Wettlauf zum Mond

von Redaktion

VON KATHRIN BRAUN UND CHRISTIANE KÜHL

München/Frankfurt – Als am 21. Juli 1969 der erste Mensch den Mond betritt, hängen mehr als 500 Millionen Menschen gebannt am Fernseher. Es geht weniger um die Mission selbst – sondern vielmehr darum, ob sie den Sowjets oder den US-Amerikanern zuerst gelingt. Als Neil Armstrong dann endlich auf dem Trabanten spazieren geht, sagt er die berühmten Worte: „Es ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein riesiger Sprung für die Menschheit.“ Ein halbes Jahrhundert ist das nun her. Jetzt ist ein neuer Wettlauf zum Mond entbrannt – mit weit mehr Teilnehmern als damals.

Die NASA möchte wieder Menschen auf den Mond bringen. Vergangene Woche hat Deutschland die Verträge für das sogenannte Artemis-Programm unterzeichnet – damit wird die Bundesrepublik Teil der US-amerikanischen Erforschung von Mars und Mond. 2025 sollen das erste Mal seit 1972 mit der Mission „Artemis 3“ wieder Menschen auf dem Mond landen. Unter anderem Großbritannien, Italien und Kanada unterstützen das Programm. Russland hatte als fester Partner der NASA lange überlegt, sich anzuschließen – sich dann aber für das chinesische Mondprogramm entschieden.

Im Alleingang hat sich Indien als großer Spieler in der Raumfahrt etabliert. Der 23. August dieses Jahres wird für das Land für immer ein historischer Tag bleiben. Als viertes Land nach den USA, der Sowjetunion und China hat es eine sanfte Landung auf dem Mond geschafft. Als die Raumsonde „Chandrayaan-3“ auf der Mondoberfläche aufsetzte, stand Indiens Premierminister Narendra Modi bereits mitten auf der Weltbühne – beim Gipfel der Staatengruppe „Brics“ in Johannesburg. Modi verfolgte per Videoschalte die Mission, winkte den Ingenieuren mit einer Landesflagge zu. „Dies ist ein historischer Moment, er lässt das Signalhorn für ein entwickeltes Indien ertönen“, sagte er. Die ganze Welt sollte sehen, zu welchen technischen Erfolgen Länder des Globalen Südens in der Lage sind.

Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte dem Triumph Indiens zerknirscht zugeschaut haben. Moskau hatte zur gleichen Zeit eine Sonde namens „Luna-25“ zum Südpol des Mondes geschickt. Doch die zerschellte nur wenige Tage vor dem Brics-Gipfel nach Triebwerksproblemen am Mondgestein. Die Vorgängermission „Luna-24“ der damaligen Sowjetunion ist mehr als 40 Jahre her.

Kürzlich stieg auch Japan ins Rennen ein. Am 7. September brach die Slim-Mission vom Weltraumbahnhof Tanegashima Richtung Mond auf: Die Sonde wird immer größere Runden um die Erde drehen, bis sie Anfang nächsten Jahres den Trabanten erreichen soll.

Jahrzehntelang hatte sich niemand für die Mondfahrt interessiert. Bis „Chandrayaan-3“ scheiterten zudem die meisten Missionen – etwa Israels, Japans oder der Vereinigten Arabischen Emirate. Auch Indiens erster Versuch endete vor vier Jahren mit einem Absturz. Die „Chandrayaan-3“ erreichte nun aber den Südpol des Mondes – ein schwer zugänglicher Teil des Erdtrabanten, auf dem nie zuvor eine Landung geglückt war. Und Indiens kleiner Mondrover, „Pragyan“ (Weisheit), entdeckte wenige Tage später Schwefelvorkommen.

Woher kommt das neue Interesse am Mond? Ulrich Walter, Astronaut und Leiter des Lehrstuhls für Raumfahrttechnik an der TU München, sagt: „In erster Linie geht es um Wasser an den Polen des Mondes.“ Vor einigen Monaten entdeckten Wissenschaftler Eisablagerungen, gebunden in kleinen Glaskügelchen. Nun geht es darum, herauszufinden, wie sich das Wasser nutzbar machen lassen könnte. Zudem sei der Mond eine Art Übungsprojekt für den Mars, sagt Walter. „Auf dem Mond können wir uns jetzt noch austoben – wenn es einmal Richtung Mars geht, weiß man, dass die Mission mindestens zweieinhalb Jahre dauern wird.“

Die Mondfahrt müsse man aus zwei Perspektiven sehen, sagt er: Die wissenschaftliche und die politische. „Aus wissenschaftlicher Sicht ist das kein Wettlauf“, meint Walter. „Wir alle haben Russland die Daumen gedrückt – und es war für uns alle eine Enttäuschung, als die Mission gescheitert ist.“ Im All gebe es politische Spannungen, aber keinen Krieg. „In der Raumfahrt geht es in erster Linie um technologischen Fortschritt.“ Erst sobald die Politik mitmische, entwickle sich das Ganze zu einem Wettkampf. „Staaten instrumentalisieren diesen Fortschritt auch für geopolitische Zwecke“, sagt Walter. Indien habe sich mit seiner Mondlandung auf Augenhöhe mit den Supermächten USA, China und Russland begeben. „Indien ist kein armes Entwicklungsland mehr: Dort gibt es ein ganz hervorragendes Bildungssystem mit sehr guten Wissenschaftlern. Irgendwann muss man das der Welt auch demonstrieren.“

Für andere Staaten wie Deutschland , sagt Walter, sei das auch ein Signal, mehr mit Indien zusammenzuarbeiten: „Dort sitzen nicht nur kluge Köpfe, es wird auch viel in Zukunftsprojekte investiert.“

Indien gelang der große Coup inmitten der Mondfahrt-Renaissance. An anderen Orten des Erdtrabanten hat China bereits zwei Fahrzeuge betrieben: „Yutu-1“ und „Yutu-2“, zu Deutsch „Jadehase“. 2020 brachte zudem Chinas „Chang’e-5“-Mission, benannt nach Chinas Mondgöttin, zwei Milliarden Jahre alte Gesteinsproben zur Erde.

Der Chef der russischen Weltraumbehörde Roskosmos, Juri Borissow, brachte die neuen Mond-Ambitionen nach dem Absturz von „Luna-25“ auf den Punkt. „Hier geht es nicht nur um das Prestige des Landes und das Erreichen einiger geopolitischer Ziele. Es geht darum, die Verteidigungsfähigkeit zu sichern und technologische Souveränität zu erreichen.“ Er selbst personifiziert die Politisierung der russischen Raumfahrt: Bis Mitte 2022 war er Vize-Ministerpräsident.

„Um den Weltraum zu erforschen, müssen wir es gemeinsam tun“, sagte hingegen kürzlich Josef Aschbacher, Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation. Internationale Zusammenarbeit sei der Schlüssel. Symbol dafür ist die internationale Raumstation ISS. Die USA, Europa, Russland, Japan und Kanada betreiben sie gemeinsam. Erst kürzlich hatte eine SpaceX-Rakete von Tech-Milliardär Elon Musk vier Astronauten zur ISS gebracht: eine US-Amerikanerin, einen Russen, einen Japaner und einen Dänen. Sechs Monate werden die Crew-Mitglieder zusammen experimentieren. Ihnen dürfte der globale Wettstreit egal sein.

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