiteres BI-Mitglied. Er hat in Weihenstephan Agraringenieur studiert. Die Ertragsfähigkeit des Erdbodens sei „einzigartig“, sagt er. Weißkraut, Zwiebeln, Weizen – und die Zuckerrübe. Die Zuckerrübe ist „die Königin des Ackerbauern“, sagt Kerl. So ein wertvoller Boden dürfe für eine Autofabrik nicht geopfert werden. So sehen sie das bei der BI.
Allerdings: Der Erfolg mit der Rübe ist auch Teil des Problems. Straßkirchen erstickt im Verkehr. Die Bundesstraße B8 führt mitten durch den Ort. Läuft von September bis Januar die sogenannte Zuckerrüben-Kampagne, also die Ernte, fahren zusätzlich 900 Lkw täglich durch den Ort zur Südzucker-Fabrik in Plattling. Auch jetzt donnert alle paar Sekunden ein 40-Tonner-Lkw durch den Ort – die B8 ist eine beliebte Abkürzung, um das Autobahndreieck A3/A92 zu umgehen. Wenn BMW erst da ist, so sagen sie, wird es endlich was mit der lange versprochenen Umgehungsstraße. Vielleicht.
Besuch bei Bürgermeister Christian Hirtreiter im Rathaus: „Wir haben einen Schwerlastverkehr, der ist der Oberhammer“, sagt der CSU-Politiker. Da ist er sich mit der BI einig. Nur: Wird mit „der BMW“ – so sagt man in Niederbayern – auch die Straße kommen? Im Moment ist sie im Bundesverkehrswegeplan ganz unten verräumt (Status „erweiterter Bedarf mit Planungsrecht“). Die BI sagt, die Straße komme vielleicht 2035.
„Ja, was die BI sagt“, entfährt es da dem Bürgermeister. Ende des Jahres werde das Straßenbauamt schon eine Vorzugsvariante festlegen, das habe er vom Minister persönlich. Es geht also schneller, sagt Hirtreiter. Eine Jahreszahl nennt er aber nicht.
BI und Bürgermeister – das ist in Straßkirchen im Moment wie Feuer und Wasser. Zahl der Arbeitsplätze, der Ausbildungsplätze, Flächenverbrauch, Gewerbesteuer-Ertrag – man streitet und ärgert sich gegenseitig. Warum zum Beispiel, sagt Hirtreiter, habe die BI ihre Unterschriftenliste zum Bürgerentscheid grad so eingereicht, dass es nicht für einen Abstimmungstermin zusammen mit der Landtagswahl reicht. Jetzt ist der Bürgerentscheid am 24. September, die Landtagswahl zwei Wochen später. Zwei Mal Wahllokale einrichten, eine Mordsarbeit. „So ein Unfug“, sagt Hirtreiter und hämmert mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte. „Die BI war zu Verhandlungen nicht bereit.“
Mitten im Gespräch geht die Sirene los – Feuerwehr-Alarm. Eigentlich müsste Hirtreiter jetzt aufspringen, er ist Feuerwehrler. Es gebe leider viele schwere Verkehrsunfälle auf der B8, sagt er. Später stellt sich raus: Es war ein Unglück in einer Biogasanlage. Die Unfälle sind ein Grund, warum das Feuerwehr-Gerätehaus dringend erweitert werden müsse. Und die Schule, sagt Hirtreiter. Und die gemeinsame Kläranlage, sagt Bürgermeister Armin Soller aus Irlbach, der zum Gespräch dazustößt. Die habe oberste Priorität, sagt Hirtreiter. Er zählt noch ein paar Projekte auf. „Mia braucha a Buifa“ – Geld, das ist das, was zählt.
Man sei ja gar nicht gegen BMW, sagt Walter Gegenfurtner von der BI. Das Werk könne doch auf einer Industriebrache angesiedelt werden. „Wir sind ja nicht zuständig, Standorte für BMW zu suchen.“ Aber Vorschläge gab es doch. Der stillgelegte Erdinger Fliegerhorst wurde genannt, ein Bundeswehr-Areal in Pfarrkirchen, zuletzt die erst kürzlich stillgelegte Papierfabrik in Plattling. Alles abgelehnt – zu klein, zu weit weg, ungeeignet, hieß es von BMW. Es gebe Zeitdruck, 2026 muss das Werk stehen, sagt Alexander Kiy, der BMW-Chefplaner für Straßkirchen.
Kiy weist auch daraufhin, dass eine Batterie, die unter der gesamten Fahrzeuglänge verbaut wird, 600 Kilo schwer ist. Daher sind längere Transportwege ungünstig. Das Werk kann also nicht in Ungarn oder sonst wo entstehen. 250 000 bis 330 000 Batterien im Jahr sollen gebaut werden.
Einen Plan B hat BMW nach eigener Aussage nicht. Aber Manager Kiy hat erkannt, dass es mit dem Bürgerentscheid auch schiefgehen könnte. Jetzt hängt gefühlt an jedem dritten Haus ein „Ja zu BMW“-Plakat. Als Clou verleiht BMW jeden Tag drei E-Fahrzeuge zum Ausprobieren an Straßkirchner. Kostenlos. Motto: „Straßkirchen elektrisiert.“ „Der normale Niederbayer fährt ja Diesel“, sagt E-Fachmann Sebastian Radlbeck. „Aber auf einmal gibt’s jetzt einen E-Auto-Hype.“
In einem BMW-Pavillon aus Holz versammeln sich die Befürworter zum Gratis-Bier. Nur mit Landwirtschaft, ist man sich hier einig, habe der Ort keine Zukunft. Überhaupt der Gäuboden. „Der ist nicht nur Straßkirchen, er ist riesengroß.“ Nur 0,18 Prozent des Gäubodens würden für das Werk weggebaggert. Und der Erdboden sei ja nicht weg, er werde anderswo aufgetragen und werde magere Böden aufwerten.
Obwohl die BMW-Kampagne auf Hochtouren läuft, ist Bürgermeister Hirtreiter nicht so richtig wohl bei dem Gedanken, dass er jetzt der Hauptverantwortliche für all das sein soll. Auf den weiß-blauen Werbeplakaten „Ja zu BMW“ sind die Namen der Kommunalpolitiker genannt, die für das Projekt sind. Hirtreiter aber hat seinen Namen überkleben lassen. Er müsse als Verwaltungschef auf Neutralität achten. Das hat ihm auch Jürgen Busse geraten, früher Geschäftsführer des Bayerischen Gemeindetags und Stadtrat in Starnberg, jetzt juristischer Berater der Gemeinden. Als ihm das einfiel, waren die Plakate leider schon gedruckt.
Und dann ist da noch die Szene nachts um halb elf, von der Norbert Erndl von der BI erzählt. Stockfinster war’s, doch ein Unbekannter schlich durch die Straßen. Erndl dachte erst an einen Einbrecher, dann erkannte er, dass da einer Plakate für BMW aufhängt und sprach den Mann an. „Christian, bist du’s?“, entfuhr es ihm, als er den Bürgermeister erkannte. Hirtreiter windet sich ein bisschen, wenn man ihn darauf anspricht. Dann muss er grinsen. Er dementiert nicht.