von Redaktion

Hartmann: Der größte Fehler war der von der CSU, die großen Stromleitungen nach Bayern jahrelang zu blockieren. Über „Monstertrassen“ hat Seehofer in Ingolstadt gewettert aus Angst, den Menschen die Wahrheit zu sagen, dass es diese Leitungen dringend braucht. Wir hätten die Stromleitungen 2023 schon einweihen können, stattdessen gab es letzte Woche den ersten Spatenstich. Söder: Wo war denn vor wenigen Tagen der Start und Spatenstich für den Südlink? In der Nähe von Hamburg. Daher ist es lächerlich zu behaupten, Bayern sei schuld, dass in Niedersachsen oder Hessen noch keine Leitung gebaut ist! Die Zuständigkeit liegt beim Bund. Und für die Erdverkabelung haben viele Länder gekämpft.

Die Migration bewegt die Menschen sehr. An Sie als Realo-Grüner: Sollte Deutschland seine Grenzen stärker schützen?

Hartmann: Ich möchte, dass wir die europäischen Außengrenzen besser schützen. Ein Europa ohne Schlagbäume ist ein verdammt hohes Gut, das auch unserer Wirtschaft zugutekommt. Wir müssen die Zahlen aber auch ehrlich einordnen: Von den 1,4 Millionen Flüchtlingen sind 900 000 vor dem schrecklichen Krieg in der Ukraine geflohen. Sie finden hier Schutz und Hilfe, das ist genau richtig. Bayern hat leider in einem Punkt gewaltigen Nachholbedarf: bei der Integration. Sobald jemand erstmalig zur Ausländerbehörde kommt, die ich gern in „Welcome Center“ umbenennen möchte… Söder (schüttelt den Kopf) Hartmann: …muss er sofort eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Stattdessen dauert in Bayern die Anerkennung eines Arztes fast ein Jahr – in Schleswig-Holstein einen Tag. Söder: Bayern hat die höchste Zuwanderung aller Länder, aber die niedrigste Arbeitslosigkeit und geringste Kriminalitätsrate. Offenkundig gelingt bei uns Integration besser. Wir sind gegen eine unkontrollierte Zuwanderung und für den Schutz der EU-Außengrenzen. Solange das noch nicht klappt, müssen wir mit unserer Grenzpolizei die bayerischen Grenzen schützen. Die Grenzpolizei habe ich gegen den erbitterten Widerstand der Grünen durchgesetzt. Die Grünen blockieren in Berlin und Brüssel alle Schritte für mehr Sicherheit und weniger Zuwanderung. Statt mit anderen Ländern wirksame Rücknahmeabkommen von kriminellen Straftätern zu verhandeln, reist Außenministerin Baerbock in die Mongolei und wirbt für eine feministische Außenpolitik. Die Grünen sollten besser Deutschland schützen, anstatt die Welt missionieren zu wollen. Hartmann: Die Gespräche laufen längst. Sie wissen selbst, dass das komplizierte Verhandlungen sind. Und in Brüssel haben wir der Verschärfung an den Außengrenzen zugestimmt. Das ist Fakt. Söder: Nichts ist passiert. Gar nichts.

Wir haben Mangel an Arbeitskräften. Ist es richtig, den Ukrainern Bürgergeld zu zahlen?

Hartmann: Es ist richtig. Das war das einfachste Verfahren, um die Menschen schnell in Arbeit zu bringen. Auch wenn die CSU die Zahlen so gerne durcheinanderwirft: Der Anreiz, zu arbeiten, ist für Bürgergeldempfänger hoch. Wo es noch fehlt, auch in Bayern, sind mehr Sprachkurse und schnellere Behörden.

Söder: Wir halten die Bürgergeld-Entscheidung für falsch. Die Menschen verstehen diese Ungerechtigkeit nicht. Wir werden das nach der Wahl 2025 wieder ändern. Wir müssen bei allen Sozialleistungen eine bessere Balance finden. Wer arbeitet, muss mehr haben als jemand, der nicht arbeitet. Und wer einbezahlt hat, muss mehr haben als jemand, der noch nie einbezahlt hat. Das ist gerecht.

Haben Sie zu Kriegsbeginn überlegt, Ihr Gästezimmer zu öffnen und Ukrainer aufzunehmen?

Hartmann: Ich wohne in München mit einer Patchworkfamilie mit vier Kindern. Wenn ich mehr Platz in unserer Wohnung hätte – wahrscheinlich ja. Mich haben die Szenen der Ankunft am Bahnhof in München sehr bewegt. Söder: Das wäre mir vermutlich als Show ausgelegt worden. Meine Aufgabe war und ist, dafür zu sorgen, dass in dieser Notlage alle eine Unterkunft bekommen. Das hat im Freistaat sehr gut geklappt. Allein wir Bayern haben mehr Ukrainer aufgenommen als ganz Frankreich.

Diese Woche war Schulanfang. Herr Söder, Sie spotten ja oft über die Gendersprache. Warum verbieten Sie es nicht einfach an den Schulen?

Söder: Mit mir wird es verpflichtendes Gendern in Bayern in Schulen, Hochschulen oder Behörden nicht geben. Privat soll jeder machen, was er will. Ihre Zeitung gendert ja auch nicht – falls Sie das aber plötzlich machen wollen, dürfen Sie das natürlich. Ich freue mich dann auf die Leserbriefseite (lacht). Hartmann: Markus Söder redet mehr und lieber übers Gendern als die Grüne Jugend. Ich kenne keinen, dem dieses Thema aktuell wichtiger ist als Ihnen. Söder: Ich habe ja auch größere Veranstaltungen. Sie haben diese Woche in Nürnberg vor 25 Leuten gesprochen, ich in Oberfranken vor 3000. Und die hat dieses Thema alle interessiert. Hartmann: Ein Ministerpräsident sollte über die großen Krisen, über die wahren Sorgen der Menschen reden. Auch im Wahlkampf. In einer Sprache, die alle Bürgerinnen und Bürger anspricht.

Die Bayern sind stolz auf ihr Schulsystem – aber ist es denn noch so viel besser als anderswo?

Hartmann: Wir haben ein gutes Schulsystem. Wir müssten trotzdem besser werden bei der Chancengleichheit. Wir wollen viel stärker auf die frühkindliche Bildung und die Grundschule achten. Da hängt noch zu viel vom Geldbeutel der Eltern ab. Wir haben außerdem einen riesigen Mangel an Kindergarten- und Kita-Plätzen, der tausende gut ausgebildete junge Frauen davon abhält, mehr zu arbeiten – obwohl sie das gerne wollen. Eine klassische Aufgabe, die das Land anpacken müsste. Söder: Nicht alles ist perfekt, aber Bayern liegt in allen Rankings weit oben. Bis vor zehn Jahren war Baden-Württemberg in der Bildung unser schärfster Rivale. Seit die Grünen dort regieren, ist das Land massiv zurückgefallen. In Bayern stellen wir tausende Lehrer neu ein und bezahlen sie besser als anderswo in Deutschland. Was wir nicht wollen: auf absurde grüne Bildungsideologie eingehen und das gegliederte Schulsystem oder gar Noten abschaffen. Die Schule ist kein Stuhlkreis, es braucht bei aller Empathie auch Leistung und Noten. Hartmann: Wir wollen den Schulfamilien die Freiheit geben, mehr selbst zu entscheiden. Im Gymnasium werden auch mit uns keine Noten abgeschafft. Aber das Grundschulabitur nach der vierten Klasse wollen wir nicht. Wir sollten den Leistungsgedanken nicht nur auf Noten fixieren.

Herr Söder, beim Gillamoos haben Sie gesagt, die Grünen gehörten nicht zu Bayern. Nach 90 Minuten Gespräch mit Hartmann: Gehört wenigstens er zu Bayern?

Söder: Ich bleibe dabei: Die Grünen sind Ampel-Fans, aber haben kein Bayern-Gen. Hartmann: Ich verstehe solche Sätze nicht. Ich möchte keinem, der sich einbringt für unser Land, das Bayern-Gen absprechen. Alle demokratischen Fraktionen im Landtag haben das. Erst recht eine Partei wie die Grünen, die für Bayerns Landschaft und das Trinkwasser kämpft, die… Söder: …die Kreuze in Behörden wieder abhängen will, wie ihr es ständig fordert. Und vielleicht sogar die Gipfelkreuze? Hartmann: Sie konstruieren hier wieder ein Thema. Niemand will Kreuze abhängen. Wir haben andere Baustellen in Bayern, die viel wichtiger sind.

Interview: Mike Schier und Christian Deutschländer

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